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Apartheid-Vorwurf gilt weiterhin als antisemitisch
Meldestellen betrachten Pride-Aufkleber als gegen Israel gerichtetes »verletzendes Verhalten«
In einem beispiellosen Gutachten hat der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen (IGH) am Freitag die israelische Siedlungspolitik in Palästina als völkerrechtswidrig beurteilt. Mit großer Mehrheit sehen die Richter Israels Praktiken als Verstoß gegen die UN-Antirassismuskonvention, die rassistische Diskriminierung und Apartheid verbietet. Andere UN-Mitgliedstaaten sollen die Besatzung deshalb nicht politisch unterstützen. Staaten könnten also verpflichtet sein, Israel wegen Apartheid zu kritisieren und Handelsbeziehungen und andere Kooperationen im Westjordanland, in Ost-Jerusalem und Gaza zu beenden.
Die Linie der Bundesregierung war bislang, bereits den Apartheid-Vorwurf an Israel als »antisemitisches Narrativ« einzustufen. So hat es der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, vor vier Jahren in einer Debatte um den Historiker Achille Mbembe erklärt. In Deutschland verpönt ist auch die Forderung nach einem Boykott von Waren oder Dienstleistungen aus den besetzten Gebieten.
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Strafbar sind derartige Äußerungen nicht, allerdings werden sie seit einigen Jahren von Meldestellen als gegen Israel gerichtetes »verletzendes Verhalten« gewertet. Regelmäßig tauchen sie als »Vorfälle« in Chroniken auf, die vom Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) und den in vielen Bezirken tätigen Berliner Registern erstellt werden. Beide Einrichtungen werden aus Bundes- und Landesmitteln finanziert.
Auch nach dem IGH-Gutachten wollen die Meldestellen an ihrer Verfolgung von Äußerungen zu Apartheid festhalten, bestätigten diese am Dienstag. »RIAS-Meldestellen dokumentieren den Vorwurf der Apartheid als antisemitischen Vorfall, wenn damit der Staat Israel als Ganzes dämonisiert und somit als rassistisches Unterfangen delegitimiert wird«, sagte ein Sprecher dazu dem »nd«. In einem Statement der Berliner Register heißt es, die Gleichsetzung der Verhältnisse in Israel mit denen in Südafrika während der Apartheid »stärkt antisemitische Narrative des ›hinterlistigen‹ oder ›boshaften‹ Juden«.
Allerdings ist unklar, wann ein Apartheid-Vorwurf als antisemitisch eingestuft wird – und wann nicht. Bei RIAS erfolgt dies nach eigenen Angaben nach einer »weitergehenden Einordnung des Kontexts«, als Beispiel nennt der Sprecher »das Absprechen der Existenzberechtigung Israels«.
RIAS führt auf seiner Webseite keine Chronik der als antisemitisch eingestuften Vorfälle von »verletzendem Verhalten«, diese lassen sich also hinsichtlich des Kontextes schwer nachvollziehen oder quantifizieren. Eine solche Chronik, in der auch nach Stichwörtern recherchiert werden kann, führen jedoch die Berliner Register. Dort finden sich seit dem 7. Oktober allein 50 Antisemitismus-Meldungen zu Fällen, in denen Israel Apartheid vorgeworfen wurde.
Viele dieser Einträge stammen von RIAS, andere werden nach einer »Bürgermeldung« übernommen oder basieren auf Internetfunden durch die Büros der Meldestellen. Meistens fehlt auch dort jeder Kontext, etwa bei der von RIAS übernommenen Meldung »In einem Café in Neukölln wurde auf der Toilette die Schmiererei ›Free Palestine! End Israeli Apartheid!‹ entdeckt«.
Fast die Hälfte der seit dem 7. Oktober von den Berliner Meldestellen als antisemitisch gewerteten Vorfälle mit Apartheid-Bezug (insgesamt 24) betrifft Aufkleber mit der Aufschrift »No Pride in Israeli Apartheid«. Damit wird auf Pride-Paraden wie etwa den Christopher Street Day angespielt, die auch regelmäßig in Israel stattfinden. Zuletzt wurde ein solcher Fund am heutigen Mittwoch aus dem Wedding gemeldet: »In der Brüsseler Straße wurde ein israelbezogener, antisemitischer Aufkleber mit der Aufschrift ›No Pride in Israeli Apartheid‹ entdeckt und entfernt«.
Die Berliner Register erklären dazu auf ihrer Webseite, die Aufkleber bedienten »doppelte Standards«. Auf Nachfrage verweist eine Sprecherin auf eine fehlende Ausgewogenheit linker Israelkritik. »Uns ist bewusst, dass Menschen- und Bürgerrechte auch von Israel eingefordert werden sollten, aber dann sollte das in gleichem Maße die Nachbarländer Israels betreffen, die nicht im Fokus einer internationalen Linken stehen.« Deshalb werde der Apartheid-Vorwurf von den Berliner Registern weiterhin als »Dämonisierung des jüdischen Staats Israel« betrachtet.
»Natürlich gibt es Antisemitismus bei Palästinensern und auch in der Solidaritätsbewegung gegen den Gaza-Krieg«, sagt der Soziologe Peter Ullrich zu der Praxis der Meldestellen. Diese schauten jedoch mit einer »Antisemitismusbrille« auf den Nahost-Konflikt. »Es braucht Räume, in denen über die massiven Menschenrechtsverletzungen in Israel und Palästina gesprochen werden kann, darunter auch Apartheid und Genozid«, fordert der Antisemitismusforscher. Die Praxis der Meldestellen kritisiert er als »Ablenkungsmanöver«.
In einer früheren Fassung dieses Textes war im vierten Absatz ein Zitat falsch zugeordnet. Der Vorwurf, antisemitische Narrative »des ›hinterlistigen‹ oder ›boshaften‹ Juden« zu stärken, stammt nicht vom Bundesverband RIAS, sondern von den Berliner Registern. Wir bitten um Entschuldigung.
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