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Berliner S-Bahn-Museum: Feierlichkeiten mit Vorbehalt

Eine neue Ausstellung im Ostbahnhof erzählt die »bewegte Geschichte« der S-Bahn – doch die Ehrenamtler wünschen sich mehr Unterstützung

Viel Information auf wenig Platz: Ein Blick in das wieder eröffnete S-Bahn-Museum
Viel Information auf wenig Platz: Ein Blick in das wieder eröffnete S-Bahn-Museum

Die Spuren, die die S-Bahn im Berliner Stadtplan hinterlassen hat, sind offensichtlich – und doch bei Weitem nicht die einzigen. Heinrich Zille, Hans Baluschek, Irmtraud Morgner, Christa Wolf: Während Udo Dittfurth große Namen aus Kunst und Kultur aufzählt, in deren Werk die Berliner Schnellbahn mit Gastauftritten glänzt, gerät er ins Schwärmen. In seinen Händen hält der Geschäftsführer des Berliner S-Bahn-Museums eine historische Signalkelle, unterzeichnet vom damaligen Regierenden Bürgermeister Richard Weizsäcker.

»Die S-Bahn ist das Symbol der deutschen Teilung und Wiedervereinigung im Alltag«, sagt Dittfurth am Donnerstag im Ostbahnhof. Was 1961 durch den S-Bahn-Boykott, eine Westberliner Protestmaßnahme gegen den Bau der Mauer, getrennt wurde, sei nach der Wiedervereinigung wieder zusammengekommen. »Es ist wichtig, dass Berlin und die Bahn dieses zeitgeschichtliche Verkehrsmittel nicht vergessen.«

Dazu beitragen soll nun die neue Ausstellung, mit der das Museum ab Samstag die Berliner*innen für ihre S-Bahn begeistern will: 35 bebilderte Tafeln, Netzpläne und allerlei Artefakte aus dem Kosmos der gelb-roten Ikone sollen Besucher*innen über »die bewegte Geschichte der Berliner S-Bahn« aufklären. Dabei ist die Ausstellung selbst erst der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Veranstaltungen, mit denen Berlin vom 8. bis 11. August die Aufnahme des elektrischen S-Bahnbetriebs vor 100 Jahren feiern möchte. »Wir haben gedacht, da kann man sich schon einmal auf das Jubiläum einstimmen«, sagt Dittfurth.

Allzu viel Platz steht dem Museum dafür allerdings nicht zur Verfügung. Auf ein paar Quadratmetern bewegt sich die Ausstellung chronologisch durch die Geschichte der Schnellbahn. Besucher*innen erfahren, wie sich die Dampflokomotiven-Lobby in den 1920er Jahren mit aller Macht gegen die Elektrifizierung der Bahn stemmt. Wie die Waggons der S-Bahn vom anfänglichen Grün schnell zum heute bekannten Gelb-Rot finden und das – bis auf wilde hellblaue Ausreißer – auch beibehalten. Wie der Ausbau vorangetrieben wird, bevor der Zweite Weltkrieg dem S-Bahnnetz zusetzt.

Nach dem Krieg lag die Verantwortung für den Betrieb der S-Bahn bei der DDR. Während der Arbeiter-und-Bauern-Staat das Verkehrsmittel ausbaut, um die neu errichteten Großsiedlungen am Rande der Stadt zu erschließen, steht der Westen 1980 vor massiven Problemen. Nach einschneidenden Fahrplankürzungen und Rationalisierungsmaßnahmen sehen sich die Eisenbahner zum Streik gezwungen. Auf der Hälfte des Westberliner Netzes muss vorübergehend der Betrieb eingestellt werden.

»Die S-Bahn ist das Symbol der deutschen Teilung und Wiedervereinigung im Alltag.«

Udo Dittfurth
Geschäftsführer S-Bahn-Museum Berlin

In der Folge regt sich zunehmender Protest in der Bevölkerung. Schon ab den 70er Jahren sind es vor allem Bürgerinitiativen, die sich für die S-Bahn als umweltfreundliches Verkehrsmittel und als Alternative zum Auto starkmachen. Sie seien »vom Osten bezahlt« lautet der Vorwurf gegen die Aktivist*innen.

Unerwähnt bleibt letztlich auch nicht, wie Privatisierungsanstrengungen in den Nullerjahren das Streckennetz um Jahrzehnte zurückkatapultieren. Im Jahr 2009 führt die eingeschlagene Richtung schließlich zum Absturz: Nur noch 25 Prozent der Fahrzeuge sind einsatzfähig, so wenige wie unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges.

»Manch einer mag die Ausstellung als etwas leselastig empfinden«, sagt Dittfurth. Dafür stünden die Museumsmitarbeiter*innen jederzeit für Erklärungen bereit. Gespräche mit Zeitzeugen sollen außerdem zeitnah das Informationsangebot auf den Tafeln ergänzen.

Für das S-Bahn-Museum selbst ist die Ausstellung gleichbedeutend mit seiner Wiederauferstehung. Gegründet im Jahr 1989 hatte es zuletzt seine Ausstellungsräume am Bahnhof Griebnitzsee. Aufgrund von Brandschutzauflagen musste das Museum 2016 den Standort allerdings aufgeben und sucht seitdem nach einem neuen Ort. Daran dürfte sich trotz Unterkommens im Ostbahnhof auf lange Sicht nichts ändern: Nach heutigem Stand wird das Museum nach Ausstellungsende im November wieder abgebaut.

Dittfurth nimmt es mit Humor: »Wir werden uns von Fortschritten und Rückschlägen nicht unterkriegen lassen.« Wie alle anderen Mitarbeiter*innen des Museums setzt er sich ehrenamtlich für das Projekt ein. Die Deutsche Bahn stelle die Räumlichkeiten im Ostbahnhof zu »machbaren Konditionen« zur Verfügung, und dafür sei er dankbar.

Nichtsdestotrotz vermisst der Museumsleiter eine angemessene Würdigung der S-Bahn und ihrer historischen Bedeutung. Das Potenzial der Marke S-Bahn wird in Berlin aus seiner Sicht nicht ausgeschöpft. Andere europäische Hauptstädte wie London machten es vor. Bis zum Auszug im November wollen sich die Organisator*innen des Museums nach möglichen Alternativen umhören, beispielsweise im Technikmuseum. »Dann hat die Bahn auch die Möglichkeit, den Raum wieder leer stehen zu lassen«, sagt Dittfurth.

»1924–2024. Die bewegte Geschichte der Berliner S-Bahn« ist ab dem 28. Juli mittwochs, donnerstags, freitags und sonntags in der Minerva-Passage im Berliner Ostbahnhof zu sehen. Der Eintritt kostet 2 Euro regulär und 1 Euro ermäßigt.

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