- Berlin
- Zenzl Mühsam
Erinnerung an eine standhafte Anarchistin
Am Sonntag war der 140. Geburtstag von Zenzl Mühsam. An ihrem letzten Wohnort wird ihrer gedacht.
Mehrere Menschen stehen in der Binzstraße 17 in Pankow vor einer Hauswand. Ein vorbeilaufender Nachbar fragt, ob hier eine Wohnung frei werde. Es ist aber keine Wohnung, die das gute Dutzend am Samstag morgen hierher verschlagen hat. Stattdessen gedenken sie einer vergessenen Anarchistin, Creszentia »Zenzl« Mühsam, die ihre letzten Lebensjahre im Nordosten Berlins verbracht und am Samstag ihren 140. Geburtstag hat. Anders als ihr Ehemann, der berühmter jüdischer anarchistischer Dichter Erich Mühsam, ist sie kaum bekannt.
Geboren wurde Zenzl Mühsam 1884 im bayrischen Haslach als Creszentia Elfinger. In München lernte sie Erich Mühsam kennen, den sie 1915, zu Beginn des Ersten Weltkriegs, heiratete.
Die Entstehung der Müncher Räterepublik erlebte sie aus der ersten Reihe: »Es war herrlich, das hätten Sie erleben sollen«, schrieb Zenzl Mühsam an den befreundeten dänischen Schriftsteller Martin Andersen Nexö. Ihre optimistische Einschätzung, dass es den deutschen Militarismus nicht mehr gebe, bewahrheitete sich bekanntermaßen nicht. Die Räterepublik wurde von der sozialdemokratischen Regierung um Friedrich Ebert und Gustav Noske gemeinsam mit Freikorps blutig niedergeschlagen. Erich Mühsam kam für fünf Jahre in Festungshaft.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten erlebten die Mühsams in Berlin, wo sie sich für ein antifaschistisches Bündnis stark machten. Erich wurde 1933 nach dem Reichstagsbrand festgenommen, daraufhin setzte sich Zenzl für seine Freilassung sowie die der anderen politischen Gefangenen ein. Doch 1934 wurde ihr Mann im Konzentrationslager Oranienburg ermordet.
Noch im selben Jahr floh Zenzl Mühsam nach Prag. Ein Jahr darauf folgte sie mangels Alternativen und trotz früherer Warnungen ihrer Genoss*innen und auch ihres Mannes einer Einladung in die Sowjetunion. Sie vertraute bekannten Kommunist*innen und holte den Nachlass ihres Mannes nach Moskau. Kaum war dieser im Staatsarchiv, wurde Zenzl Mühsam als »trotzkistische Spionin« verhaftet. Nach internationalen Protesten kam sie wieder frei, um dann zum zweiten Mal verhaftet zu werden.
»Nach 20 Jahren in der Sowjetunion, die überwiegend aus Haft, Folter, Gefängnis, Arbeitslager und Verbannung bestanden, konnte sie endlich nach Berlin zurückkehren.«
Uschi Otten Biografin von Zenzl Mühsam
»Selbst als sie von Stalins Schergen gefoltert wurde, ließ sie sich in einer Mühsam ebenbürtigen Standhaftigkeit zu keiner Denunziation von Bekannten erpressen«, erklärt Uschi Otten, Biografin von Zenzl Mühsam. Wie viele andere Kommunist*innen und Sozialist*innen auch, wurde Zenzl Mühsam nach Sibirien verbannt, wo sie in einer Lehmhütte leben musste. Erst 1954 kam sie frei.
Am 27. Juni 1955 war es dann soweit: »Endlich, nach 20 Jahren ihres Exils in der Sowjetunion, das überwiegend aus Haft, Folter, Gefängnis, Arbeitslager und Verbannung bestand«, konnte Mühsam nach Berlin zurückkehren, in die Hauptstadt der DDR, sagte Uschi Otten in ihrer Rede.
In der DDR erhielt Mühsam als Opfer des Faschismus eine auskömmliche Rente sowie eine Wohnung mit Küche, Bad und Warmwasser. Gleich nach Eintreffen in Ostberlin wurde sie allerdings von der Staatssicherheit zum Schweigen verpflichtet: Sie dürfe nicht über ihre Erfahrungen in sowjetischer Haft sprechen. Nach Besuchen aus dem kapitalistischen Ausland versuchte die Staatssicherheit, Zenzl Mühsam als informelle Mitarbeiterin zu gewinnen. Dieser Versucht scheiterte.
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Ihr erklärtes Lebensziel, die Werke ihres Mannes zu veröffentlichen, erreichte sie nur teilweise. Unvollständige Kopien des Nachlasses wurden aus Moskau der Berliner Akademie der Künste übergeben. Das Grab ihres Mannes in Westberlin konnte Zenzl Mühsam nie besuchen. Am 10. März 1962 starb Zenzl Mühsam, bestattet wurde sie auf dem Friedhof der Sozialisten in Friedrichsfelde. 1992 wurde ihre Urne in das Ehrengrab ihres Mannes auf dem Dahlemer Waldfriedhof überführt.
Heute erinnert eine Gedenktafel an der Hauswand in der Binzstraße 17 an Zenzl Mühsam, die erstmals 2015 von der AG Spurensuche des Pankower Frauenbeirats angebracht wurde. Nachdem die Tafel zwischenzeitlich von Unbekannten entfernt worden war, wurde sie erst im März dieses Jahres neu eingeweiht.
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