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Politische Ausweisungen: »Eine Ohrfeige für den Senat«
Berliner Innenverwaltung erleidet Schlappe vor Gericht. Bündnis fordert Stopp der Ausweisungen und organisiert Protest am Alexanderplatz
»Der Fall der Aktivist*innen zeigt eine ›Trumpisierung‹ Berlins«, sagt Hannah Bruns vom »Bündnis politische Abschiebungen stoppen«. Die Gewaltenteilung werde zugunsten politischer Interessen aufgehoben, so die Sprecherin weiter. »Das ist ein Skandal.« Der Skandal, weshalb das Bündnis existiert, ist der Fall der mittlerweile »Berlin 4« genannten propalästinensischen Aktivist*innen, die nach dem Willen des Senats ihren Aufenthalt, beziehungsweise ihre EU-Freizügigkeit verlieren und im Extremfall abgeschoben werden sollen. Die Begründung: strafrechtliche Vorwürfe, die noch nicht einmal angeklagt sind. In einer ersten gerichtlichen Entscheidung hat die federführende Innenverwaltung eine herbe Schlappe einstecken müssen.
Der maßgebliche Vorwurf ist die angebliche Beteiligung der vier bei einer versuchten Besetzung der Freien Universität im Oktober. Bei dieser kam es zu Sachbeschädigungen und Gefangenenbefreiung. Was genau den Betroffenen vorgeworfen wird, wissen sie aber noch nicht einmal selbst. In den Bescheiden, mit denen sie zur Ausreise aus Deutschland bis zum 21. April aufgefordert werden, werden lediglich von der Polizei aufgenommene Anzeigen zu dem Vorfall aufgelistet, um zu begründen, dass sie eine »Gefahr für die Sicherheit und Ordnung« sein sollen.
Über den Vorfall gebe es ein öffentliches Narrativ, das stark von den Strafanzeigen der Polizei geprägt sei, sagt Rechtsanwalt Alexander Gorski, vom Legal Team der »Berlin4«. Den politischen Vorwurf gebe es, aber strafrechtlich sei dieser vom strafrechtlichen Vorwurf zu differenzieren. Im Legal Team wisse man nicht, was den Mandant*innen vorgeworfen wurde. Er berichtet, dass die Strafverteidiger zwar Akteneinsicht beantragt haben, die Strafakten aber noch nicht bekommen haben. »Wie soll man sich gegen etwas verteidigen, wenn man nicht einmal weiß, was es ist?«, fragt Gorski.
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Auch die Ausländerbehörde LEA, die die Bescheide ausgestellt hat, weiß nicht mehr als das, was das Landeskriminalamt behauptet. Bevor es die Bescheide ausstellte, hatte LEA intern rechtliche Bedenken angemeldet, die aber von der SPD-geführten Senatsinnenverwaltung überstimmt wurden (»nd« berichtete). Angesichts dieses Vorgangs liege »der Gedanke der Rechtsbeugung« nicht ganz fern, sagt Gorski. Alle vier Betroffenen haben über ihre Anwälte einerseits Eilanträge gestellt, die die Ausweisungen zum 21. April verhindern sollen. Andererseits werden Hauptsacheverfahren angestrengt, in denen gegen die Bescheide an sich geklagt wird.
In einem ersten Beschluss, der »nd« vorliegt, wird einem der Eilanträge stattgegeben. Entscheidungen in den anderen drei Fällen, die von anderen Kammern des Gerichts getroffen werden, stehen noch aus. Es gebe »ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit« des Verwaltungshandelns, so das Gericht.
Zwar geht das Gericht davon aus, dass eine strafrechtliche Verurteilung keine zwingende Voraussetzung für eine Aberkennung der EU-Freizügigkeit ist. Wenn keine solche Verurteilung vorliege, habe die Behörde »den zu Grunde liegenden Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären«. Das LEA wäre verpflichtet gewesen, »sämtliche Strafverfahrensakten derjenigen Verfahren beizuziehen und auszuwerten«, auf die es den Bescheid stütze, so das Gericht. Anhand der von der Polizei gefertigten Strafanzeigen, die angeführt werden, sei es nicht möglich, zu überprüfen, in welchem Maß sich der Aktivist an der Besetzung im Oktober beteiligt hat. Das LEA sei seiner »Amtsaufklärungspflicht nicht in ausreichendem Maße nachgekommen«.
»Das ist eine politische Ohrfeige für den Senat und das Landesamt für Einwanderung«, kommentiert Alexander Gorski den Beschluss. Er erwartet auch in den anderen Eilanträgen Entscheidungen zugunsten der Aktivist*innen. Und: »Das ist ein starkes Signal für das Hauptsacheverfahren.« Bis in diesem eine Entscheidung ergeht, wird es aber noch dauern. Die Entscheidung sei eine Bestätigung dafür, dass gerichtlicher Rechtsschutz in Deutschland noch in der Lage sei, rechtwidrigem Behördenhandeln einen Riegel vorzuschieben. »Aber es ist auch eine Lektion darin, was die Behörden sich zutrauen und probieren«, sagt Gorski.
Angesichts der von Beginn an laut gewordenen Vorwürfe, bemüht sich die Innenverwaltung klarzustellen, dass es sich um »ein komplett rechtsstaatliches, ein komplett geordnetes Verfahren« handle, wie SPD-Innenstaatssekretär Christian Hochgrebe im Innenausschuss vergangene Woche betonte. Vom Koalitionspartner kommen andere Töne: »Das sind Straftäter, und es ist wichtig, dass hiermit erstmals ein Exempel statuiert wird im Zusammenhang mit den sogenannten Pro-Palästina-Demonstrationen«, wird der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus Burkard Dregger in der »Welt« zitiert.
»Wenn Aufenthaltsrecht instrumentalisiert wird, um politische Stimmen loszuwerden, dann stehen wir vor einem autoritären Abgrund.«
Ferat Koçak (Linke)
Bundestagsabgeordneter
Das Rechtsstaatsverständnis der CDU sei lachhaft, sagt Alexander Gorski. Sie würde immer »mit aller Härte des Rechtsstaats« sagen. »Was sie meinen, ist, mit aller Härte des Staatsapparats«, so Gorski. Als linke Anwält*innen müsse man dafür einstehen, dass die Verwaltung sich an ihre eigenen Regeln halte.
»Was wir hier sehen, ist Teil einer systematischen Strategie, bestimmte Positionen aus dem öffentlichen Raum zu drängen«, sagt Ferat Koçak, frisch gewählter Neuköllner Bundestagsabgeordneter für Die Linke. Er verweist auf Demonstrationsverbote für propalästinensische Demonstrationen. »Wir reden hier von Meinungsfreiheit, von Versammlungsfreiheit, von Grundrechten, die nicht verhandelbar sind«, sagt Koçak. Das seien die Grundpfeiler unserer Demokratie. »Wenn Aufenthaltsrecht instrumentalisiert wird, um politische Stimmen loszuwerden, dann stehen wir vor einem autoritären Abgrund.«
Das eingangs erwähnte Bündnis hat eine Petition gestartet, »um einen undemokratischen Präzedenzfall zu verhindern«. Man fordere den sofortigen Stopp der Ausweisung der vier Aktivist*innen, erklärt Hannah Bruns. »Und wir fordern auch, dass klargemacht wird, dass es einen solchen Angriff auf demokratische Grundrechte nie wieder geben wird.« Am kommenden Freitag ruft das Bündnis um 16 Uhr am Alexanderplatz zur Demonstration, zu der auch bundesweit mobilisiert wird.
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