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Sachsen droht Kahlschlag bei der Integrationsarbeit
Nach Druck von Rechnungshof und AfD: Vereine leiden unter veränderter Förderpolitik
Den Verein Bon Courage in Borna bei Leipzig gibt es seit 17 Jahren. Zunächst gegründet, um über lokale Nazi-Strukturen aufzuklären, begann er sich bald um die Betreuung von Geflüchteten zu kümmern. »Wir versuchen, Begegnungen stattfinden zu lassen und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen«, sagt Mitarbeiterin Sandra Münch. Einfach war das nie. Neben Widerstand von rechts bereitete die unstete Förderung Probleme: Es sei ermüdend, wenn man »von Jahr zu Jahr kämpfen muss«, sagt Münch. Jetzt droht sich die Lage indes weiter zuzuspitzen: »Im schlimmsten Fall könnten wir vor dem Nichts stehen.«
Ursache ist eine veränderte Förderpolitik des Freistaats Sachsen, die nicht nur Bon Courage trifft. Vielmehr sei die Integrationsarbeit insgesamt »in Gefahr«. So steht es in einem eindringlichen Appell mit dem Titel »Solidarität statt Kahlschlag«, der jetzt veröffentlicht wurde. Darin wird Integrationsarbeit als eine »tragende Säule unserer demokratischen Gesellschaft« bezeichnet, die indes wegzubrechen drohe: Viele Vereine und Projekte »kämpfen um ihre Existenz oder mussten bereits aufgeben«.
Auslöser für die akut schwierige Lage ist, dass das zuständige Sozialministerium im November eine überarbeitete Förderrichtlinie vorlegte. Schon die bisherige war regelmäßig überzeichnet, viele Antragsteller gingen leer aus. Nun mussten Anträge, die im Juni schon bewilligt worden waren, binnen drei Wochen neu gestellt und an veränderte Prämissen angepasst werden. Bewilligungen seien nur für ein Jahr erteilt worden. Neben einer extremen bürokratischen Belastung beklagen die Vereine eine mehrmonatige Förderlücke. Die Hälfte der 71 Anträge sei gänzlich abgelehnt worden.
Die Überarbeitung der Richtlinie ist das Ergebnis einer Tiefenprüfung des Rechnungshofes. Dieser hatte die Förderung von Integrativen Maßnahmen in den Jahren 2016 bis 2019 untersucht und dem zuständigen Sozialministerium ein verheerendes Zeugnis ausgestellt. Moniert wurden ein »in außergewöhnlichem Maße rechtswidriges Verwaltungshandeln«, eine schlechte Aktenführung und die unzureichende Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit geförderter Projekte. Die Gelder seien »fachlich weitgehend ungesteuert« vergeben, Entscheidungen zugunsten oder zum Nachteil einzelner Antragsteller »stark intransparent« getroffen worden. Ministerin Petra Köpping (SPD) hatte Fehler eingeräumt und erklärt, man habe »das Richtige nicht immer richtig getan«. Ihr Staatssekretär Sebastian Vogel wurde entlassen, die Förderpraxis verändert – mit der Folge, dass viele Träger jetzt »in der Krise« stecken, wie es in deren Appell heißt.
Unverhohlene Freude darüber äußert die AfD. Diese nahm den Bericht des Rechnungshofes als Vorlage für eine Kampagne, die zwei Ziele verfolgt. Zum einen sollen die zivilgesellschaftlichen Strukturen, die als »SPD-nahe Integrationsindustrie« diffamiert werden, zerstört werden. Nachdem ein Verein aufgrund von Rückforderungen des Landes bereits Insolvenz anmelden musste, frohlockte ein AfD-Abgeordneter, jetzt sei »Schluss mit lustig«. Zum anderen soll die SPD im Wahlkampf unter Druck gesetzt werden. Deren Spitzenkandidatin ist ausgerechnet Köpping.
Das parlamentarische Vehikel für die Kampagne ist ein von der AfD eingesetzter Untersuchungsausschuss, in dem Mitte Juni bereits Köpping gehört wurde. Am 5. August sind unter anderem ihr Ex-Staatssekretär Vogel und Martina Glass, die Geschäftsführerin des Netzwerks für Demokratische Kultur (NDK) Wurzen, geladen. Der im Februar eingesetzte Ausschuss arbeitet unter Zeitdruck; ein Abschlussbericht soll laut der Chemnitzer »Freien Presse« Ende September vorgelegt werden. Das führt zu einem Novum in der sächsischen Parlamentsgeschichte. Obwohl am 1. September bereits ein neuer Landtag gewählt wird, muss er knapp vier Wochen später noch einmal in seiner bisherigen Zusammensetzung zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um den Bericht zu beschließen. Danach verbleibt nur ein kurzes Zeitfenster für die Konstituierung des neu gewählten Parlaments, die spätestens am 30. Tag nach der Wahl stattfinden muss.
Zivilgesellschaftliche Vereine sorgen sich im Zusammenhang mit dem Ausschuss, Mitarbeiter könnten Anfeindungen oder Angriffen ausgesetzt sein. Dem Gremium liegen Tausende Seiten Akten aus dem Ministerium, der für die Abwicklung der Förderung zuständigen Aufbaubank und dem Rechnungshof vor. Darin seien Daten von über 1000 Personen enthalten, warnten die Regionalen Arbeitsstellen für Bildung und Demokratie (RAA), der Flüchtlingsrat und das Kulturbüro Sachsen. Man befürchte, dass diese trotz der im Ausschuss geltenden Pflicht zur Geheimhaltung »über die AfD in rechte Netzwerke gelangen« könnten. Es wäre, sagt RAA-Geschäftsführerin Andrea Hübler, »nicht das erste Mal, dass Dinge durchsickern«.
»Im schlimmsten Fall könnten wir vor dem Nichts stehen.«
Sandra Münch Bon Courage e. V. Borna
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