James Baldwin: Ganz von dieser Welt

Der wiederentdeckte Schriftsteller James Baldwin wurde vor 100 Jahren geboren. Höchste Zeit, auch an sein dramatisches Schaffen zu erinnern

Keine Rührstücke: James Baldwin schrieb auch für das Theater
Keine Rührstücke: James Baldwin schrieb auch für das Theater

Schlägt man den Text von »Blues für Mr. Charlie« auf und besieht sich die Auflistung der Figuren dieses Stückes zu Beginn, staunt man. Findet man hier den theatralen Niederschlag der real existierenden Rassentrennung im real existierenden Kapitalismus in den Vereinigten Staaten von Amerika der 60er Jahre? Säuberlich getrennt sind alle auftretenden Figuren in »Schwarz« und »Weiß«. Oben die Bewohner von »Blacktown«, unten jene von »Whitetown«.

Ist das eine Provokation? Nur insofern, wie die Widerspiegelung der realen Verhältnisse uns alle provoziert und auch provozieren sollte. Das Unbehagen, das sich bei diesem Eindruck einstellt, setzt sich unmittelbar fort bei dem ersten Satz, der auf der Bühne gesprochen wird: »Auf dass alle Nigger verrecken wie dieser Nigger – das Gesicht im Staube.«

Der Autor dieser Zeilen heißt James Baldwin, der keine Berühmtheit für seine zwei Stücke erlangte, sondern als herausragender Romanautor, als Essayist und als öffentliche Person, die die Anklage gegen die herrschenden Verhältnisse klar und laut auszusprechen bereit war.

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Baldwin wurde am 2. August 1924 im New Yorker Stadtteil Harlem als Sohn einer alleinerziehenden Mutter geboren, wuchs bald schon mit acht Geschwistern auf, die sie mit ihrem Mann, einem Arbeiter und Prediger, haben sollte. Seine Jugend war geprägt von der fortwährenden Diskriminierung, die ihm als Schwarzem von außen entgegenschlug, und von Restriktion von innen, die sein Aufwachsen in einem fundamentalistisch-religiösen Haushalt bestimmte. Dem Bruch mit dem Christentum folgten eine prekäre Existenz als Gelegenheitsarbeiter und die ersten schriftstellerischen Versuche.

Sein Weg führte ihn, um dem US-amerikanischen Rassismus zu entfliehen, ins Paris der Nachkriegszeit, wo er sein Leben in Armut fortzusetzen gezwungen war. 1953, zurück in der Heimat, veröffentlichte Baldwin seinen autobiografischen Erstlingsroman »Go tell it on the mountain« (auf Deutsch unter den Titeln »Gehe hin und verkünde es vom Berge« und »Von dieser Welt« veröffentlicht). Das Buch bedeutete seinen Durchbruch. Es folgten weitere, mehrfach verfilmte, Romane (»Eine andere Welt« und »Beale Street Blues« etwa), angriffslustige Essays, das entschiedene Engagement in der Bürgerrechtsbewegung und ein lebenslanges Wechselgängertum zwischen Frankreich und den USA bis zu seinem Krebstod im Dezember 1987.

Was hat es aber mit Baldwins Theaterstücken, was mit dem erwähnten Mister Charlie auf sich? Mister Charlie – das ist der Name eines jeden weißen Herrenmenschen in den USA der späten 50er, frühen 60er Jahre, als das Stück entstanden ist, ehe es 1964 zur Uraufführung kam. Und diese weißen Herrenmenschen lassen sich allenfalls die Musik der Schwarzen gefallen. Selbst das scheint ihnen Zugeständnis genug.

Inspiriert war der Dreiakter vom Fall Emmet Till, der 14-jährig aus Gründen des primitivsten Rassenhasses ermordet worden war. Der Täter wurde freigesprochen; seinem Bruder, der sich der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht hatte, auch wenn der Schuldspruch ausblieb, stand eine Karriere im Polizeidienst bevor. Die schlimmsten Auswüchse eines allgegenwärtigen Rassismus, die keinen Ausnahmecharakter haben, sondern eher beispielhafter Natur sind. Mit dem Fortgang und den Folgeerscheinungen dieser Unmenschlichkeit leben wir bis heute.

Baldwin hat in »Blues für Mr. Charlie« in kurzen Szenen ein vielschichtiges Gesellschaftspanorama gezeichnet. Wir sehen diese Menschen vor uns: den schwarzen Mann, den die fortwährende Diskriminierung mit Hass erfüllt; die schwarze Frau, die von einer bescheidenen Verbesserung ihrer Lage im Rahmen des möglich Scheinenden träumt; den schwarzen Prediger, der dem Rassismus mit Gleichmut zu begegnen versucht und daran scheitern muss. Aber auch die weißen Rassisten, die sich selbst ihrer vermeintlichen Aufgeschlossenheit rühmen. Es sind fast alles Angehörige einer verarmten oder von Verarmung bedrohten Schicht im amerikanischen Nirgendwo, ebenjene Leute, von denen wir wissen, dass sie heute einen Großteil der Trump-Wählerschaft ausmachen. Die Unterdrückung der »einfachen«, arbeitenden Südstaatler scheint deren Hass auf Schwarze zu entfachen.

Das Stück hat etwas ungemein Filmisches, die Virtuosität von Baldwins späteren Romanen mag ihm abgehen, aber es handelt sich um ein nachdenklich stimmendes Zeitdokument. Und darin sind all die Themen, mehr oder weniger zentral, bereits enthalten, die auch seine Prosa kennzeichnen: die weiße Sklavenhaltermentalität, die ihre Fortsetzung im 20. Jahrhundert gefunden hat, Frauenfeindlichkeit, Antikommunismus, soziale Widersprüche und – in dieser Zeit durchaus unüblich – Homosexualität. Die klare und präzise Darstellung der unwürdigen realen Verhältnisse wirkt im besten Sinne des Wortes aufklärerisch.

Baldwins Erstlingsdrama »Amen Corner« entstand 1954. 75 US-Dollar, die ihm Marlon Brando lieh, dienten als Darlehen für die Arbeit an diesem Stück, das inhaltlich stark mit »Go tell it on the mountain« korrespondiert und das knapp 30 Jahre nach seiner Veröffentlichung zur Vorlage für ein gleichnamiges Broadway-Musical wurde. Im Zentrum steht eine Predigerin, die eine Ausflucht aus ihrer prekären Existenz im Glauben sucht. Der gesellschaftlichen Wirklichkeit kann sie sich allerdings nicht entziehen, den eigenen Minderwertigkeitsgefühlen ebenso wenig. »Margaret lebt in der Kirche, weil die Gesellschaftsordnung ihr keinen anderen Platz gelassen hat«, schrieb Baldwin in einer Notiz zu dem Dreiakter.

Nein, das sind keine Rührstücke, die in einer, vielleicht etwas behäbigen, deutschen Übersetzung von Kai Molvig (»Blues für Mr. Charlie«) und Joachim Seyppel (»Amen Corner«) vorliegen. Ob sie heute noch spielbar sind, zumal auf einer deutschen Bühne, ist fragwürdig. Allerdings zeigt Baldwin die gesellschaftlichen Wunden schonungslos, aber dabei bleibt es nicht: Er führt uns auch ihre Ursachen vor, beschreibt ihren Verlauf – und nur so, will man meinen, kann auch Heilung möglich sein. Dass diese Wunden uns heute noch beschäftigen, dafür gibt es gute Gründe.

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