Werbung

Nordkorea: Überraschender Aufschwung

Das stark sanktionierte Nordkorea ist weiterhin abhängig vom Handel mit China

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 4 Min.
Bäuerinnen pflanzen Reis auf Feldern in Nampo, Nordkorea.
Bäuerinnen pflanzen Reis auf Feldern in Nampo, Nordkorea.

Es sind Zahlen, von denen man in Europa derzeit träumen würde: Die Industrieproduktion legte im vergangenen Jahr um 4,9 Prozent zu, die Baubranche gar um 8,2 Prozent. Selbst die Landwirtschaft ist noch um ein Prozent gewachsen. Zusammengerechnet ergibt das für 2023 ein reales Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 3,1 Prozent. Es handelt sich hierbei nicht um eine Industrienation, auch nicht um ein Schwellenland. Die Rede ist von Nordkorea.

Diese auf den ersten Blick beeindruckenden Zahlen hat Ende Juli die Bank of Korea (BOK) veröffentlicht, die Zentralbank des mit Nordkorea verfeindeten Bruderstaats Südkorea. Seit 1991 erhebt sie auf Grundlage von Handelsdaten der Nachbarländer, Informationen des eigenen Geheimdienstes und weiteren Quellen Schätzungen zur ökonomischen Lage im Norden. Demnach erlebt der Staat, der mit dem Süden seit dem dreijährigen Koreakrieg ab 1950 formal im Kriegszustand verharrt, eine Art Boom.

Die letzten drei Jahre war Nordkoreas BIP noch geschrumpft, im ersten Pandemiejahr 2020 gar um 4,5 Prozent. Als sich Covid-19 weltweit auszubreiten begann, reagierte Nordkoreas diktatorische Regierung um den »Obersten Führer« Kim Jong-un mit strikten Grenzschließungen. So konnten selbst aus China und Russland, die beide eine Landgrenze mit Nordkorea teilen, keine Waren mehr ins Land kommen. Die jetzige jährliche Wachstumsrate von 3,1 markiert nun sogar den höchsten Wert seit 2016.

Und das ist beachtlich. Denn im Jahr 2017 beschlossen die Vereinten Nationen nach schweren Menschenrechtsverletzungen und wiederholten Raketentests durch die nordkoreanische Regierung, das Land ökonomisch noch stärker zu sanktionieren als vorher. Seither ist kaum noch ein Geschäftsbereich vom internationalen Handelsverbot ausgeschlossen. Nun aber sieht es so aus, als könnte Nordkorea diesem diplomatischen und weltwirtschaftlichen Gegenwind trotzen. Wie funktioniert das?

»Häufig wird gesagt, Nordkorea sei wegen der UN-Sanktionen isoliert«, sagt Vladimir Tikhonov, Professor für Koreanistik an der Universität Oslo. »Aber in Wahrheit ist Nordkorea viel besser in die internationale Wirtschaft integriert, als viele glauben.« So findet zwar laut BOK-Zahlen gut 98 Prozent des nordkoreanischen Außenhandels mit China statt. Aber in vergangenen Jahren zählten auch afrikanische Staaten wie Senegal und Nigeria sowie sogar EU-Länder wie Polen und die Niederlande zu Handelspartnern.

Für den Großteil des Wachstums sorgt allerdings eine Zunahme im Austausch mit China. Hier geht es insbesondere um Metallprodukte sowie Perücken, die in der Grenzgegend Nordkoreas zu China oft per Hand gefertigt werden. Günstiges Wetter hat zudem für eine Zunahme der landwirtschaftlichen Produktion gesorgt. Dies zeigt sich auch in den verstärkten Importen von Düngemitteln. Der Bausektor ist dagegen offenbar besonders in der Hauptstadt Pjöngjang aktiv, wo zuletzt größere Projekte angestoßen wurden.

»In Wahrheit ist Nordkorea viel besser in die internationale Wirtschaft integriert, als viele glauben.«

Vladimir Tikhonov Professor für Koreanistik an der Universität Oslo

Das alles täuscht nicht darüber hinweg, dass die maßgeblich staatlich kontrollierte Volkswirtschaft Nordkoreas noch immer eine überwiegend arme ist. Während ein UN-Report vor der Pandemie schätzte, dass in dem Land mit 26 Millionen Einwohnern rund 40 Prozent der Bevölkerung unterernährt sind, erklärte Diktator Kim Anfang des Jahres die Versorgung mit Nahrungsmitteln zu einem »ernsten politischen Thema.« Auch ist das Handelsvolumen, wenngleich es sich gegenüber 2022 fast verdoppelte, geringer als vor der Pandemie.

Aber zu den allerärmsten Ländern scheint Nordkorea, über dessen Wirtschaft relativ wenig bekannt ist, nicht zu gehören. Die BOK schätzt, dass das Land ein Bruttonationaleinkommen pro Kopf – also alle im In- und Ausland von nordkoreanischen Institutionen und Personen erwirtschafteten Güter und Dienstleistungen – von 1,59 Millionen Won (rund 1148 US-Dollar) hat. Das sind nur gut drei Prozent des Werts von Südkorea, aber deutlich mehr als in sehr armen Ländern wie Burundi (230 US-Dollar) oder Afghanistan (360).

Hinzu kommt, dass sich Nordkorea in letzter Zeit gut vernetzt hat. Kaum ein Staat der Welt hat deutlicher vom neuerlichen Angriff Russlands auf die Ukraine profitiert. Denn als Russland mit starken internationalen Sanktionen belegt wurde, haben sich Russlands Präsident Wladimir Putin und Nordkoreas Kim Jong-un angenähert. »Derzeit steht wahrscheinlich kein Staat Russland so nahe wie Nordkorea«, urteilt Vladimir Tikhonov. 2023 besuchte Kim Russland, im Juni kam Putin nach Nordkorea.

Die beiden Staatschefs vereinbarten einen verstärkten Austausch auf mehreren Ebenen. Davon dürfte in den kommenden Jahren die nordkoreanische Rüstungsindustrie profitieren, womöglich aber auch die Landwirtschaft. Park Sang-in, Wirtschaftsprofessor an der Seoul National University, sagt: »Falls ein Deal landwirtschaftliche Güter und Lebensmittel beinhaltet, wird das Leiden der Bevölkerung in Nordkorea gemindert. Dies gäbe Nordkoreas Führung Raum zum Durchatmen.«

Auch wahr ist nämlich: Der starke Wachstumsschub, der nun durch Nordkorea geht, erklärt sich zum Teil dadurch, dass die Wirtschaft über Jahre schwer gelitten hat. Und von einer kleineren Basis aus sind hohe Wachstumsraten schneller zu erreichen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.