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2141 Seiten über die Ahrflut
Untersuchungsausschussbericht öffentlich. Deutliche Kritik der Opposition
Drei Wochen ist es gerade einmal her, da wurde im Kurpark von Bad Neuenahr der Flutopfer von 2021 gedacht. In dem Kurort sind die Folgen der Flut auf den ersten Blick nicht mehr zu sehen. Die Brücken über die Ahr, in der in diesen Tagen Kinder und Hunde spielen, sind ein bisschen schmal, es gibt ein paar mehr Baustellen als einem Kurort guttun, aber im Großen und Ganzen ist es wieder hübsch in Bad Neuenahr. Das Luxushotel am Fluss hat eröffnet, die Parks sind gepflegt und die meisten Restaurants wieder offen.
Mitte Juli ist Alexander Schweitzer (SPD) ganz frisch im Amt. Malu Dreyer, von der er den Job übernommen hat, hatte sich nie für Fehler der Landesregierung entschuldigt. Im Ahrtal lasten ihr viele das an. Schweitzer hat sich von seiner sozialdemokratischen Parteifreundin nicht distanziert. Eine eigene Entschuldigung will er nicht formulieren, weil er damals nicht in Verantwortung stand. Im Kurpark in Bad Neuenahr wird er als Gast mit freundlichem Applaus begrüßt. An dem sonnigen Vormittag sprechen Feuerwehrleute und Fluthelfer*innen, ebenso wie Geschäftsleute und ein lokaler Medienvertreter. Insgesamt verläuft der Jahrestag im Ahrtal bedächtig. Neben der Gedenkveranstaltung treffen sich die Betroffenen vor allem in Gemeinschaften, die bei der Flut wichtige Menschen verloren haben oder danach zusammenhalten mussten.
Jetzt gerät das Ahrtal wieder ins Interesse der bundesweiten Öffentlichkeit. Am Freitag stellte der rheinland-pfälzische Landtag den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zur Flut auf seiner Homepage der Öffentlichkeit zur Verfügung. 2141 Seiten ist das Dokument (pdf) lang. Das beschlossene Fazit des Ausschusses umfasst nicht einmal zehn Seiten.
Es gibt wenig, worauf sich die Parteien im Mainzer Landtag einigen konnten. Zuvorderst ist da die Verantwortung des ehemaligen Landrats des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU). Pföhler hat in der Flutnacht auf eklatante Weise versagt. Sein Kreis war nicht vorbereitet, er selbst verhielt sich verantwortungslos, im Bericht des Untersuchungsausschusses heißt es, »dass in der Technischen Einsatzleitung des Landkreises Ahrweiler das verheerende, tatsächliche Ausmaß der Katastrophe bis tief in die Nacht, teilweise noch bis zum nächsten Nachmittag, unterschätzt und nicht bzw. erst zu spät erfasst worden ist«. Strafrechtliche Konsequenzen hat Pföhler wohl nicht mehr zu fürchten. Im Frühjahr stellte die zuständige Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen ihn ein.
In Sondervoten haben die Oppositionsfraktionen im Landtag von Rheinland-Pfalz ihre Erkenntnisse aus der Flutnacht zusammengefasst. Die CDU spricht von »Staatsversagen«, das offengelegt worden sei. Neben Malu Dreyer und ihrem ebenfalls sozialdemokratischen Innenminister Roger Lewentz, die beide nicht mehr im Amt sind, nimmt die CDU vor allem den Umweltstaatssekretär Erwin Manz (Grüne) und den Chef der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) des Landes, Thomas Linnertz, in den Fokus. Beide hätten nach Auffassung der CDU aus ihren Ämtern entfernt werden müssen. »Dass beide Herren weiter im Amt sind, ist eine schwer zu ertragende Ignoranz gegenüber den Menschen unseres Landes und insbesondere gegenüber der vielen Opfern im Ahrtal«, so die CDU in einer Mitteilung. Auch die Freien Wähler kritisieren, dass beide noch in ihren Ämtern sind. In der Gesamtschau müsse man feststellen, »dass es in den Tagen vor, während und nach der Flutkatastrophe zu einem Versagen von staatlichen Strukturen im weiteren Sinne gekommen ist«, so Stephan Wefelscheid, Obmann der Freien Wähler im Untersuchungsausschuss.
Den Blick nach vorn haben die Abgeordneten einer Enquetekommission überlassen. Sie hat Wege für einen besseren Hochwasserschutz und eine bessere Warninfrastruktur entwickelt. Zum Teil werden diese schon umgesetzt. So gibt es im Ahrtal mittlerweile fast überall Sirenen.
Sirenen und ein Parlamentsbericht sind nicht alles. Das merken Besucher*innen auch im Ahrtal. Je tiefer sie ins Tal gehen, desto präsenter werden die Zerstörungen. Statt der Kurparkidylle rücken wieder Ruinen und Dörfer ins Auge, die sich mitten im Wiederaufbau befinden. In drei Jahren lässt sich zwar viel berichten, aber nicht ebenso viel wiederaufbauen.
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