Teure Klage der HU Berlin: Alles für die Kettenbefristung

Um gegen Festanstellungen für Postdoktorand*innen zu klagen, zahlte die Humboldt-Universität einen sechsstelligen Betrag – so Recherchen von »nd«

  • Janik Besendorf
  • Lesedauer: 4 Min.
Steiniger Weg zum akademischen Aufstieg: Treppenaufgang der Humboldt-Universität zu Berlin
Steiniger Weg zum akademischen Aufstieg: Treppenaufgang der Humboldt-Universität zu Berlin

Bessere Arbeitsbedingungen, höhere Qualität im Studium, mehr Diversität auf den Campussen: Mit einer Novelle des Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG) versuchte der rot-grün-rote Senat 2021, die angespannte Lage an den Universitäten der Hauptstadt zu entschärfen. Seit Monaten hatten wissenschaftliche Mitarbeiter*innen unter dem Hashtag #IchBinHanna über prekäre Arbeitsverhältnisse und Kettenbefristungen geklagt. Die damalige Regierung reagierte mit einem neuen Paragrafen, der bereits promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen eine unbefristete Anschlussbeschäftigung auf Qualifizierungsstellen zusichern sollte.

Bei den Berliner Hochschulen stieß der Schritt auf scharfe Kritik, so auch bei der renommierten Humboldt-Universität (HU). Nun zeigt sich: Im Widerstand gegen die Reform war die HU dazu bereit, viel Geld auszugeben. Mehr als 170 000 Euro hat die Universität offenbar gezahlt, um Verfassungsbeschwerde gegen die Regelung einzureichen. Das geht aus Dokumenten hervor, die »nd« vorliegen. Die HU musste diese nach einer Klage nach dem Informationsfreiheitsgesetz herausgeben. Die Unterlagen sind auf der Plattform »Frag den Staat« einsehbar.

Geringere Flexibilität und eingeschränkte Entwicklungsmöglichkeiten hatten Berliner Hochschulen angesichts des neuen Paragrafen befürchtet. Im Oktober 2021 trat deshalb sogar die damalige Präsidentin der HU, Sabine Kunst, von ihrem Amt zurück. Sie erklärte damals: »Die Änderungen in ihrer Gesamtheit gefährden die exzellente Weiterentwicklung der Humboldt-Universität und in der Konsequenz den Wissenschaftsstandort Berlin.«

Gewerkschaften und Vertreter*innen des wissenschaftlichen Mittelbaus, wie die Landesvertretung Akademischer Mittelbau Berlin (LAMB), begrüßen die Regelung hingegen. »Mit der Vorgabe der Anschlusszusage nach Paragraf 110, Absatz 6 BerlHG ist ein erster Schritt in die richtige Richtung unternommen worden«, sagt Annette Simonis, Sprecherin des LAMB-Vorstands, zu »nd«. Grundsätzlich sieht die LAMB aber mit der Promotion die Befähigung erbracht, selbstständig wissenschaftlich zu arbeiten. »Insofern wäre aus unserer Sicht die Vorgabe zur unbefristeten Beschäftigung nach der Promotion zielgerichteter.«

Im Dezember 2021 reichte die HU beim Bundesverfassungsgericht ihre Verfassungsbeschwerde gegen das Hochschulgesetz ein. In einer Pressemitteilung begründete sie dies damit, dass das Land Berlin im vorliegenden Fall keine Gesetzgebungskompetenz habe und diese vielmehr beim Bund liege.

»Die durchaus beträchtliche Summe hätte aus unserer Sicht viel besser zur Erarbeitung und Umsetzung adäquater Beschäftigungsmodelle genutzt werden können.«

Annette Simonis Landesvertretung Akademischer Mittelbau Berlin

Einen Monat zuvor hatte der HU-Verfassungsrechtler Matthias Ruffert ein Gutachten veröffentlicht, das den umstrittenen Paragrafen als verfassungswidrig und eine Klage vor dem Verfassungsgericht als erfolgversprechend einstufte. Später veröffentlichten auch FDP und CDU ein Gutachten, das zum gleichen Ergebnis kam. Die damaligen Oppositionsfraktionen beauftragten anschließend Ruffert als Prozessbevollmächtigten mit einer weiteren Beschwerde, diesmal vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof.

Ein im April 2022 von der Bildungsgewerkschaft GEW veröffentlichtes Gutachten von Rosemarie Will, ehemalige Professorin an der HU Berlin, und dem Rechtsanwalt Michael Plöse kam hingegen zu einem anderen Ergebnis: Demnach kann Berlin verbindliche Anschlusszusagen und damit die Entfristung von Postdoktorand*innen, vorschreiben.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde hatte die HU die Kanzlei Redeker Sellner Dahs beauftragt, auf die offenbar ein Großteil der Kosten entfällt. Die »nd« vorliegende Beschwerdeschrift umfasst 90 Seiten plus Anlagen. Meist ist die Kanzlei für Behörden tätig, regelmäßig werden dafür hohe Summen fällig. Mehr als 100 000 Euro zahlte etwa der Bundestag, um sich gegen eine Klage zu wehren, die die Offenlegung von Hausausweisen für Lobbyist*innen forderte.

Eine Sprecherin der HU rechtfertigt die Kosten auf Nachfrage von »nd«: »Ihre Stundensätze bewegen sich im üblichen Rahmen für fachlich so speziell ausgewiesene Anwaltskanzleien.« LAMB-Sprecherin Annette Simonis erklärt hingegen: »Die durchaus beträchtliche Summe hätte aus unserer Sicht viel besser zur Erarbeitung und Umsetzung adäquater Beschäftigungsmodelle genutzt werden können.« Die Kosten entsprächen vermutlich mindestens einer Qualifizierungsstelle für vier Jahre.

Aufgrund der Kritik der Opposition und der Gutachten präzisierte die rot-grün-rote Koalition den umstrittenen Absatz mit der sogenannten »Reparaturnovelle«: Qualifikationsstellen, die überwiegend durch Drittmittel oder aus Mitteln des Bundes oder der Länder finanziert werden, sind nun explizit ausgenommen. Hochschulen können die Details der Anschlusszusagen nun per Satzung selbst regeln. Außerdem gilt die Pflicht zu Anschlusszusagen erst für Einstellungen ab dem 1. April 2025.

Das Verfahren beim Bundesverfassungsgericht ist weiterhin anhängig. Die HU hält auch die neue Fassung für verfassungswidrig. Wann mit einer Entscheidung des Gerichts zu rechnen ist, steht noch nicht fest.

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