Großbritannien: Rassistische Raserei

Anhaltende rechtsextreme Unruhen in vielen Städten versetzen Großbritannien in den Krisenmodus

  • Sascha Zastiral, London
  • Lesedauer: 4 Min.
Kaum im Amt, muss sich der neue britische Premier Keir Starmer (l.) mit einem rechten Mob im Land auseinandersetzen.
Kaum im Amt, muss sich der neue britische Premier Keir Starmer (l.) mit einem rechten Mob im Land auseinandersetzen.

Die Regierung in London reagiert auf die gewalttätigen Ausschreitungen, die das Land über das Wochenende dominiert haben. Am Montag kündigte Premierminister Keir Starmer die Einrichtung eines Krisenstabs aus hochrangigen Polizeibeamten an. »Wir werden ein ›stehendes Heer‹ spezialisierter Beamter im öffentlichen Dienst haben, damit wir genügend Beamte haben, um dort einzugreifen, wo wir sie brauchen«, sagte der Labour-Politiker und fügte hinzu: »Wir werden die Strafjustiz verstärken.« Die Behörden würden mit »der vollen Härte des Gesetzes« vorgehen.

In vielen Landteilen liefern sich Randalierer, oft angeführt von Rechtsextremen, seit Tagen Straßenschlachten mit der Polizei. Im nordenglischen Rotherham belagerte am Sonntag ein rund 700 Personen umfassender Mob stundenlang ein Hotel, in dem Asylbewerber untergebracht sind. Die Angreifer versuchten, das Gebäude in Brand zu stecken. Zehn Polizisten wurden bei den Zusammenstößen verletzt.

Mob wütet stundenlang in Städten

In Middlesbrough zogen Randalierer durch Stadtteile, warfen Scheiben ein und beschädigten Autos. In ganz England plünderten Randalierer in Einkaufsstraßen Geschäfte. Vereinzelt griffen Gewalttäter auch die Geschäfte muslimischer Händler gezielt an und verwüsteten sie. Es kam zu Angriffen auf Mitglieder ethnischer Minderheiten. Die Polizei nahm in Hull, Liverpool, Stoke-on-Trent, Nottingham, Bristol, Manchester, Blackpool und Belfast Personen fest.

Den Ausschreitungen voran ging ein beispielloser Gewaltakt Anfang vergangener Woche: Ein 17-Jähriger war am vergangenen Montag in der Küstenstadt Southport im Nordwesten Englands in eine Tanzschule eingedrungen, in der gerade zwei Dutzend Kinder und einige Eltern an einem Tanzworkshop teilnahmen und stach offenbar wahllos auf die Anwesenden ein. Zwei Kinder starben noch am Tatort, ein drittes Kind erlag am folgenden Tag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Weitere zehn Personen, unter ihnen acht Kinder, wurden schwer verletzt.

Fake News heizen Stimmung an

Der Großteil des Landes erstarrte vor Trauer und Entsetzen. Auf den sozialen Medien, allen voran auf Elon Musks »X«, überschlugen sich jedoch schnell Spekulationen und Desinformationen hinsichtlich der Herkunft des mutmaßlichen Täters. Bereits kurz nach dem Angriff verbreiteten »Nachrichten«-Accounts die Meldung, bei dem Angreifer handele es sich um einen muslimischen Einwanderer, der im vergangenen Jahr auf einem Boot nach Großbritannien eingereist sei.

Diese Meldung erwies sich als falsch. Der tatsächliche Täter wurde in Großbritannien geboren und hat keinen muslimischen Hintergrund. Seine Motive sind weiterhin unbekannt. Die Polizei geht nicht von einem terroristischen Hintergrund aus. In den sozialen Medien verbreitete sich die Falschmeldung dennoch wie ein Lauffeuer. Einige Accounts, deren Betreiber offenbar im Ausland sitzen, trieben die Verbreitung offenbar mit dem Ziel voran, die erlangte Reichweite anschließend zu monetarisieren.

Rechtsextreme nutzen Ausschreitungen für sich

Bekannte Rechtsextreme und viele Trittbrettfahrer gossen zusätzliches Öl ins Feuer. Sie wurden erhört: Schon am Dienstagabend, keine 36 Stunden nach der Mordattacke in Southport, fielen Hunderte gewalttätige Rechtsradikale in den trauernden Ort ein und gingen auf Polizisten los, die eine lokale Moschee beschützten.

Die Polizei glaubt, dass viele Ausschreitungen von der rechtsextremen English Defence League (EDL) organisiert wurden. Vielerorts haben sich offenbar spontan Jugendliche den Gewalttätern und Plünderern angeschlossen. In vielen Städten stellte sich ihnen eine weitaus größere Zahl an Gegendemonstranten entgegen.

Großbritannien führen bei Integration

Die Ereignisse zeigten deutlich, »wie virale Desinformation in der Folge eines tragischen Ereignisses Gewalt, Belästigung und Hass schüren kann«, schreibt der Thinktank Institute for Strategic Dialogue (ISD). Dabei ist Großbritannien bei der Integration in Europa führend. Einwanderer erreichen fast die gleiche Beschäftigungsquote wie Personen, die ihre Qualifikationen in Großbritannien erworben haben.

Konservative Regierungen haben jedoch das Asylsystem im Laufe der Zeit bewusst vernachlässigt und stattdessen auf Abschreckung gesetzt. Die Folge: Tausende Asylsuchende hängen jahrelang in vorübergehenden Unterkünften fest. Rechte Demagogen nutzen diesen Umstand, um gegen Einwanderer allgemein Stimmung zu machen. Auch einige konservative Politiker haben sich diese Rhetorik zu eigen gemacht.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -