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Arbeiten trotz Ruhestand: Ewig verdammt zur Plackerei
Felix Sassmannshausen über nicht enden wollende Lohnarbeit
»Ne travaillez jamais« oder übersetzt: Arbeite niemals! So lautete eine Maxime der Situationistischen Internationale im Zuge der 68er-Revolte. Zwar erlaubten die umfassenden technologischen Revolutionen und Produktivitätsschübe in den letzten Jahrzehnten eigentlich, die Arbeit auf ein Minimum zu reduzieren. Doch die schieren Berge stofflichen Reichtums haben die Verwirklichung der Forderung nicht näher rücken lassen.
Im Gegenteil – wird doch heute ein ohrenbetäubendes Lob der Lohnarbeit angestimmt. Die Kapitalseite spielt die alte Leier von Zuckerbrot und Peitsche und will so noch das letzte Quäntchen Arbeitskraft aus den Unglückseligen herauskitzeln. Dazu gehört, dass die Rente zum Leben nicht reicht, aber zum Sterben zu viel ist. Die Arbeitnehmerseite besingt dagegen den Integrationsfaktor Arbeit: für Teilhabe und gegen Einsamkeit im Alter. Nicht wenige sollen in der Rente freiwillig und aus Spaß einer Lohnarbeit nachgehen.
Aber was ist schon Freiwilligkeit in einer Gesellschaft, in der noch die entwürdigendsten Arbeitsverträge als Übereinkunft zwischen Freien und Gleichen gelten? Und Fun ist bekanntlich ein Stahlbad. Der Kritischen Theorie zufolge ist die bürgerliche Gesellschaft eine, in der die Menschen von Grund auf beschädigt aufwachsen. Dass sie ewig zur Plackerei verdammt sind, um auch in der Rente zu überleben, gehört dazu. Leben, um zu arbeiten, sich also auch dann zu verdingen, wenn dazu kein Zwang mehr besteht, ebenso.
»Ne travaillez jamais.« Diesen schlichten Satz, der so naiv wie anachronistisch daherkommt, laut auszusprechen, ist heute ebenso geboten wie 1968. Wenn auch das Ende der Lohnarbeit nicht in Aussicht steht, sind doch ihre Lobeshymnen wenigstens zu stören.
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