Starker Anstieg der Wohnungslosenzahl

NRW-Sozialministerium sieht Fluchtbewegung als Ursache, doch die Gründe sind vielfältiger

  • David Bieber
  • Lesedauer: 3 Min.
Wohnhäuser in einer Düsseldorfer Straße: Viele Mieter sind auch in Nordrhein-Westfalen erheblich unter Druck.
Wohnhäuser in einer Düsseldorfer Straße: Viele Mieter sind auch in Nordrhein-Westfalen erheblich unter Druck.

Die Zahl der Wohnungslosen in Nordrhein-Westfalen ist erneut gestiegen. Laut einer Mitteilung des Sozialministeriums hatten bis Ende Juni dieses Jahres insgesamt 108 590 Menschen an Rhein und Ruhr keine reguläre Wohnung mit eigenem Mietvertrag. Das waren knapp 39 Prozent mehr als vor einem Jahr – ein neuer Höchststand. Für Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) ist »Wohnungslosigkeit nach Hunger die schlimmste Form von Armut«.

Wie das Ministerium in Düsseldorf weiter berichtet, ist der deutliche Anstieg mit den »anhaltenden Fluchtbewegungen, insbesondere aufgrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine« zu erklären. Allein im vergangenen Jahr waren fast drei von zehn wohnungslosen Menschen in NRW Kriegsgeflüchtete aus der Ukraine. Außerdem gab es den Angaben zufolge auch wieder einen verstärkten Zuzug Geflüchteter aus dem außereuropäischen Bereich. Erstmals weist die Wohnungslosenstatistik Merkmale wie Nationalität, Herkunftsland, Fluchthintergrund oder Schutzstatus aus.

Da fast alle geflüchteten Menschen zunächst in zentralen Landesunterkünften oder in kommunalen Unterkünften unterkommen und damit keine eigene Wohnung haben, werden sie in der Wohnungsnotfallberichterstattung erfasst. Anerkannte Geflüchtete machen den Großteil mit 62,8 Prozent der Wohnungslosen im 18 Millionen Einwohner zählenden Bundesland aus.

»Mit immer aggressiveren Methoden verdrängen Investoren Mieter*innen aus ihren Wohnungen.«

Johannes Dörrenbächer Initiative fiftyfifty

Derweil üben Nichtregierungsorganisationen, die gegen Wohnungs- und Obdachlosigkeit kämpfen, Kritik am ebenfalls CDU-geführten Bauministerium. Der Vorwurf heißt, dass Mieter in NRW zu wenig geschützt seien.

Johannes Dörrenbächer von der Wohnungslosen- und Obdachlosenhilfe fiftyfifty erklärt, dass zumindest in Düsseldorf mehr Personen draußen unter freiem Himmel schlafen. Darunter seien wenige bis keine ukrainischen Geflüchteten. »Alleine auf die Fluchtbewegungen kann man den großen Anstieg der Wohnungslosenzahlen also nicht beziehen.« Die Gründe für Wohnungslosigkeit sind laut dem Sozialpädagogen Dörrenbächer »sehr unterschiedlich«. Er kritisiert die Wohnungspolitik der schwarz-grünen Regierung, die weiterhin alles dem freien Markt überlasse. »Mit immer aggressiveren Methoden verdrängen Investoren Mieter*innen aus ihren Wohnungen. Häufig werden Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt, und dann kann es zu Eigenbedarfskündigungen kommen. Das ist ein lukratives Geschäft für Investoren.«

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Eigenbedarfskündigungen häufen sich besonders im Raum Düsseldorf, berichtet Dörrenbächer weiter. »Hier könnte das Bauministerium etwas unternehmen und einen sogenannten Genehmigungsvorbehalt beim Umwandeln von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen erlassen.« Hinzu komme, dass Menschen, die Sozialleistungen erhalten, kaum Chancen hätten, eine bezahlbare Wohnung in den Ballungsräumen an Rhein und Ruhr zu finden. Und: Da die Zahl der Menschen mit psychischen Erkrankungen laut Berichten von unterschiedlichen Krankenkassen immer weiter steigt, sei diese Gruppe besonders von Wohnungs- und Obdachlosigkeit gefährdet.

In NRW sind laut Statistik mehr Männer als Frauen wohnungslos. Etwa ein Viertel sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Drei Viertel der erfassten wohnungslosen Personen hatten eine nicht-deutsche Staatsangehörigkeit, heißt es aus Düsseldorf.

Wohnungslose leben zudem vermehrt in Städten. Kaum verwunderlich: Zum einen ist dort der Wohnungsmarkt sehr angespannt, zum anderen bieten Großstädte in der Regel ein größeres und vielseitigeres Angebot von Hilfseinrichtungen und Unterkunftsmöglichkeiten. Dies kann auch für wohnungslose Menschen aus ländlichen Gebieten attraktiv sein.

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