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Menschenfeindliche Stadtmöbel in Paris: Spott 1:0 Zynismus

Mit einer humorvollen Instagram-Kampagne schlägt eine französische Hilfsorganisation Alarm gegen immer mehr obdachlosenfeindliches Mobiliar in Paris

  • David Kirchner
  • Lesedauer: 4 Min.
»Unsere eigenen Olympischen Spiele« veranstaltet die Initiative La Cloche an Pariser Orten mit ausgrenzenden Stadtmöbeln.
»Unsere eigenen Olympischen Spiele« veranstaltet die Initiative La Cloche an Pariser Orten mit ausgrenzenden Stadtmöbeln.

Spott ist nicht das schlechteste Mittel, um gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt zu kämpfen. Er ist kostenlos, kann befreiend wirken und im besten Fall andere dazu bringen, mitzuspotten. Die neueste Instagram-Kampagne von La Cloche (deutsch: die Glocke oder abwertend »Pennerleben«), einer französischen Hilfsorganisation für obdachlose Menschen, nutzt dieses kommunikative Potenzial, um auf anti-obdachloses Mobiliar in Paris aufmerksam zu machen.

»Obwohl die Stadt Paris im Jahr 2020 ein Verbot für die Installation ausgrenzender Stadtmöbel erlassen hat, stellen wir fest, dass deren Anzahl in den vergangenen Jahren stetig zunimmt, während gleichzeitig immer mehr Bänke aus dem öffentlichen Raum verschwinden«, erklärt Goli Moussavi, die Vorsitzende von La Cloche Île-de-France, den inhaltlichen Aufhänger der Kampagne mit dem Hashtag #StopMobilierExcluant. Während Paris die ganze Welt für die Olympischen Spiele willkommen heißt und sich als gute Gastgeberin darstellt, wird die Stadt für obdachlose und arme Menschen immer ungemütlicher. Man habe sich vor einem Jahr gefragt, wie man auf diesen zynischen Doppelstandard medienwirksam hinweisen könnte, so die 33-Jährige. Und so kam der Spott ins Spiel, beziehungsweise zu den Spielen, oder wie Moussavi verschmitzt feststellt: »Humor hat bisher bei La Cloche immer sehr gut funktioniert.«

Frankreichweit arbeiten 40 Festangestellte für La Cloche, zusätzlich gibt es 300 Freiwillige, die eigene Erfahrungen auf der Straße oder in prekären Wohnsituationen gemacht haben. Im Frühjahr sind einige der Pariser Freiwilligen für ein Fotoshooting in die Rolle von Athlet*innen geschlüpft. Amrit und Jacques spielten gegeneinander Tischtennis, Gilles übte sich im Minigolf und Franck turnte. Die Spielstätten: absurde Exemplare dessen, was man exklusives Mobiliar nennt. Anschließend wurden die Fotos mit Erklärtexten auf Instagram hochgeladen. Auf einem der Bilder sind zwei Frauen zu sehen, die sich gebückt in bester Tiefstarthaltung für einen Sprint bereitmachen. Bei den Startblöcken handelt es sich um große, graue Prismen, die auf dem Boden vor einem Hauseingang angebracht sind. Sie sollen verhindern, dass dort ein Zelt aufgestellt werden kann. Die Caption lautet: »Um inklusive Stadtmöbel zu finden, sind Christelle und Anna immer bereit, zu sprinten.«

Während Paris die ganze Welt willkommen heißt, wird die Stadt für Obdachlose immer ungemütlicher.

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Mit diesem »Wettkampf« begann eine Pressekonferenz im Freien, zu der La Cloche Anfang Juni, also gut acht Wochen vor der großen Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele, eingeladen hatte. Es kamen in etwa 50 Interessierte aus dem umliegenden 11. Arrondissement, außerdem Journalist*innen der großen, linken Zeitungen »L’Humanité« und »Libération« sowie vom Onlinemagazin »Konbini«. »Wir haben unsere eigenen Olympischen Spiele veranstaltet«, kommentiert Moussavi die sportliche Sensibilisierungstour gegen Spikes auf dem Boden, riesige Vasen vor Hauseingängen, einzelne Stühle, kurze Bänke mit Lehnen in der Mitte und verschwundene Sitzmöglichkeiten. Das gemeinsame Elfmeterschießen auf die zum Tor umfunktionierte Rückseite einer Bushaltestelle bei der Place de la Bastille sei das Highlight des Nachmittags gewesen.

Das Video von Konbini wurde über 50 000-mal auf Instagram geklickt. Zitat Moussavi: »Plötzlich hat halb Frankreich mein Gesicht gesehen.« Viral gegangen ist die Kampagne jedoch trotzdem nicht wirklich, unter dem Hashtag #StopMobilierExcluant finden sich bislang nur 18 Posts. Aber Moussavi sieht die Initiative deshalb nicht als gescheitert an: »Natürlich hatten wir gehofft, dass ein paar mehr Leute unter dem Hashtag Fotos von exklusiven Stadtmöbeln hochladen würden, aber mit all der Medienpräsenz haben wir unser Hauptziel erreicht.«

Um nicht nur mehr Aufmerksamkeit auf all die anti-obdachlosen Möbel in Paris zu lenken, sondern auch deren Entfernung durchzusetzen, sei La Cloche gerade dabei, sich an politische Entscheider*innen zu wenden. Momentan berate man die Verantwortlichen, die versprochen haben, aus dem neugebauten olympischen Dorf im Pariser Norden ein inklusives Stadtviertel mit Sozialwohnungen zu machen. Und auch mit grünen und linken Politiker*innen wolle La Cloche zukünftig zusammenarbeiten. Einige hatten Interesse signalisiert, bei den Pariser Lokalwahlen in zwei Jahren mit einer Kampagne gegen exklusive und für inklusive Stadtmöbel zu kandidieren. Sicher ist: Ihre Kampagne dürfte humorvoller werden als die der politischen Gegner*innen.

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