»In Kuba wird sich gekümmert«

Linke-Politiker Thorben Peters über seine Erfahrungen auf der Karibikinsel

  • Interview: Andreas Knobloch
  • Lesedauer: 5 Min.
Das Prinzip der Solidarität und der Nachbarschaftshilfe wird in Kuba hochgehalten.
Das Prinzip der Solidarität und der Nachbarschaftshilfe wird in Kuba hochgehalten.

Wie haben Sie Kuba anderthalb Jahre nach Ihrem bis dato letzten Besuch wahrgenommen?

Immer wieder positiv fällt die wahnsinnige Gastfreundschaft und die Liebe zur Kultur auf. Die soziale Lage hat sich noch mal verschärft. Damals gab es weniger Stromausfälle. Jetzt hatten wir in der Region Artemisa, wo ich die ersten Wochen verbracht habe, Blackouts von zweimal vier Stunden pro Tag. Man bemerkt auch die angespanntere Situation bei Nahrungsmitteln.

Sie hatten in den vergangenen Tagen in Havanna ein Programm mit dem kubanischen Sozialministerium. Was haben Sie da genau gemacht?

Das Sozialministerium hat uns einen Überblick gegeben über das Fürsorge- und Sozialsystem Kubas. Dabei haben wir über vieles gesprochen, das Rentensystem, die Arbeitslosenversicherung, wie Jugendliche unterstützt werden usw. Wir haben verschiedene Einrichtungen besucht, darunter eine Behindertenwerkstatt, in der sehr viele kulturelle Aktivitäten gefördert werden. Wir haben zudem eine Einrichtung besucht, in der Senioren in Armut mit bis zu drei Mahlzeiten am Tag versorgt werden. Sie haben dort Gemeinschaft; auch dort gibt es kulturelle Aktivitäten. Diese kleinen Zentren gibt es gewissermaßen in jedem Stadtteil. Das Besondere ist, dass sie nicht nur vom Staat organisiert sind, sondern die Instandhaltung und auch ein Teil der Lebensmittel aus der Nachbarschaft kommen. Es ist ganz selbstverständlich, als Teil der sozialen Verantwortung, dass man, egal ob als privater oder staatlicher Laden, diesen Einrichtungen etwas abgibt. Das ist ein schönes Prinzip der Solidarität.

Interview

Thorben Peters ist Landesvorsitzender der Linkspartei in Niedersachsen und Mitglied von Cuba Sí. Der Sozialarbeiter und Leiter der »Herberge Plus«, einer Obdachlosenunterkunft in Lüneburg, nahm an der europäischen Brigade »José Marti« in Kuba teil.

Haben Sie auch mit in der Sozialarbeit Beschäftigten sprechen können?

Sehr spannend fand ich ein Treffen mit rund 25 Sozialarbeitern. Sozialarbeiter in Kuba sind nach Nachbarschaften organisiert, sie halten proaktiv Kontakt zu Familien. Jeder Sozialarbeiter betreut 120 Familien. Sie müssen all diese Familien kennenlernen und priorisieren, welche Probleme anzugehen sind. Und wenn es dann heißt, in der Familie wird zu viel Alkohol getrunken oder der junge Mensch dort geht nicht zur Schule oder da ist jemand obdachlos, dann wird sich gekümmert. Es ist gewissermaßen der Job des Sozialarbeiters, Vertrauen aufzubauen und bei Bedarf Hilfe zu koordinieren. Alle Familien kennen den Sozialarbeiter oder die Sozialarbeiterin des Viertels.

Was sind das für Probleme, mit denen die Sozialarbeiter umgehen müssen?

Es sind ähnliche Probleme wie wir sie in Deutschland auch haben: Schulabbruch, Drogen, Altersarmut, Menschen, die wohnungslos werden, etc. Der Unterschied ist allerdings, dass man unter Einbeziehung der Familien sowie der Nachbarschaft auf diese Probleme antwortet und früher Maßnahmen folgen. So schließen in Kuba 99 Prozent aller Schüler die 9. Klasse ab, die Quote an Drogenabhängigen ist deutlich geringer und man sieht weniger Menschen, die um Geld betteln, als in Deutschland.

Wie geht der Staat angesichts eines wachsenden Anteils bedürftiger Menschen und knapper werdender Ressourcen mit diesen Problemen um?

Der Bereich Soziale Arbeit wird ausgebaut und die Zahl an Sozialarbeitern erhöht. Die Sonderperiode Anfang der 90er Jahre hatte den Anstoß gegeben, dass man sich überhaupt mehr in Nachbarschaften organisiert, um sich untereinander zu helfen. Und jetzt gibt es im Unterschied zu den 1990ern darüber hinaus eine in der Nachbarschaft verankerte soziale Arbeit.

Sie selbst sind in Ihrer Heimatstadt Lüneburg in der Wohnungslosenhilfe tätig und leiten dort eine Obdachlosenunterkunft. Hier in Kuba ist die Wohnsituation ein großes Problem. Welchen Einblick konnten Sie da gewinnen?

Die Wohnungslosen-Situation in Kuba ist eine gänzlich andere als zum Beispiel in Deutschland. Und man muss dazu sagen, man vergleicht hier ein hoch industrialisiertes Land mit einer kleinen Insel im Globalen Süden, das unter einer brutalen Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade der USA leidet. Wenn man sich den ganzen Tag Zeit nimmt und durch Havanna läuft, wird man weniger Obdachlosigkeit sehen, als in einer halben Stunde am Hamburger Hauptbahnhof zum Beispiel. Man wird auch keine Massenunterkunft für Obdachlose finden. Es gibt zwar auch spezielle Einrichtungen, in denen diese Menschen untergebracht werden können, wenn kein Ort da ist. Im Unterschied zu Deutschland hat man aber in Kuba das Recht auf eine Wohnung. In Deutschland gibt es nur das Recht auf eine Notunterbringung. Das kann alles Mögliche sein, oft unter menschenunwürdigen Bedingungen. Aber es stimmt, der Wohnungsbedarf ist in Kuba in jedem Fall erheblich.

Derzeit gibt es eine gewaltige Abwanderungswelle aus Kuba, was demografische Auswirkungen hat. Auch das stellt soziale Arbeit vor besondere Herausforderungen, weil der Anteil Älterer und Bedürftiger an der Bevölkerung immer größer wird. Wie ist Kuba darauf vorbereitet?

Kuba leidet unter einem erheblichen demografischen Wandel. Die Abwanderung der insbesondere jüngeren Leute ist eng verbunden mit der Schwierigkeit, eine ökonomische Perspektive zu entwickeln. Das ist nachvollziehbar und erklärbar aus der wirtschaftlichen Lage. Und Kuba wird das ohne erhebliches Wirtschaftswachstum nicht lösen. Erste Reformen sind auf dem Weg. Wir werden sehen, wie die laufen. Das Wesentliche hängt in meinen Augen aber auch massiv von uns ab. Damit meine ich uns als Solidaritätsbewegung. Es braucht den Druck der internationalen Gemeinschaft, damit diese Blockade endlich verschwindet und Kuba von der US-Terrorliste gestrichen wird. Ohne das wird Kuba es sehr schwer haben, ein entsprechendes ökonomisches Wachstum zu bewerkstelligen, das die Abwanderung stoppt. Statt von Deutschland aus zu kommentieren, welche Reformen Kuba unter diesen Bedingungen machen könnte, müssen wir als internationale Gemeinschaft den Druck auf unsere jeweiligen Regierungen erhöhen.

Was nehmen Sie an Anregungen und interessanten Ansätzen mit zurück nach Deutschland?

Für die soziale Arbeit nehme ich die Nachbarschaftsorientierung und das sehr proaktive Zugehen auf die Menschen und die enge Verbindung zur Kultur mit. Das Organisieren von gemeinschaftsstiftenden Aktivitäten ist eng verbunden mit Kulturprogrammen. Das ist eine schöne Kombination, die auf jeden Fall eine Anregung ist für soziale Arbeit in Deutschland. Ich bin immer wieder zutiefst erstaunt vom Humanismus in Kuba. Mit diesen geringen Ressourcen ein Gesundheitssystem, eine Bildung und Zugang zur Kultur zu organisieren, die weiten Teilen der Bevölkerung ermöglicht, sich dann doch persönlich zu entwickeln und für mehr soziale Gerechtigkeit sorgt, das ist sehr beeindruckend. Mit seiner internationalen Solidarität durch zum Beispiel Ärztebrigaden sowie seiner gelebten Alternative zum kapitalistischen System, bietet Kuba zudem Orientierung in krisenhaften Zeiten.

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