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Berlin: Die harte Tür der Gerichte
Unter welchen Bedingungen man ein Berliner Gericht betreten darf, ist nicht eindeutig
Es ist eine Horrorvorstellung: Das Gericht lädt zu einem Termin. Man soll als Beschuldigte*r, Zeug*in oder Sachverständige*r aussagen. Persönliches Erscheinen ist angeordnet. Ein Fernbleiben kann Sanktionen zur Folge haben. Pünktlich findet man sich zum Termin ein. Doch dann wird einem der Zutritt verweigert. Diese Geschichte hat der Berliner Sebastian Hüttner* am eigenen Leib erfahren.
2021 wurde er zu einer Anhörung in das Amtsgericht Kreuzberg geladen. Hüttner erzählt: »Ich habe mich mit meinem Personalausweis ausgewiesen. Am Einlass sollte ich aber noch die Ladung vorzeigen. Doch die hatte ich nicht dabei, weil das in dem Schreiben nicht verlangt wurde.« Das war das erste Mal, das Hüttner Bekanntschaft mit der harten Tür der Berliner Gerichte machen musste. Damals sei er letztlich nach längeren Diskussionen eingelassen worden und konnte den Termin noch rechtzeitig wahrnehmen.
Der Vorfall motiviert Hüttner, sich genauer mit den Einlassbedingungen bei Berliner Gerichten zu befassen. Dass die sehr unterschiedlich sind, bekommen Besucher*innen verschiedener Gerichtsinstanzen schnell mit. So kann das Gebäude des Berliner Arbeitsgerichts ohne jegliche Kontrolle betreten werden. Ausweise, Ladungen oder andere Dokumente werden nicht abgefragt. Die Zugangsregeln zum Amtsgericht Mitte wurde zuletzt verschärft. Der Eingangsbereich im Amtsgericht Tiergarten erinnert wiederum an einen Flughafen: Das Gepäck wird kontrolliert, Besucher*innen müssen sich einer Leibesvisitation unterziehen. Ein gültiger Ausweis ist obligatorisch für den Zugang ins Gerichtsgebäude. Besucher*innen sind ebenso betroffen wie Prozessbeteiligte; Anwält*innen und das Gerichtspersonal sind davon ausgenommen. Bei großem Andrang kann es passieren, dass Beschuldigte oder Zeug*innen zu spät zum Termin eintreffen.
»Da ich weiterhin verlangte, eingelassen zu werden, drängten mich zwei Wachmänner mit Schubsern aus dem Eingangsbereich hinaus.«
Sebastian Hüttner (Name geändert)
Dass aber die Richterin selber zum Einlass kommt, um die geladene Person abzuholen, kommt sicher selten vor. Doch Hüttner kam 2023 in den Genuss dieses zweifelhaften Privilegs, als er erneut einen Termin beim Amtsgericht Kreuzberg wahrnehmen sollte. Dieses Mal hatte er die schriftliche Ladung dabei, aber keinen Ausweis. Der sei in der Ladung auch nicht explizit verlangt worden. »Da ich weiterhin verlangte, eingelassen zu werden, drängten mich zwei Wachmänner mit Schubsern aus dem Eingangsbereich hinaus. Letztendlich wurde die Richterin gerufen, und die ließ mich ein«, berichtet Hüttner.
Vom Wachpersonal sei er auf die Hausordnung des Gerichts als rechtliche Grundlage für die Einlasskriterien verwiesen worden. Die konnte Hüttner unter diesem Begriff auch im Internet nicht finden. Unter der offiziellen Bezeichnung Kontrollordnung wurde er fündig. Dort heißt es: »Personen, die sich nicht ausweisen können, kann der Zutritt zu den Gebäuden verweigert werden. Soweit es sich jedoch um Verfahrensbeteiligte handelt, die eine ordnungsgemäße Ladung vorzeigen können, ist ihnen nach der üblichen Kontrolle der Zutritt zu gestatten.«
Hüttner hätte also nach Vorzeigen der Ladung passieren dürfen. Das deckt sich mit einer Antwort der Senatsjustizverwaltung vom 24. März 2022, an die sich Hüttner gewandt hatte. »Eine generelle Pflicht, die Ladung mitzuführen und sich mit einem Identitätsnachweis auszuweisen, besteht nicht, es erleichtert jedoch den gerichtlichen Ablauf, wenn Sie damit den Grund Ihrer Anwesenheit im Gericht glaubhaft machen und Ihre Identität nachweisen können«, heißt es in dem »nd« vorliegenden Schreiben.
Mittlerweile hat Hüttner zwei Dienstaufsichtsbeschwerden gestellt: gegen einen Wachmann wegen Nötigung und gegen die Präsidentin des Amtsgerichts Kreuzberg wegen der Billigung von Nötigung. Letztere wurde von der zuständigen Kammergerichtspräsidentin abgelehnt, woraufhin sich Hüttner nochmals an die Justizverwaltung wandte, die laut Hüttner keine Anhaltspunkte für ein dienstrechtliches Fehlverhalten feststellen konnte. Für Hüttner widerspricht dieses Abnicken der Verwaltung der von ihr vermittelten gesetzlichen Zutrittsregelung.
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Am Donnerstag konnte sich die Pressestelle der Justizverwaltung auf Anfrage des »nd« zum konkreten Fall nicht äußern, begründete aber die unterschiedlichen Zugangskriterien. »Die Berliner Gerichte weisen sowohl baulich als auch vom Gefährdungspotenzial teils erhebliche Unterschiede auf, sodass sich identische Eingangskontrollen schon vor diesen unterschiedlichen Hintergründen verbieten. Gleichwohl ist seitens der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz schon vor einiger Zeit das Bedürfnis nach Vereinheitlichung erkannt worden.« Mit dem Sicherheitsrahmenkonzept von 2018 sei eine Musterkontrollordnung geschaffen worden, an der sich die Gerichte des hiesigen Geschäftsbereichs bei Schaffung ihrer jeweiligen Kontrollordnungen orientieren.
Allein, von einheitlichen, klar verständlichen und somit niedrigschwelligen Zutrittsbedingungen scheint die Berliner Gerichtsbarkeit auch 2024 noch weit entfernt.
*Name redaktionell geändert
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