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Aderlass bei Europas Linken
Mehrere Parteien kündigen Rückzug aus Bündnis an. Reformbemühungen sollen Zerfall verhindern
Ausgerechnet im Jahr ihres 20. Jubiläums gerät die Partei der Europäischen Linken (EL) in eine ihrer schwersten Krisen. Das Bündnis aus derzeit über 40 Mitglieds-, Beobachter- und Partnerparteien hat in den zwei Jahrzehnten seines Bestehens bereits mehrere Konflikte durch- und überlebt. Wie 2018 das Zerwürfnis zwischen französischen Linkskräften um Jean-Luc Mélenchon und der griechischen Syriza. Aus Paris wurde dem damaligen Syriza-Premier Alexis Tsipras vorgeworfen, die Austeritätsvorgaben von EU und Internationalem Währungsfonds umzusetzen. Zu dem geforderten Ausschluss von Syriza kam es nicht, Freude sind die griechischen und französischen Linken aber nicht geworden.
Nun allerdings droht tatsächlich der Rückzug einiger wichtiger – und starker – Parteien. Kurz nach den Europawahlen im Juni habe den EL-Vorstand ein Brief des Linksblocks aus Portugal erreicht, in dem der Austritt des Bloco de Esquerda angekündigt wurde. Kurz darauf folgte ein analoges Schreiben der Linksallianz in Finnland, die unter den linken Parteien eines der besten Ergebnisse bei der Wahl eingefahren hatte. Für den EL-Präsidenten Walter Baier war dies ein abgestimmtes Vorgehen: »Das hängt damit zusammen, dass sich im Februar in Kopenhagen eine Reihe von Parteien getroffen und am Rande dieser Konferenz vereinbart hat, aus der EL auszutreten. Sie wollen den Versuch unternehmen, eine neue linke Partei in Europa ins Leben zu rufen.« Dies habe allerdings nur eine Minderheit, der in der dänischen Hauptstadt vertretenen Parteien unterstützt.
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Getroffen hatte sich die Gruppierung mit dem Namen Now the People nicht zum ersten Mal. Bereits seit der EU-Wahl 2019 gibt es den Zusammenschluss, der von Mélenchon initiiert wurde. Im November 2023 folgte eine weitere Zusammenkunft. Auf der Beratung im Februar verabschiedeten die acht Parteien vor allem aus skandinavischen Ländern, aber auch die deutsche Linke, ein Programm für ein »grünes linkes Europa«. Die Punkte darin unterscheiden sich allerdings kaum von der EL-Programmatik – von gerechten Löhnen über fairen Welthandel bis zum Recht auf Wohnen und natürlich Friedenskampf reicht die Palette.
Das Zerwürfnis hatte sich bereits seit einiger Zeit abgezeichnet. Insbesondere nach Putins Überfall auf die Ukraine waren unter den EL-Parteien Differenzen zum Umgang mit dem russisch-ukrainischen Konflikt aufgebrochen – und in deren Folge auch zur Einschätzung der Nato. Während in den nordeuropäischen linken und linksgrünen Parteien angesichts ihrer Nähe zum Konflikt das Militärbündnis teilweise als Sicherheitsgarant wahrgenommen wird und Waffenlieferungen an die Ukraine befürwortet werden, sieht das bei den südeuropäischen Linksparteien ganz anders aus. Auf dem Wahlkongress Ende 2022 in Wien konnten diese internen Konflikte noch eingefangen werden. In der Schlusserklärung wurde mit der Verurteilung der russischen Aggression als Verbrechen und der Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand ein gemeinsamer Nenner gefunden. Die finnische Linksallianz, deren Parlamentsfraktion wenige Monate davor mehrheitlich dem Nato-Beitritts Finnlands zugestimmt hatte, erklärte jedoch vor diesem Hintergrund in Wien, künftig kein Vollmitglied, sondern Beobachterpartei der EL sein zu wollen.
Ohnehin sei die Friedensfrage das zentrale Thema der Europäischen Linken, so Baier. Die Resolution des Europaparlaments, in der der Weg der Ukraine in die Nato für unumkehrbar erklärt und die Mitgliedsstaaten aufgefordert werden, mindestens 0,25 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts aufzuwenden, um ihren militärischen Sieg zu garantieren, hält der EL-Präsident für falsch, auch wenn ihr eine Reihe von Linksparteien zugestimmt haben. Umstritten sei dabei nicht die Verurteilung der russischen Aggression, denn darüber bestehe Einigkeit, und auch nicht die Rüstungslieferungen, da müsse man die Haltung der jeweiligen Parteien akzeptieren. »Die kritische Frage ist, ob dieser Krieg so lange fortgesetzt werden soll, bis die Ukraine den militärischen Sieg davonträgt. Das zeichnet sich nicht ab. Der Verlauf des Krieges mit seinen Opfern und Zerstörungen zeigt vielmehr, dass auf dem Schlachtfeld überhaupt kein Ende absehbar ist. Daher fordern wir eine politisch-diplomatische Lösung und ein Ende der Kämpfe.« Genau dieser Ansatz aber fehle in der EU, wie auch die »Bewerbungsrede« der alten und neuen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gezeigt habe. »Aus all dem folgt für mich, dass die EL ein Friedensbündnis sein muss und sich nicht spalten sollte«, betont Präsident Baier.
Hinter den Differenzen um den Ukraine-Krieg liegt aber auch ein Strukturproblem der EL. Ihre Arbeitsmechanismen entsprechen nicht mehr dem aktuellen Zustand und Zuschnitt des Bündnisses, wie beispielsweise das starre Einstimmigkeitsprinzip. Kritik gibt es laut Baier daran, dass gerade die kommunistischen Parteien, die nun bei den EU-Wahlen schlechter abgeschnitten haben als ihre nationalen Konkurrenten, in den Gremien der EL überrepräsentiert sind.
Inzwischen ist der Konflikt auch im Berliner Karl-Liebknecht-Haus angekommen. In einem Beschluss des Parteivorstands vom 9. Juli wird zwar die Notwendigkeit einer starken Linken in Europa betont, »um die Interessen der Beschäftigten, der Jungen und Alten zu vertreten«. Zugleich wird bedauert, dass »viele wichtige linke Parteien nicht mehr Mitglied« der EL seien. »Oberstes Ziel« der deutschen Linkspartei sei eine »europäische linke Partei mit möglichst vielen starken linken Mitgliedsparteien, die sich austauscht über die riesigen Herausforderungen der Zeit und im besten Fall in der Lage ist, gemeinsam zu handeln.« Daher sei eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen worden, die in dieser Hinsicht Gespräche mit Parteien inner- und außerhalb der EL führt »über die Zukunft einer vereinigten europäischen Linken«. Auf dem kommenden Bundesparteitag wolle man prüfen, den Bezug zur EL aus der Satzung zu streichen. Darin wird die EL-Mitgliedschaft bereits im Paragrafen 1 fixiert.
Auch eine Arbeitsgruppe der EL wird einen Fahrplan zur Erneuerung des Bündnisses ausarbeiten, Mitte Oktober sollen die Ergebnisse vorliegen. Zweifel an der Eignung von Baier, den Reformprozess zu managen, gibt es übrigens nicht – auch wenn dieser betont, seinen Posten zur Verfügung zu stellen, sollten solche aufkommen. Der frühere Chef der linken europäischen Denkfabrik »Transform europe« genießt – nicht zuletzt wegen seiner Krisendiplomatie – EL-weit hohes Ansehen.
Transform europe allerdings selbst ist ebenfalls von der EL-Krise betroffen. Die finanzielle Basis als Europäische Stiftung ist von der Bestätigung durch die Europaabgeordneten auf der EL-Liste abhängig. Dabei ist Transform mit 38 »Unterorganisationen« jedoch breiter aufgestellt als die EL selbst – dazu gehören unter anderem die Rosa-Luxemburg-Stiftung, das Institut »La Boetie« von La France Insoumise, das finnische Leftforum, die Bloco-nahe Cultra oder die Podemos-Stiftung. Daher sieht auch Ko-Präsidentin Cornelia Hildebrandt die Entwicklung in der EL mit Sorge: »Es gibt kein zweites Transform in Europa mit so viel Teamgeist, solidarischer Professionalität, Neugier und Lust am Kampf für Alternativen.«
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