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Zu viel Fokus auf Medaillen: Olympiavierte sind auch erfolgreich
Sportliche Bilanzen von Olympischen Spielen orientieren sich viel zu sehr an Medaillen
Tränen flossen Angelina Köhler übers Gesicht. »Der Vierte ist immer scheiße«, sagte sie ins ZDF-Mikrofon und damit auch allen Zuschauern daheim. Als Weltmeisterin im 100-Meter-Schmetterlingsschwimmen war sie am ersten Olympiawochenende ins Becken gesprungen, als medaillenlose Vierte wieder herausgestiegen. »Es ist supertraurig. Ich habe alles gegeben, und dann ist es der vierte Platz. Das ist immer der erste Verlierer.« Nur eine Stunde später hatte auch ihr Teamkollege Melvin Imoudu über 100 Meter Brust als Vierter angeschlagen. Hatten der Berlinerin noch fast zwei Zehntelsekunden zu Bronze gefehlt, waren es beim Potsdamer nur acht Hundertstel – zu Gold! Von Bitterkeit und Tränen bei ihm aber keine Spur: »Ich kann sehr zufrieden sein. Ich habe gekämpft, um überhaupt ins Finale zu kommen. Es ist, wie es ist«, sagte Imoudu. Wie unterschiedlich Perspektiven doch sein können.
Mittlerweile sind gut zwei Wochen vergangen, die Spiele wurden am Sonntag mit den letzten Wettbewerben und der Abschlussfeier beendet. Es ist die Zeit der Bilanzen, und die hangeln sich sportlich gesehen traditionell am Medaillenspiegel entlang. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hatte sich hier einen Platz unter den besten zehn Nationen zum Ziel gesetzt und konnte dies auf Rang zehn gerade so erfüllen.
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Mit insgesamt 33 Medaillen – zwölfmal Gold, 13-mal Silber sowie achtmal Bronze – hinkten die Athletinnen und Athleten des DOSB ihrem Ergebnis von Tokio 2021, an dem man sich orientieren wollte, etwas hinterher. Damals wurden 37 Plaketten gesammelt. Von den Bilanzen der 90er Jahre ist man ohnehin längst meilenweit entfernt. Ein weiterer Abwärtsschritt also? Auch wenn nicht wenige Kritiker nun wieder das komplette Förderprogramm hinterfragen werden, muss bei näherer Betrachtung nicht unbedingt von einem schlechten deutschen Abschneiden gesprochen werden.
Mit Ausnahme der – wie üblich starken – Gastgeber aus Frankreich und Australien kamen auch die meisten anderen Spitzennationen nicht an ihre Ergebnisse von Tokio heran, obwohl Russland als großer Widersacher weggefallen war. Der Trend, dass sich die Erfolge auf immer mehr Nationen dieser Welt verteilen, weil auch kleinere Länder mal einen talentierten Zweier im Rudern besonders fördern können oder eine Sprinterin auf einem College in den USA zur Weltspitze herantrainieren lassen, setzte sich in Paris weiter fort. Vergleiche mit weit zurückliegenden Jahrzehnten, in denen entweder flächendeckendes Doping oder einfach nur mehr Geld einzelne Nationen überall bevorteilten, sind insofern sinnlos geworden.
Die Willkür der Medaillenzahl
Andere Vergleiche jedoch nicht. Vor allem jene mit individuellen Bestleistungen. Da haben viele deutsche Athleten einen guten Formaufbau bewiesen. Besonders die Schwimmer haben diesen in der Breite diesmal gut hinbekommen und eine ganze Reihe von persönlichen oder sogar deutschen Rekorden gebrochen, obwohl das nur zwei Meter tiefe Becken kaum schnelle Zeiten zuließ, was an der für Olympia eher geringen Zahl der Weltrekorde ablesbar war. Natürlich gab es auch Sportler, die nicht an frühere Glanzleistungen herankamen wie Schwimmer Florian Wellbrock, Schütze Christian Reitz oder Kletterer Alexander Megos. Ein abgerutschter Fuß, und alles war ganz schnell vorbei.
Auch das ist Olympia. Manchmal gewinnt man und manchmal eben nicht. Dass aber vierte Plätze eine Niederlage darstellen sollen, ist eine grundlegende Fehleinschätzung. Es ist zudem völlig willkürlich. Bei den ersten Spielen der Neuzeit 1896 und 1900 bekamen nur die ersten beiden Athleten jeder Disziplin eine Medaille. War damals also der Dritte der erste Verlierer? Im antiken Olympia wurde gar nur der Sieger geehrt.
Die moderne Dreiteilung in Gold, Silber und Bronze hat sich mittlerweile über alle Sportwettbewerbe auch abseits der Olympischen Spiele verbreitet, ihre Willkürlichkeit bleibt dennoch. Der DOSB ist daher gut beraten, auch weiterhin über den Medaillenspiegel hinaus alle Finalplatzierungen, also jene zwischen eins und acht zu zählen. Deutsche Schützen hatten schließlich schon im allerersten Wettbewerb der Olympischen Spiele von Paris den vierten Platz belegt, und danach kamen noch einige dazu. Bis kurz vor Ende der Spiele waren es 15. Sogar 25 mal leuchtete vor der deutschen Flagge auf den Ergebnisbildschirmen eine Fünf. Auch zu den sechst, siebt- oder achtbesten Athleten der ganzen Welt durften sich deutsche Sportler jeweils in zweistelliger Anzahl rechnen. Sollen das wirklich Enttäuschungen sein?
Oder ist es stattdessen nur ein Erfolg, wenn die deutschen Kanutinnen Paulina Paszek und Jule Hake am Freitag Bronze gewinnen, die zeitgleichen Ungarinnen Noemi Pupp und Sara Fojt aber zunächst dahinter platziert wurden, obwohl ein Unterschied nach gut 80 Sekunden Rennzeit selbst in der Zeitlupe mit bloßem Auge nicht erkennbar war? Dass die Deutschen schon nach wenigen Sekunden des Jubelns sofort ihre Kontrahentinnen trösteten, war eine tolle Geste, die zeigte, dass beide Duos Bronze erhalten sollten. Zum Glück kam es dann auch so.
Vier Medaillen also in einem Wettbewerb. Warum denn nicht? Auch vierte Plätze verdienen Anerkennung. Selbst Schwimmerin Angelina Köhler sah das bei aller Enttäuschung schon bald so. »Es hätte nicht besser laufen können. Selbst meine Zeit vom WM-Titel hätte nicht gereicht«, sagte sie und versprach: »Ich werde für Los Angeles 2028 nun noch mal härter trainieren. Noch mal mehr geben.« Schön für sie. Notwendig sollte das aber gar nicht sein.
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