Bahnvorstand: Zurücktreten bitte

Beim angekündigten Personalabbau sollte Bahn-Vorstandschef Richard Lutz mit gutem Beispiel vorangehen, meint Christoph Ruf

Bahnchef Richard Lutz – nach Ansicht von nd-Kolumnist Christoph Ruf eher entbehrlich als Zugbegleiterinnen und Lokführer
Bahnchef Richard Lutz – nach Ansicht von nd-Kolumnist Christoph Ruf eher entbehrlich als Zugbegleiterinnen und Lokführer

Ich gebe es zu: Auch ich habe Claus Weselsky in diesem Jahr schon massiv beschimpft. Nicht aus politischen, sondern aus völlig egoistischen Motiven, versteht sich. Politisch fand ich es natürlich schon immer richtig, mit harten Bandagen zu streiken. Wer zu zahm ist, verdient am Ende weniger. Allerdings fanden auch Menschen, die im Frühjahr auf Seiten der Lokführergewerkschaft GDL waren, damals den Umgangston des Chefs etwas derb. »Unfähige Manager«, gar »Nieten in Nadelstreifen« wähnte Weselsky im Vorstand der Deutschen Bahn.

Was damals ein wenig rumpelig klang, liest sich seit vergangener Woche ganz anders: als sachlich zutreffende Feststellung. Die Pläne des Bahnkonzerns, ausgerechnet im Fernverkehr Personal abzubauen – künftig soll neben dem Zugführer nur noch eine ICE-Begleiterin über 900 Reisende auf 400 Metern Zuglänge betreuen –, zeigen, wie recht Weselsky schon damals hatte. Gemessen daran war seine Wortwahl also sogar ausgesprochen höflich. Er kannte den Laden halt nur schon länger als unsereiner.

In welchem Zustand sich die Bahn spätestens seit diesem Baustellensommer befindet, ist bekannt. Amokläufe gestrandeter Reisender verhindert ausschließlich das bewundernswert freundliche Personal in den Zügen und den Servicecentern. Falls es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Bosse um Vorstandschef Richard Lutz nicht die geringste Ahnung davon haben, was in ihren Zügen los ist, wäre er also nun erbracht. Der selten dumme Slogan dazu – »Mehr Bahn mit weniger Personal« – setzt dem Ganzen die Krone auf. Das ist, als ob Paris beschließen würde, den Eiffelturm, die Kathedrale Note-Dame, die Kirche Sacré-Coeur und die Tuilerien abzureißen und das mit dem Slogan »Mehr Paris mit weniger Steinen« zu bewerben.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

Allerdings versteht man nach dem Publikwerden der Personalabbau-Pläne jetzt immerhin, warum man von der Bahn seit einigen Monaten mit einer an die Zeugen Jehovas erinnernden Penetranz mit Mails bombardiert wird, man solle den »Komfort Check-In« nutzen. Klar, ein Fahrgast, der sich selbst eincheckt, braucht nicht mehr kontrolliert und beraten zu werden. Endlich begreift man den kindlichen Eifer, auch noch die letzte Oma dadurch zu vergraulen, dass man nur noch digitale Bahncards ausgibt. Keine nervigen Fragen mehr von gestrandeten Senioren, kein mühsames Kontrollieren von Fahrscheinen, weil der Esel von Fahrgast den Job vorher freiwillig übernommen hat.

Funktioniert übrigens auch an der Supermarktkasse. Neben ihren gottgleichen Segnungen hat die Digitalisierung nämlich vor allem zwei Zwecke. Erstens: genauso viel Geld zu kassieren, einen Teil der dafür fälligen Leistungen aber dem Kunden aufzubrummen. Und zweitens: Personal abzubauen. Die entsprechenden Worthülsen, von der »Verschlankung der Strukturen« bis zur »Straffung der Abläufe«, haben sie drauf, die Lutzens dieser Republik.

Vor allem aber beherrschen sie die Kunst der, diesmal ganz analogen, Selbstbedienung. Denn natürlich hat sich auch Lutz kürzlich für die Leistungen ausgezahlt, die er nicht erbracht hat: 1,3 Millionen Euro waren es für 2022. Mit gutem Beispiel voranzugehen ist aber eine Kunst, die auch beim Personalabbau gilt. In diesem Sinne, Herr Lutz: Sie wissen, wo die Tür ist. Im Gegensatz zum Personal im Zug braucht bei der Bahn wirklich niemand Leute wie Sie.

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