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Berliner Mauer: Der Schreck sitzt auch nach 63 Jahren tief

Eine Gedenkveranstaltung in der Kapelle der Versöhnung erinnert an den Bau der Berliner Mauer

Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner richtet die Schleife
Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner richtet die Schleife

Das Personal eilt sofort zur Stelle, sobald sich die Tür auch nur einen kleinen Spalt öffnet. »Leise! Leise!«, faucht einer von ihnen, der kaum von der Tür weicht und bewacht, dass sie geschlossen bleibt. Einer Frau rutscht beim Vorbeigehen das Handy aus der Hand, der Teppich auf dem Betonboden dämpft das Fallgeräusch.

Die anderen Gäste sitzen still und gebannt in der Kapelle der Versöhnung an der Bernauer Straße und hören vier älteren Menschen – Hubert Hohlbein, Ralph Kabisch, Joachim Neumann und Eveline Rudolph – zu. Sie haben sich am Dienstagmorgen in der Gedenkstätte Berliner Mauer versammelt, um von der Flucht durch die Berliner Tunnel zu erfahren. Es ist der 13. August, der 63. Jahrestag der Errichtung der Grenzmauer. An der Gedenkveranstaltung nehmen sowohl Zeitzeug*innen und Angehörige als auch Abgeordnete sowie der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) teil.

Es sei »eindrücklich« gewesen, erzählt Eveline Rudolph, die am 14. und 15. September 1962 durch den Tunnel 29 nach Westberlin geflohen ist. Die Erinnerung an die Flucht begleite sie ihr ganzes Leben lang. Sie listet die Namen mehrerer Menschen auf, ohne deren Hilfe sie die Flucht nicht geschafft hätte. Ihre Stimme bebt und bricht mehrmals beim Sprechen. Wir dürften nicht vergessen, »dass die ganze Aktion für alle gefährlich« gewesen sei, mahnt die Zeitzeugin. So seien einige Menschen bei ihren Fluchtversuchen gestorben. Jene, die überlebten, hätten mit Traumata zu kämpfen.

2016 habe sie noch mal einen riesigen Schreck bekommen, als sie Einsicht in ihre Stasi-Akte erhalten habe: Dieser zufolge wurde Rudolph ab 1961 überwacht. Sie mag gar nicht daran denken, »was alles hätte passieren können«, wäre sie in der DDR geblieben. In ihrer Eigenwahrnehmung sei sie eine gewöhnliche Bibliothekstechnikerin an der Humboldt-Universität gewesen, die keine Überwachung nötig hatte.

»So eine Situation darf sich nicht wiederholen.«

Ralph Kabisch Zeitzeuge

Der Akt der Grenzschließung sei »buchstäblich über Nacht« erfolgt, beschreibt Joachim Neumann, ein anderer Zeitzeuge, das Geschehen von 1961. So seien innerhalb nur eines Tages Familien, Freund*innen und Paare voneinander getrennt worden. Für ihn wird der 13. August aus diesem Grund immer »ein einschneidender Tag« sein. Neumann flüchtete am 21. Dezember 1961 mit einem falschen Schweizer Pass nach Westberlin. Dort angekommen, war er an insgesamt sechs Tunnelprojekten zur Fluchthilfe für weitere Menschen beteiligt, unter anderem an Tunnel 29. Dieser führte von einem Fabrikgelände in der Bernauer Straße 78 unter der Mauer hindurch zu einem Keller in der Schonhölzer Straße 7.

Neumann erzählt, dass er viel mit jungen Menschen und Schulklassen über das Erlebte spreche. Der Mauerbau sei für Jüngere eine längst vergangene Geschichte – »wie für uns der Erste Weltkrieg«. Ihn als lebendigen Zeitzeugen zu treffen, mache die Geschichte für junge Menschen allerdings attraktiv: Dies sei interessanter, als es sich von Lehrkräften berichten zu lassen oder aus Büchern zu erfahren. Neumann selbst erlebt im Austausch mit Schulklassen, dass »das Abenteuer eine ganz große Rolle spielt«. Seine persönliche Liebesgeschichte zur damaligen Freundin wecke ebenfalls großes Interesse, scherzt er.

Am Ende der Erzählungen ziehen die Zeitzeug*innen Parallelen zur heutigen Zeit. Rudolph ist sich sicher, dass es immer Menschen geben wird, die ihre Heimat verlassen müssen. Neumann fordert die Anwesenden der Kapelle auf, sich zu überlegen, was sie für die Demokratieförderung tun könnten. Zeitzeuge Hubert Hohlbein betont, dass Demokratie und Freiheit keine Selbstverständlichkeit seien und diese »uns nicht in den Schoß« fallen. Das Erlebte aus der Zeit der Mauer habe in ihm als jungem Mann Spuren hinterlassen, so Zeitzeuge Ralph Kabisch. »So eine Situation darf sich nicht wiederholen«, sagt er. »Nie und nimmer.«

Sobald das Gespräch mit den Zeitzeug*innen endet und die Gemeinschaft die Kapelle hinter sich lässt, steht der Regierende Bürgermeister Kai Wegner im Mittelpunkt. Die Sonne begleitet ihn bis zur bronzefarbenen Gedenkmauer, wo ihn das Presse-Kamerateam erwartet. Nach der Aufforderung »Ich bitte Sie, die Schleifen zu richten« kniet sich Wegner hin und hantiert an dem niedergelegten Kranz herum.

Anschließend ist die Gedenkveranstaltung ohne eine weitere Rede beendet – weder Zeitzeug*innen noch Wegner haben einen Abschlussgruß übrig. Stattdessen lässt sich der Bürgermeister auf Selfies mit Tourist*innen ein, die sich neugierig um das Presse-Tamtam versammelt haben. Für Nichtbeteiligte scheinen die Kameras weitaus interessanter zu sein als der Schrecken der Vergangenheit.

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