- Wirtschaft und Umwelt
- Fahrradmarkt
Nicht mehr kraftvoll in die Pedale
Elektrisch angetriebene Fahrräder boomen – der traditionelle Markt schwächelt
Im Schnitt besitzt jeder Bundesbürger ein Fahrrad. Doch immer weniger wollen kräftig in die Pedale treten. Auf der Leitmesse Eurobike in Frankfurt am Main im Juli wurde unter Werbestrategen über die Benennung des Klassikers heftig diskutiert. Wie soll angesichts des Elektrorad-Booms das ganz normale Fahrrad eigentlich heißen: Muskelrad, Mechanik-Rad, analoges Bike?
Letztlich dürfte es wohl bei »Fahrrad« bleiben. Sein Anteil am Umsatz der Hersteller und Importeure in Deutschland sank im vergangenen Jahr auf zwölf Prozent – der Markt ist zusammengebrochen. Hierzulande wurden nur noch 1,9 Millionen der nicht elektrifizierten Fahrräder verkauft – 2020 hatten noch 3,1 Millionen einen Käufer gefunden. Zudem sanken auch die durchschnittlichen Verkaufspreise, von 494 auf 470 Euro. Noch drastischer eingebrochen ist der Absatz von Kinder- und Jugendfahrrädern. Die Branche spürt, dass der heutige Nachwuchs nur wenig körperlich aktiv ist. Corona und Handys zeigen Wirkung.
In der ganzen Europäischen Union erhielt der Fahrradmarkt zuletzt einen Dämpfer – mit einem Umsatzrückgang von neun Prozent.
Im Ergebnis wurden erstmals mehr E-Bikes als mechanische Fahrräder verkauft. Da die Räder mit Elektromotor weit teurer sind, stieg ihr Anteil am Umsatz der Fahrradindustrie auf sagenhafte 88 Prozent, auch weil die Preise sogar noch stiegen: Der durchschnittliche Verkaufspreis eines E-Bikes kletterte in Deutschland von 2800 Euro um fünf Prozent auf 2950 Euro. Im Vorjahr wurde sogar ein Preisanstieg um 18 Prozent verzeichnet. In Frankreich, wo weit weniger E-Bikes verkauft wurden, lag der Durchschnittspreis um 1000 Euro niedriger. Ein Wachstumstreiber hierzulande waren die überdurchschnittlich teuren E-Lastenräder, deren Absatz sich fast vervierfacht hat, trotz aktueller Sicherheitsdebatte. Inzwischen ist jedes elfte verkaufte E-Bike ein E-Lastenfahrrad. Wie bei der Autoanschaffung stottert ein Großteil der Käufer den Preis per Leasingvertrag ab.
Unterm Strich sieht die Unternehmensberatung EY eine »Trendwende« auf dem E-Bike-Markt. Der Absatz sei in Deutschland 2023 erstmals gesunken, von 2,2 auf 2,1 Millionen, heißt es in der anlässlich der Eurobike veröffentlichten Fahrradstudie von EY (früher Ernst & Young). Letztere bezieht sich auf Angaben des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV).
Nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in der ganzen Europäischen Union erhielt der Fahrradmarkt zuletzt einen Dämpfer – mit einem Umsatzrückgang von neun Prozent. In Deutschland schrumpfte der Umsatz um vier Prozent auf 7,1 Milliarden Euro. Noch stärkere Einbußen gab es auf dem zweitgrößten EU-Markt Spanien, wo der Umsatz um 23 Prozent einbrach. »Wir sehen überall in Europa einen spürbaren Abschwung auf dem Fahrradmarkt«, heißt es bei EY.
Die jüngere Vergangenheit war für die Branche trotz der insgesamt positiven Umsatzentwicklung schwierig. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie gab es ein Auf und Ab. Zunächst folgten Rekordverkäufe und viele Bestellungen, dann brachen die Lieferketten zusammen und es gab erhebliche Lieferprobleme – was Anbieter zu Preiserhöhungen nutzten. Zuletzt normalisierte sich die Nachfrage auf einem niedrigeren Niveau. Gleichzeitig sind die Lagerbestände hoch. Die Folge: Der Wettbewerb nimmt zu, der Preisdruck steigt – und nicht alle Hersteller werden die aktuelle Entwicklung überstehen. Laut einer Umfrage unter Branchenexperten erwarten rund 70 Prozent einen Anstieg der Insolvenzen in den kommenden Monaten und fast 65 Prozent gehen von einer steigenden Zahl von Fusionen und Übernahmen aus.
Rund die Hälfte des Umsatzes mit Elektrorädern in der EU wird in Deutschland gemacht. Eine Erfolgsgeschichte hat so etwa Riese & Müller in Darmstadt geschrieben, einer der ersten Produzenten, der sich vor einem Jahrzehnt ganz auf die E-Mobilität konzentrierte. Laut Firmenangaben hat sich die Zahl der Beschäftigten seither auf über 800 verzehnfacht. Auch kleine Nischenanbieter wie Coboc mit wenigen Dutzend Beschäftigten konnten profitieren. Andere Firmen haben Produktionskapazitäten aus China zurückgeholt. Diese waren nach der Jahrtausendwende nahezu komplett aus Europa nach Asien abgewandert.
Dabei hat sich bei Rahmen, Felgen und Pedalen wenig geändert. Der ZIV in Berlin spricht dennoch wieder von einer »hohen Fertigungstiefe am Wirtschaftsstandort Deutschland«. Wertmäßig stammten ein Drittel aus heimischer Produktion und ein erheblicher Teil der Importe aus der EU. So gelten Antriebe und Akkus vom Stuttgarter Technologiekonzern Bosch in der Branche als Gold-Standard. Produziert werden sie in Ungarn.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.