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Berliner Seepferdchen: Endlich Schwimmer, endlich angekommen
Dank kostenloser Kurse sinkt die Zahl Berliner Nichtschwimmer – doch der Bedarf übersteigt das Angebot
»Oh, scheiße«, ruft ein Junge just in dem Moment, als er vom Startblock im Stadtbad Tiergarten springt. Mit einer sauberen Kerze landet er im Wasser, so wie weitere Kinder links und rechts von seiner Bahn. »Super!«, lobt die Lehrerin ihre Schwimmanfänger*innen. Die Kinder schwimmen ein paar Meter auf ihrer Bahn, bevor sie unter den Trennleinen mit den weiß-roten Schwimmkörpern durchtauchen, aus dem Wasser steigen und erneut zu den Startblöcken laufen, um zu springen.
»Es macht gerade beim Tauchen und Springen einen großen Unterschied, wenn eine Lehrerin direkt danebensteht. Das nimmt Kindern die Angst«, erklärt Johanna Suwelack, Referatsleiterin der Sportjugend Berlin, »nd«. Sie ist am Mittwochvormittag mit weiteren Vertretenden des Landessportbundes, der Berliner Bäder-Betriebe (BBB) und Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) in die frisch sanierte Schwimmhalle direkt neben der Wellnessoase Vabali gekommen, um der Presse die neueste Bilanz der Schwimm-Intensivkurse für Schüler*innen zu präsentieren.
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Finanziert werden die Kurse von der Senatsverwaltung für Bildung. 250 000 bis 300 000 Euro kosten sie das Land pro Jahr, so Schulsportreferent Tillman Wormuth. Die einwöchigen Kurse sind für die Teilnehmer*innen kostenlos. Dafür machen die BBB Bahnen frei in sechs Hallen, die die Sportjugend und der Landessportbund gemeinsam mit dem Schwimmverband organisieren. Durchgeführt wird das Angebot mithilfe von Lehrer*innen aus fünf verschiedenen Schwimmvereinen. Die Kurse richten sich an Schüler*innen der 3. bis 10. Klasse, die an einem Schwimmkurs für die Grundschule oder für die Sekundarstufe eins teilnehmen können. Insgesamt stehen diesen Sommer 3000 Plätze zur Verfügung, darunter solche in inklusiven Kursen an der Fischerinsel und in der Gropiusstadt.
Die Bilanz, die Günther-Wünsch und der Landessportbund ziehen, ist insgesamt positiv: In den ersten drei Wochen der Sommerferien nahmen 1854 Kinder und Jugendliche an den Kursen teil. 373 Schüler*innen erreichten das Seepferdchen, 634 das Bronze- und 198 das Silberabzeichen. Damit sinkt der Anteil an Nichtschwimmer*innen auf 24 Prozent. Nach 2020, dem ersten Pandemiejahr, lag er bei 37 Prozent, vor der Pandemie bei 19 Prozent. Gezählt werden Schüler*innen, die nach Abschluss der 3. Klasse das Schwimmen im Unterricht nicht erlernen konnten. Günther-Wünschs Ziel ist es, den Vor-Pandemiewert zu erreichen, wie sie verkündet.
Für die 649 Kinder und Jugendlichen, die innerhalb dieser Zeit das Schwimmen nicht erlernen konnten, gibt es kein Anschlussangebot. Dafür aber die Möglichkeit, den Kurs zu wiederholen. »Wir erreichen die Familien, die wir wollen«, sagt Günther-Wünsch über das Projekt, das es seit 2018 gibt. Über Schulen und im Netz erreiche man Familien in sechs verschiedenen Sprachen, darunter Farsi, Arabisch, Englisch, Spanisch und Französisch. Laut Suwelack seien die Kurse innerhalb einer Woche ausgebucht. »In den ersten Minuten nach Freischaltung auf der Website gab es schon eintausend Anmeldungen«, sagt sie. Wie lang die Wartelisten seien, wisse der Sportbund nicht.
Dass die Gründe für das Nichterlernen des Schwimmens vielseitig sind und in den vielen Fällen struktureller Natur, erläutert Suwelack vom Jugendsport »nd«: Die meisten Nichtschwimmer*innen gebe es laut der letzten Erhebung 2023 in Spandau, Mitte und Reinickendorf. Das seien Bezirke, in denen viele Kinder und Jugendliche eine Fluchtgeschichte haben oder in Armut leben. Nicht alle Eltern haben laut Suwelack die gleichen Ressourcen, um mit ihren Kindern das Schwimmen zu üben oder den Eintritt im Bad zu bezahlen. Manche sind selbst Nichtschwimmer*innen. Außerdem fehle es in den Schulen an ausgebildetem Personal für den Schwimmunterricht. »Die Klassen sind groß, da kann nicht individuell auf die Bedürfnisse der Kinder eingegangen werden.« In den Intensivangeboten hingegen lernen maximal zehn Kinder pro Kurs.
Seit 2018 hätten laut Suwelack viele Kinder mit Fluchtgeschichte die Intensivkurse besucht. Diesen Sommer wurden in den ersten beiden Ferienwochen erstmalig Schwimmkurse speziell für geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Massenunterkunft Tegel angeboten. Laut Suwelack halte man jedes Jahr ein gewisses Kontingent an Plätzen für geflüchtete Kinder frei.
Thomas Nackel, der seit 1992 bei den BBB arbeitet, findet es sehr wichtig, die Familien miteinzubeziehen. »Am schlimmsten sind aber die Helikoptereltern, die hinter der Scheibe kleben und dem Kind sagen, ›das musst du nicht machen, wenn du nicht willst‹«, sagt er »nd«. Kinder erlernen eben auch Angst in der Familie. Dabei bringe die Bewegung im Wasser auch sehr viel Spaß, wenn die Heranwachsenden lernen, mit der Angst umzugehen.
Gerade für Familien mit Fluchtgeschichte wirke das Schwimmenlernen vielfach integrierend, so Nackel: »Die Kinder kommen hier in Kontakt mit anderen Kindern, die Eltern können vielleicht mal für ein paar Stunden ihre Probleme vergessen und abschalten.« Wenn die Kinder dann Schwimmer*innen geworden sind, nehmen sie die Familie mit ins Freibad und präsentieren ihren Lernerfolg. Für den Schwimmlehrer sind Freibäder und Schwimmhallen Schmelztiegel. »Da treffen diverse Kulturen und Backgrounds zusammen.«
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