Bangladesch sucht neue Stabilität

Übergangsregierung bringt UN- Untersuchungskommission zum Sturz von Sheikh Hasina auf den Weg

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 4 Min.
Hindus demonstrieren gegen die Gewalt, die sie in Bangladesch seit dem Sturz von Sheikh Hasina erfahren.
Hindus demonstrieren gegen die Gewalt, die sie in Bangladesch seit dem Sturz von Sheikh Hasina erfahren.

Genau eine Woche ist es diesen Freitag her, seit die von Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus (84) angeführte Interimsregierung in Dhaka ihre Arbeit aufgenommen hat. Erste zentrale Entscheidungen sind bereits getroffen. So wurde angeordnet, dass alle wochenlang geschlossenen Unis ab 18. August wieder den Lehrbetrieb aufnehmen sollen. Auch der Intercity-Zugverkehr im Land, so eine Meldung vom Donnerstag, ist nach einem Monat Zwangspause wieder im Gange. Derweil geht es mit Neubesetzungen auf wichtigen Posten weiter. Einen unbelasteten neuen Polizeichef hatte es schon kurz nach dem Regierungssturz gegeben. Die offizielle Zahl der Todesopfer seit Mitte Juli ist zuletzt auf mehr als 500 nach oben korrigiert worden. Seit dem Sturz der bisherigen Ministerpräsidentin Scheik Hasina sind dann vermehrt Hindus Opfer von Gewalt geworden, die Hasina mehrheitlich unterstützten und etwa acht Prozent der 170 Millionen Einwohner Bangladeschs ausmachen.

Der Chef des Höchstgerichts, Obaidul Hassan, und fünf weitere Höchstrichter sowie der Zentralbankchef hatten seit Wochenbeginn ihren Rücktritt eingereicht. Ein Nachfolger für den Leiter des Obersten Gerichtshofs wurde bereits ernannt. Noch vakant ist derzeit der Chefposten der Zentralbank, die gerade Liquiditätsbeihilfen an neun Geschäftsbanken im Land storniert hat.

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UN-Untersuchungskommission auf dem Weg

Am Mittwochabend (Ortszeit) haben Yunus, der offiziell die Funktionsbezeichnung Chefberater führt, und Volker Türk, der österreichische UN-Hochkommissar für Menschenrechte, miteinander telefoniert. Vereinbart wurde, dass kommende Woche ein Team der Vereinten Nationen erwartet wird. Es soll die Gewaltakte rund um den Sturz der Regierung von Sheikh Hasina am 5. August und auch schon im Vorfeld beim Vorgehen gegen die Studierendenproteste unabhängig untersuchen. Wie die »Dhaka Tribune« in einer Meldung unter Berufung auf UN-Stellen schreibt, handle es sich seit dem Unabhängigkeitskrieg 1971 um das erste Mal, dass eine solche Mission für Bangladesch aufgelegt wird.

Unterdessen laufen nach Klagen von Hinterbliebenen mehrerer Todesopfer der Gewaltexzesse und Angehörigen von Vermissten bereits Ermittlungen der nationalen Justiz gegen Hasina, eine Handvoll ehemaliger Minister sowie die einstige Regierungspartei Awami-Liga (AL) und deren Frontorganisationen wie die Studierendenvereinigung Chhatra League. Die Mehrzahl der Fälle dürfte vor dem International Crimes Tribunal landen. Das ist ein Sondergerichtshof, der 2009 zur Bearbeitung von Fällen aus dem Unabhängigkeitskrieg 1971 eingerichtet worden war. Die dort nun gegen Hasina und enge Getreue ergangenen Anklagen reichen bis zum Vorwurf von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und sogar Genozid.

»Revolution der Studierenden«

Yunus hatte in seinen ersten Statements explizit von einer »Revolution der Studierenden« gesprochen, die sich da ereignet und dem 175-Millionen-Einwohner-Land einen kompletten Neustart ermöglicht habe. Für diese Darstellung spricht, dass die Organisation Students Against Discrimination (SAD), die die Massenroteste anführte, mit ihren zwei namhaftesten Anführern direkt in der Übergangsregierung sitzt und weiter eine treibende Kraft ist.

Unsicherheiten über die Interpretation der jüngsten Ereignisse, die eine seit 15 Jahren amtierende, zunehmend autoritäre Regierung zum Rücktritt zwangen, hat eine indische Zeitung geschürt. Die »Economic Times« berief sich dabei auf ein Schriftstück, das angeblich Hasina selbst unmittelbar vor ihrer Flucht als Redemanuskript verfasst hat und in dem den USA eine Beteiligung unterstellt wird. Hintergrund seien die Auseinandersetzungen um St. Martins Island alias Kokosnuss-Insel gewesen. Das ist ein nur drei Quadratkilometer großes Atoll mit 3700 Bewohnern, wenige Kilometer vor Bangladeschs Küste an der Grenze zu Myanmar. Die US-Regierung habe Druck ausgeübt, dort eine Luftwaffenbasis bauen zu dürfen, um von dieser strategisch wertvollen Bastion den kompletten Golf von Bengalen kontrollieren zu können. Hasina habe sich dem widersetzt. Das hatte schon früher die einheimische Zeitung »The Daily Star« geschrieben. Deswegen hätten die US-Amerikaner ihren Sturz betrieben, um am Ende die konservative Oppositionsführerin Begum Khaleda Zia als willfährige Partnerin in Dhaka für solche Pläne zu installieren, heißt es nun bei der »Economic Times«. Aus dem Weißen Haus kam ein Dementi. Auch Hasinas Sohn, Sajeeb Wazed Joy, wies diese Zuordnung des Dokuments unter Berufung auf seine Mutter zurück. Joy hat in den vergangenen Tagen indischen und internationalen Medien rund zwei Dutzend Interviews gegeben. Er fiel dabei negativ durch sich teils widersprechende Aussagen zu diversen Punkten auf.

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