Zukunft der Linken: Eine sozialistische Gestaltungspartei

Ein Plädoyer für einen demokratischen Sozialismus mit scharfen Zähnen

  • Martin Schirdewan
  • Lesedauer: 8 Min.
Die Linke muss sich neu erfinden – ihre Funktion als antineoliberale Sammlungsbewegung scheint an ein Ende gekommen zu sein.
Die Linke muss sich neu erfinden – ihre Funktion als antineoliberale Sammlungsbewegung scheint an ein Ende gekommen zu sein.

»In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod.« Alexander Kluge

In der Politik ist wenig in Stein gemeißelt. Das haben zuletzt die Wahlen in Frankreich deutlich gemacht. Statt des extrem rechten RN gewann – für viele überraschend – die linke Volksfront eine Mehrheit der Parlamentssitze. Das ist ein Hoffnungszeichen, weit über die Grenzen unseres Nachbarlandes hinaus. Der Wahlsieg in Frankreich, aber auch der linke Erfolg bei den Europawahlen in Italien oder Skandinavien zeigt, dass eine Linke gewinnen kann, die klare Kante gegen rechts zeigt und zugleich den Mut zu Richtungsentscheidungen hat.

Natürlich: Europa- und Kommunalwahlen haben eine massive Rechtsverschiebung gebracht – und historisch schlechte Ergebnisse für Die Linke. Das gilt nicht nur, aber besonders im Osten. Die Wahlen zeigen, dass es der extremen Rechten in die Hände spielt, wenn demokratische Parteien den rechten Kulturkampf bedienen und soziale Themen vernachlässigen. Bezogen auf die deutsche Linke zeigt die Wahl auch die Folgen einer jahrelangen Zerrüttung.

Aber es wäre zu einfach, hier die Verantwortung für das schlechte Wahlergebnis abzuladen. Wir haben – und ich nehme mich dabei nicht aus – zu lange gewartet, unsere Rolle als Linke neu zu begründen. Das ist entscheidend, weil die Funktion als antineoliberale Sammlungsbewegung an ein Ende gekommen zu sein scheint. Wir haben auch nach der Abspaltung der Gruppe um Wagenknecht versucht, auf der Basis des Kleinsten gemeinsamen Nenners, soziale Gerechtigkeit, erfolgreich zu sein. Tatsächlich steht Die Linke spätestens jetzt vor einer Richtungsentscheidung. Die Frage ist: Nehmen wir als moderne linke Partei die Herausforderungen einer krisenhaften Weltordnung an und wollen sie glaubwürdig gestalten oder versuchen wir, ihnen aus dem Weg zu gehen?

Martin Schirdewan
Martin Schirdewan, Vorsitzender der Partei Die Linke, spricht be...

Martin Schirdewan ist seit Juni 2022 Ko-Vorsitzender der Linkspartei. Die Linke steckt tief in der Krise und braucht dringend einen neuen Aufbruch. Aber wie und wohin? Schirdewan skizziert in diesem Beitrag Wege und Entwicklungrichtungen. Er ist der Auftakt zur nd-Debattenserie »Die Linke – vorwärts oder vorbei?«

Die Linke hat eine Zukunft, aber weder als rein aktivistische Bewegungs- noch in der Rückwendung zur traditionellen Ostpartei oder gar einem BSW light. Die Linke muss sich als sozialistische Gestaltungspartei aufstellen und konkrete Reformprojekte entwickeln. Das heißt, wir müssen die explodierende Ungleichheit angehen und so Verlässlichkeit im Wandel schaffen und dabei insbesondere den Osten im Blick behalten. Wir müssen zum Treiber eines sozialen Politikwechsels werden.

Der Markenkern der Linken bleibt der Kampf für soziale Gerechtigkeit. Wir haben im Europawahlkampf für eine »Zeitenwende für soziale Gerechtigkeit« geworben und die Verteilungsfrage ins Zentrum gestellt. Umso bitterer ist unser Ergebnis. Wir müssen feststellen: Unsere Wahlstrategie ist nicht aufgegangen. Warum?

Wahlentscheidende Themen neben der Frage sozialer Sicherheit waren Friedenssicherung und Zuwanderung. Beides Themen in denen wir zwar eine klare Haltung (Abrüstung & Flüchtlingssolidarität) zeigen, es uns aber jeweils an glaubwürdigen Konzepten fehlt. Wie oft mussten wir uns im Wahlkampf mit dem Einwand auseinandersetzen, dass unser Fokus auf soziale Gerechtigkeit richtig sei, wir aber in den großen Fragen der Zeit zu abstrakt oder naiv wirken? Nicht zuletzt, weil die Krisen zu einer Neusortierung der Parteienlandschaft führen. Rechts neben einem technokratischen Zentrum stehen inzwischen eine faschistoide AfD und ein rechtsoffenes, aber links blinkendes BSW. Beide versuchen auf unterschiedliche Weise, Proteststimmen populistisch abzufischen und an das autoritäre Modell von Putin & Co anzudocken. Dagegen kann eine demokratisch-sozialistische Partei nicht durchdringen, wenn sie versucht, dieselbe Klaviatur von links zu bespielen.

Das haben die Wahlen auch gezeigt: Wer angesichts der Krisen auf nationalen Egoismus, Personenkult und Autoritarismus setzte, ging zu AfD oder BSW. Wer hingegen von Sozialdemokraten und Grünen enttäuscht war, kam trotzdem kaum zu uns. Deswegen ist es nicht nur wichtig zu sehen, wofür die Linke gewählt wird, sondern auch, warum nicht. Dabei steht die Außenpolitik ganz oben. Hier muss also etwas passieren. Es gilt die Gründe zu reduzieren, die Menschen von einer Wahl der Linken abhalten. Nicht – um das beliebte Missverständnis gleich auszuräumen – indem wir unsere Grundwerte, wie die Friedens- und Flüchtlingspolitik, schleifen, sondern indem wir sie politisch wirksam, konzeptionell glaubwürdig und uns weniger angreifbar machen.

»Vorwärts oder vorbei?«: Debattenserie über die Krise in der Linkspartei
25.08.2018, Sachsen, Hoyerswerda: Wimpel der Partei Die Linke mi...

Die Linkspartei steckt tief in der Krise, braucht neues Führungspersonal und dringend einen neuen Aufbruch. Aber wie und wohin? »nd« startet eine Debattenserie über Probleme und Perspektiven: »Die Linke – vorwärts oder vorbei?« Alle Texte der Serie finden Sie hier.

Die gute Nachricht ist: Wir fangen nicht bei null an, sondern können vom sozialistischen Glutkern der Linken ausgehen. Nur wir streiten für Gleichheit als Grundwert und finden uns mit dem Kapitalismus nicht ab. Nur wir stellen als Klassenpartei die Eigentumsfrage und sind bereit, uns mit Reichen und Konzernen anzulegen. Die Alternative lautet also – anders, als es die öffentliche Debatte nahelegt – nicht »Naivität oder Autoritarismus«. Sozialistische Politik in der Vielfachkrise des (post-)fossilen Kapitalismus ist keine idealistische Veranstaltung. Sie braucht scharfe Zähne und Bereitschaft zum Durchgreifen. 

Bei den sozialen Themen ist das relativ einfach zu konkretisieren: mutige Umverteilung für soziale Sicherheit, ordnungspolitische Eingriffe in den Markt (wie mit einem Mietendeckel) sowie eine Investitionswende für bezahlbares Wohnen, Gesundheit, Bildung, Klimaschutz und gute Arbeit statt Schuldenbremsen-Diktat. Entscheidend ist zum einen die stärkere Fokussierung auf wenige, gut kommunizierbare Forderungen. Zum anderen müssen wir unsere Wirtschaftskompetenz verbessern. Es braucht eine linke Wirtschaftspolitik, die die volkswirtschaftliche Wertschöpfung weiterentwickelt, um die Grundlagen des Wohlstands und damit auch eines Sozialstaats mit Zukunft zu stabilisieren. Das heißt: im Dialog mit Gewerkschaften, Zivilgesellschaft und Bewegungen eine aktiven Industriepolitik durchsetzen und klimagerechten wie digitalen Umbau voranbringen – und so auch den abgehängten Teilen des Landes wieder eine Perspektive geben. Ostkompetenz beweist sich genau hier, in der demokratischen Steuerung des Umbaus im Heute, nicht in der Beschwörung einer besseren Vergangenheit. Und die vielen praktischen Ideen für eine Stärkung von »Die Linke hilft« und Erneuerungsquoten oder ähnliches lassen sich damit gut verbinden.

Nehmen wir die Herausforderungen einer krisenhaften Weltordnung an und wollen sie glaubwürdig gestalten oder versuchen wir, ihnen aus dem Weg zu gehen?

Zugleich brauchen wir dringend eine programmatische Weiterentwicklung an den kontroversen Fragen der Zeit: Einwanderung und Frieden. Denn hier spaltet sich das linke Potenzial oft, weil die Widersprüche real sind. Klar ist: Wir stehen als Partei für die Gleichheit aller Menschen und legen bei Völkerrechtsbrüchen keine Doppelstandards an, egal von wem sie ausgehen. Doch das reicht nicht. Wir müssen diese richtigen Haltungen jetzt auch in realitätstaugliche Konzepte übersetzen.

Beispiel Einwanderung: Hier sollten wir die richtige Betonung von Menschenrechten mit einem konkreten Konzept für die Organisation von Einwanderung verbinden. Wir sollten offensiv über ein linkes Einwanderungskonzept sprechen, das Zuwanderung organisiert, Teilhabe und Arbeit ermöglicht und soziale Integration befördert anstatt Stacheldraht hochzuziehen. Denn das ist nicht nur menschenrechtlich ein Skandal, sondern – Bodo Ramelow hat zuletzt immer wieder darauf hin gewiesen – auch für die Mehrheitsgesellschaft schädlich. Hier kann ein linkes Gestaltungsangebot der rechten Abschottungskoalition und jenen, die sich – wie SPD und Grüne – von ihr immer weiter treiben lassen, eine konkrete Alternative entgegenstellen.

Ähnliches gilt für unsere Außenpolitik, die unter den Bedingungen neuer Kriege und Konflikte in einer multipolaren Weltordnung glaubwürdig sein muss. Die Bedrohung durch Putins Regime ist, wie der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen die Ukraine auf bittere Weise zeigt, real. Eine kooperative Sicherheitsarchitektur in Europa muss zwar das langfristige Ziel bleiben, aber sie wird nicht kurzfristig erreichbar sein. Wir brauchen daher eine linke Vision einer eigenständigen EU-Sicherheitspolitik.

Dabei bleiben unsere antimilitaristische Ausrichtung und viele Forderungen – wie die Ablehnung von Waffenexporten – richtig. Der Kampf gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht kann die Friedensbewegung sogar wieder in die Vorhand bringen. Aber wir brauchen insgesamt ein plausibles Sicherheitskonzept jenseits des Dogmatismus.

Wir brauchen dringend eine programmatische Weiterentwicklung an den kontroversen Fragen der Zeit: Einwanderung und Frieden.

Knapp skizziert: Frieden braucht innen wie außen zunächst ein soziales Fundament. Deswegen fordern wir Investitionen in soziale Sicherheit, den wirtschaftlichen Umbau und die öffentliche Daseinsvorsorge. Statt wie die Ampel ausgerechnet an der Entwicklungszusammenarbeit zu kürzen, um Aufrüstung und Militarisierung vorantreiben zu können, sollten wir die soziale Stabilisierung der Nachbarn Europas ins Zentrum rücken. Das ist keine moralische Frage, sondern eine von Gerechtigkeit und Vernunft. Die EU-Armeen sollten strikt auf Landesverteidigung und Nichtangriffsfähigkeit verpflichtet werden. Dann ist die Verteidigung auch ohne Aufrüstung organisierbar. Außerdem gilt es auch hier Marktversagen zu korrigieren: Wenn Sicherheit ein öffentliches Gut ist und wir zumindest mittelfristig nicht ohne Abschreckung auskommen, sollten wir das Geschäft mit dem Krieg beenden – und die Rüstungsindustrie in der EU verstaatlichen. So beugen wir der Verselbstständigung des militärisch-industriellen Komplexes vor und stellen sicher, dass sich keine Profiteure mehr an Konfrontation und Eskalation bereichern.

Nötig ist zudem insgesamt eine EU, die glaubwürdig für eine Weltordnung jenseits der Blockkonfrontation eintritt. Eine EU, die ohne Doppelstandards für das Völkerrecht eintritt, wäre auch eine EU, die wirksam Druck auf Putin ausüben und Sanktionen durchsetzen kann. Gerade in Bezug auf die Ukraine braucht es eine breite diplomatische Allianz von Brasilien bis China, um Putins Regime endlich wirksam zu isolieren. Ich habe gerade in Peking genau dafür geworben. Natürlich hat Russland aktuell kein Interesse an Verhandlungen, aber es ist von der Unterstützung durch Ländern wie China abhängig. Ziel bleibt ein schnelles Ende des Angriffskrieges unter Wahrung der ukrainischen Souveränität. Aber um das international stark zu machen, braucht es eigenständige wirtschaftliche Kooperationsangebote an den globalen Süden, statt weiter im Windschatten der USA und ihrer Interessenpolitik zu segeln.

Es gibt nun keine sinnvolle Alternative mehr dazu, im Angesicht der Krisen zu entscheiden, in welche Richtung wir als Partei programmatisch weitergehen wollen. Aber was für eine sozialistische Partei wären wir auch, wenn wir zwar die Welt verändern wollen, uns aber vor der Realität drücken und uns nicht selbst ändern können? Dann würden wir unserer historischen Verantwortung nicht gerecht werden. Wir haben jetzt die Chance, Die Linken in der größten Volkswirtschaft Europas wieder stark zu machen. Nutzen wir sie.

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