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Kokosnuss-Kamala
US-Politiker sein heißt, Skandale zu produzieren. Kamala Harris und Tim Walz bleiben dabei noch blass
Howdy aus Texas, liebe Lesende,
Glauben Sie, dass Sie gerade aus einer Kokospalme gefallen sind? Sie existieren im Kontext all dessen, was Sie umgibt und was vor Ihnen war. Nein, ich bin nicht verrückt geworden, das ist ein mehr oder weniger direktes und mittlerweile legendäres Zitat von Kamala Harris, die vergangenes Jahr, in einer Rede im Weißen Haus, wiederum ihre indische Mutter zitierte. Aus diesem Zitat wurde kurzerhand auf Tiktok ein Techno-Track fabriziert. Dabei wollte Harris nur auf die Bedeutung von kulturellem Zusammenhalt in Minderheiten-Communities hinweisen. Ein Jahr später, als Joe Biden ankündigte, nicht noch einmal als Präsident zu kandidieren, und Harris als seine Nachfolgerin ausrief, heilte die Aufnahme dieser Ansprache aus Versehen die Massen, dem Netz sei Dank: Kamala, wie einst Kim Kardashian, durchflutete das Internet, und zwar nicht nur mit ihrer Kokospalmen-Metapher, sondern auch mit ihrem crazy Lachen. Die Republikaner lachten über sie, die Demokraten mit ihr, und zwar so laut, wie sie es zum letzten Mal beim Betrachten von Obamas und Bidens Bromance-Memes getan hatten.
News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.
In der amerikanischen Politik geht es, wie in jedem Land, mehr oder minder um Taten, aber das US-Volk braucht auch Internetphänomene ̶ Memes, GIFs, Remixes und Stitches. Wenn Sie mit den Netztermini nicht mitkommen: nicht schlimm. Ich finde Beispiele, mit denen Sie relaten können: Erinnern Sie sich noch an das Medientamtam um Bill Clintons Fellatio? Keine andere sexuelle Handlung ist je zuvor medial so ausgeschlachtet worden ̶ und sehr wenige nach ihr ̶ , das deutsche Pendant dazu war wohl die Besenkammer (was war das für eine irre Story und wozu erhielt ich im Jahr 2000 als Kind von den Medien technisches Wissen rund um den Samenraub?).
Monica, die Ex-Geliebte des Staatsoberhauptes, ist typisch amerikanisch. Sie schrieb nach dem Skandal ein Buch, machte Werbung für ein Abnehmprogramm, trat im TV auf und designte Handtaschen: Sie monetisierte ihren Ruhm wie jeder US-Influencer heutzutage (passend auch, dass sie dieses Jahr ein Comeback als Werbegesicht der Bloggermarke Reformation feierte). Und früher, da waren die Skandale der US-Politiker auch nicht besser: Präsident Kennedys Affären sorgten schon zu seinen Lebzeiten für Furore und noch heute, Jahrzehnte später, kommen immer mehr intime Details über seine übermenschliche Virilität gepaart mit einer enormen physischen Gebrechlichkeit ans Tageslicht.
Aber auch abgesehen vom Sex dominieren amerikanische Präsidenten die weltweiten Skandale. George W. Bush hat nicht vorhandene Massenvernichtungswaffen aufgedeckt, Richard Nixon, unter dessen Regierung viele psychisch Kranke aus Institutionen entlassen und somit in die Obdachlosigkeit gedrängt wurden (ein Problem, das sich über die Jahre nur verschlimmert hat), bescherte uns auch noch Watergate, der geschminkte und colorierte Ronald Reagan war verantwortlich für Irangate (Waffenschmuggel, Stärkung der Konterrevolutionäre ̶ das Übliche), und ein Jahrhundert zuvor gab es Ulysses S. Grant mit seinem »Whiskey Ring«, in dem seine Kumpane Millionen Dollar aus der Branntweinsteuer veruntreuten. Nicht mal alle Vizepräsidenten können sich benehmen: So schoss Dick Cheney bei der Wachteljagd in Texas auf einen Anwalt. Donald Trump passt hervorragend in dieses Bad-Boy-Bild mit seinen Affären, kriminellen Machenschaften und der ganzen Schminke.
Doch nun scheint sich ein großer Teil der US-Bürger nach Normalität zu sehnen. Kamalas »Running Mate«, also der potenzielle zukünftige Vize Tim Walz, könnte deutscher Politiker sein (und ist es genetisch teilweise): Er hat keinen Style, ist für Waffenkontrollen ̶ und so bescheiden, dass er nicht einmal Aktien oder Immobilien besitzt. Kamala Harris scheint ebenfalls bodenständig: Sie hat bisher niemanden angeschossen und höchstens ein seltsames Lachen vorzuweisen. Trumps Running Mate J.D. Vance warf ihr politische Inkompetenz vor, da sie keine Mutter sei. Braucht sie auch nicht sein: Schauspielerin Drew Barrymore erklärte Kamala in ihrer Talkshow kürzlich zur »Momala«. Als Deutsche (und Merkelfan) kann ich nur sagen: Bitte mehr Techno, mehr Kokosnuss-Philosophie und definitiv mehr Mutti!
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