Überstunden verschärfen Ungleichheit

Forscherinnen warnen vor drohender Mehrbelastung für Frauen durch Ausweitung des Acht-Stunden-Tages

Überstunden belasten vor allem Frauen. Die Pläne der Bundesregierung dürften die Geschlechter-Ungleichheit verschärfen.
Überstunden belasten vor allem Frauen. Die Pläne der Bundesregierung dürften die Geschlechter-Ungleichheit verschärfen.

Mit der sogenannten Wachstumsinitiative plant die Bundesregierung die kriselnde Wirtschaft anzukurbeln. Zur Bekämpfung des Arbeitskräftemangels ist auch eine Ausweitung des Acht-Stunden-Tages vorgesehen. Demnach sollen Zuschläge für Mehrarbeit, die über die Vollzeitarbeit hinausgehen, steuer- und beitragsfrei gestellt werden. Die Regierung wolle »Lust machen auf die Überstunde«, sagte Finanzminister Christian Lindner (FDP) zu den Plänen. Doch neben allgemeinen gesundheitlichen Risiken durch eine höhere Arbeitsbelastung benachteiligt das Vorhaben vorrangig Frauen, wie aus einer Analyse des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) hervorgeht.

»Forderungen nach längeren Erwerbsarbeitszeiten ignorieren die Lebensrealitäten vieler Frauen«, kritisiert Yvonne Lott, Expertin für Arbeitszeiten und Geschlechterforschung am WSI. Sie übernehmen nach wie vor einen Großteil der unbezahlten Sorge- und Pflegearbeit und arbeiten daher häufiger in Teilzeit als Männer. Laut Zahlen des Statistischen Bundesamtes waren das im Jahr 2023 etwa die Hälfte der Arbeiterinnen. Unter Männern arbeiteten nur knapp 13 Prozent in Teilzeit.

Teilzeitbeschäftigte aber sind von den Steuervergünstigungen für Überstunden ausgenommen. Denn profitieren soll nur, wer länger als die tarifliche Wochenarbeitszeit von 34 Stunden arbeitet. In nicht tarifgebundenen Verhältnissen sind es 40 Stunden. Dadurch profitieren Männer im Schnitt stärker von den Anreizen, wie aus der WSI-Analyse hervorgeht. Leisten diese jedoch mehr Überstunden, hätten sie noch weniger Zeit für Kinderbetreuung und Hausarbeit, hebt Lott hervor. Das wiederum würde durch ihre Partnerinnen aufgefangen, was eine zusätzliche Belastung für Frauen zur Folge hätte.

Und selbst für Arbeiterinnen, die in Vollzeit beschäftigt sind, sei es wegen der Mehrbelastung durch die Pflege- und Sorgearbeit unrealistisch, Überstunden zu leisten. Vor allem, wenn sie Berufen mit einer hohen Arbeitsbelastung nachgehen. Zu befürchten sei vor diesem Hintergrund eine weitere Ausweitung der Einkommensschere zwischen den Geschlechtern. Die liegt laut Statistischem Bundesamt schon jetzt bei knapp 18 Prozent.

Um daran etwas zu ändern, sei eine Stärkung der partnerschaftlichen Arbeitsteilung und der Frauenerwerbsarbeit notwendig, unterstreicht Sozialforscherin Lott. Daher sei es zwar richtig, die Steuerklassen III und V abzuschaffen, wie die Bundesregierung angekündigt hat. Die begünstigen derzeit eine konservative Arbeitsteilung in Ehen. Doch der Schritt sei »nicht ausreichend, wenn die geplanten Maßnahmen gleichzeitig drohen die Geschlechterungleichheiten zu verschärfen«. Die Anreize für Mehrarbeit gingen »in die völlig entgegengesetzte Richtung«, kritisiert sie.

Auch die anvisierten Investitionen in die Kinderbetreuung müssten umfassender sein, die laut Regierung insgesamt 4 Milliarden Euro betragen sollen. Das reiche aber nicht aus, um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und differenzierte Lohn- und Karrierewege zu ermöglichen, kritisiert Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI. Die Unterfinanzierung führe zu Personalausfällen und eingeschränkten Betreuungszeiten, die in erster Linie von Frauen aufgefangen würden.

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