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Das größte Problem der Linkspartei: Sie traut sich nichts
Viel zu oft verhält sich Die Linke, als wäre sie noch eine Volkspartei, die niemandem weh tun darf, meint Raul Zelik
Zu den großen Problemen der Linkspartei gehört es, dass bei jedem denkbaren Anlass »Strategie«debatten eröffnet werden, in denen alle sagen, was sie immer schon gesagt haben. Zu den beliebtesten Begriffen in diesem Zusammenhang gehören »schonungslos«, »Paradigmenwechsel«, »Erneuerung«, »Gestaltungspartei« oder »Machtoption«. Die einen wollen auch bei Umfragewerten von drei Prozent noch weiter Richtung Regierungsbeteiligung orientieren, die nächsten glauben, man müsse den Osten zurückerobern, die dritten predigen eine Politik an der Seite von Bewegungen, die bisweilen schon gar nicht mehr existieren.
Es steht zu befürchten, dass auch diesmal wieder derartige Texte verfasst werden. Dankbar muss man vor diesem Hintergrund für den Einleitungssatz aus dem Abschiedspapier von Janine Wissler sein: »Um Strategien zu entwickeln … muss man sich als Erstes die gesamtgesellschaftliche Situation und die Veränderung von Kräfteverhältnissen anschauen.« In der Tat: In einer Zeit, in der der neoliberale Mainstream, Faschist*innen, aber auch gewichtige Teile des so genannten progressiven Lagers – gegeneinander und doch vereint – jedes solidarische Prinzip sturmreif schießen, hat die Linke nur zwei Optionen: Sie kann sich entweder an den Zeitgeist anbiedern oder einsam gegen den Sturm segeln. Ersteres versucht die BSW mit bisher beachtlichem Erfolg, aber auf Kosten aller Prinzipien, denn eine Partei, die die Spaltung in gute und schlechte Arme betreibt, erledigt am Ende das Geschäft der Rechten. Entscheidet man sich hingegen dafür, dem Zeitgeist konsequent zu widersprechen, hat man als Wahlpartei wenig zu lachen. Nach der (richtigen) Erkenntnis, dass die neue Nato-Begeisterung der Grünen nicht minder gefährlich ist als der Deutsch-Chauvinismus der AfD, bleiben nur noch wenig Verbündete. Eine Partei, die konsequent zu allem nein sagt, was im Augenblick als gesellschaftlich »normal« gilt, wird oft sehr allein sein.
Insofern ist die Krise der Linken kurz- und mittelfristig vermutlich überhaupt nicht zu lösen. Egal, für welchen Kurs die Partei sich entscheidet – auf eine schnelle Belohnung der Wähler*innen darf sie nicht hoffen.
Wenn man der Linken dennoch etwas vorwerfen kann, dann ist es der Umstand, dass sie in Anbetracht ihrer Krise viel zu behäbig reagiert. So hält die Partei immer noch an der Idee eines linken »Green New Deal« fest, obwohl die entsprechenden Reformbewegungen in Großbritannien, den USA, Griechenland und Spanien längst besiegt und der Begriff endgültig von der neoliberalen EU-Technokratie gekapert ist. Zwei Jahre nach Beginn des russisch-ukrainischen Krieg gibt es immer noch keine Idee, wie man sich der Militarisierung Deutschlands und der Begeisterung für den ukrainischen Patriotismus konsequent widersetzen, zugleich aber auch scharf gegen den Putinismus Position beziehen kann. Oder Israel/Palästina: Obwohl das genozidale Ausmaß der israelischen Kriegführung in Gaza kaum noch zu leugnen und die Repression gegen die Anti-Kriegs-Proteste in Deutschland skandalös ist, duckt sich die Partei aus Angst vor internen Konflikten auch in dieser Frage weg.
Vielleicht ist das das größte Defizit der Linken: Sie ist zu langsam, zu mutlos, zu wenig pointiert. Viel zu oft verhält sie sich, als wäre sie noch eine Volkspartei, die niemandem weh tun darf. Egal, welches Personal jetzt kommt: Die Linke muss schneller, bissiger, aufsässiger werden. Da Michail Gorbatschow den berühmten Satz nie gesagt hat, darf man ihn bedenkenlos zitieren: »Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.«
Raul Zelik war 2016–2021 Mitglied im Parteivorstand der Linken.
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