Die Furie weltweit auflodernden Hasses

Werner Fritsch über die Hydra Krieg und Kunst als neue »vierte Gewalt«

  • Interview: Thomas Irmer
  • Lesedauer: 5 Min.
Werner Fritsch, ein aufmerksamer Zeitgenosse, der um geschichtliche Hintergründe weiß
Werner Fritsch, ein aufmerksamer Zeitgenosse, der um geschichtliche Hintergründe weiß

Sie sind einer der ganz wenigen Autoren der Bundesrepublik, die Anfang der 80er Jahre Grundwehrdienst in der Bundeswehr leisteten – ähnlich wie die Soldaten in der NVA mit der Erfahrung, dass in einem Atomkrieg eine konventionelle Armee höchstens zwei oder drei Tage lang noch eine Rolle spielen würde. Ist das wirklich von Bedeutung für die politische Diskussion?

Ja, lieber Doktor Irmer, wir hätten Anfang der 80er im Ernstfall aufeinander geschossen! Vorsicht: Ich war der beste MG-Schütze meiner Kompanie! Ruhig Blut! Ich bin mit Songs wie »Masters of War« von Bob Dylan oder Sentenzen von Frank Kappa – »Politik ist nur die Unterhaltungsabteilung der Rüstungsindustrie« – groß geworden. Damals waren alle meiner Generation Pazifisten. Der Satz des amerikanischen Poeten Carl Sandburg stand an jeder Mauer: »Stell dir vor es ist Krieg – und keiner geht hin!«

Was war denn Ihre Erfahrung damals?

Nach dem Abitur 1980 ging ich zum Militär, um darüber zu schreiben. Ostmark(!)-Kaserne Weiden. Welch ein Kontrast! Einige Wochen vorher hat man noch im Deutsch-Leistungskurs über Demokratie gesprochen ... Und plötzlich bist du als Demokrat in einer Diktatur, die dich ausbildet, Leben auszulöschen, Landschaften zu verstrahlen auf Jahrtausende et cetera.

Interview

Werner Fritsch, 1960 in Waldsassen/Oberpfalz geboren, hat seit den 90er Jahren insgesamt 44 Theaterstücke geschrieben, dazu Hörspiele und Prosa. Von seinem 24-Stunden-Film »Faust Sonnengesang« sind vier von insgesamt acht Teilen fertig­gestellt. Das Werk wie auch andere im Gespräch genannte Stücke sind bei Suhr­kamp als DVDs und als Bücher erschienen.

Der Theaterregisseur Stephan Suschke hat in einem viel diskutierten Beitrag in der »Berliner Zeitung« darauf hingewiesen, dass die derzeitige Regierung vor allem aus einer einst pazifistischen Generation Westdeutschlands stammt, die keinerlei Berührung mit dem Militär hatte und jetzt ziemlich fahrlässig auf Kriegsoptionen zusteuert.

»Die größte Gefahr sind heute Leute, die nicht wahrhaben wollen, dass das jetzt anhebende Zeitalter sich grundsätzlich von der Vergangenheit unterscheidet.« Max Planck 1947! Nach Hiroshima. Augenscheinlich geht von Denk-Panzer-Papageien ohne Militärdiensterfahrung die größte Gefahr in der Geschichte der Menschheit aus. Ex negativo naturgemäß.

1992 veröffentlichten Sie das Stück »Fleischwolf«, das im Untertitel sogar »Gefecht« heißt und in einer Rotlichtbar in der Nähe eines Truppenübungsplatzes die Entmenschlichung durch das Militär schildert. Später haben Sie in »Steinbruch« die Innenwelt eines Soldaten im Einsatz geschildert. Für beide Stücke bleibt die Aussage, dass die Militärmaschine immer Verrohung und Gewalt hervorbringt – statt der offiziell beschworenen »Bürger in Uniform«. Was stellen diese Stücke dar?

Die Reihenfolge ist diese: Nach der Militärzeit – damals 1980 waren dies in der Bundesrepublik 456 Tage – führte ich 1981 in der Altstadtgalerie Weiden mein Aktionstheaterstück »Steinbruch« auf. Erst im Jahr 2000 wurde »Steinbruch«, von Patrick Schimanski am Nationaltheater Mannheim realisiert, nach Mülheim eingeladen. Es ist der Monolog eines Soldaten auf Manöver. Aber im Zeitalter der Atombombe ist dies absurdes Theater. Das vielfigurige Stück »Fleischwolf« entstand, das Notizbuch immer in der Seitentasche der Uniformhose. Das Sprachmaterial kommt, so was kann man nicht erfinden, als O-Ton aus dem Militär. Laut Wolfgang Koeppen ist es »der ungeheuerlichste Text der Edition Suhrkamp«.

Und wie war die öffentliche Reaktion auf das Stück?

Im September 1992 wurde »Fleischwolf« am Schauspiel Bonn uraufgeführt. Etwa 30 Theater wollten dann das Stück bringen. Denn es war das Jahr von Hoyerswerda. Es gab jedoch einen Theaterskandal: Niemand im Westen Deutschlands wollte wahrhaben, dass es Rechtsradikalismus auch in Westdeutschland gab. Die 30 Theater sprangen ab. Erst Jahre später wurden rechtsradikale Fälle bei der Bundeswehr ruchbar, und »Der Spiegel« bat mich, meine Erfahrungen in einem Essay darzulegen. Da schreibe ich über Antisemitismus und unkommentierte Nazipropagandafilme im »Politischen Unterricht«. Der »Spiegel«-Text ist im Netz zu finden unter »Unbesiegbar im Morgengrauen«.

Dabei blieb es nicht.

Der von mir selber am Schauspiel Bonn uraufgeführte Monolog »Sense« schildert den Krieg in der Ukraine vor 80 Jahren aus der Sicht eines alten Bauern, noch immer erotisch besessen von den Ukrainerinnen, zugleich traumatisiert vom großen Morden. Angesichts des Irak-Krieges schrieb ich »Hydra Krieg«. Das Stück kreist um Medea, Jason und die Argonautenfahrt als Raubzug, der zeitenübergreifend einen islamistischen Terrorakt provoziert. »Hydra Krieg« wurde in Linz uraufgeführt mit Käthe Reichel, der Muse Bertolt Brechts.

Das Theater, das ansonsten jede Aktualität schnell aufgreift, scheint sich heute schwerzutun mit der Kriegsthematik. Was würden Sie vorschlagen in einer Situation, da ein wie auch immer gearteter Pazifismus kaum noch zu halten ist und zugleich die Kriegs- und Drohrhetorik beängstigend wirkt?

Theater! Die Stimme des Menschen seit Aischylos. Da die Medien immer weniger die Stimme des Menschen, sondern immer mehr die der Macht sind, ist die Kunst jetzt die neue »vierte Gewalt«.

In Ihrem monumentalen Filmgedicht »Faust Sonnengesang« sind Sie auf allen Kontinenten verschiedenen Mythologien auf der Spur, die gleichsam die ersten und letzten Dinge der Menschen erzählen. Hat sich dieses utopische Projekt eines weltreisenden Fausts durch die gegenwärtige Situation verändert? 

Im Gegenteil! Es ist wichtiger denn je! Ich versuche in »Faust Sonnengesang« angesichts der Furie des weltweit auflodernden Hasses das Verbindende zwischen Menschen auf fünf Kontinenten zu zelebrieren, nicht das Trennende wie das die Politik – Divide et impera – tut. Denn die rund um den Globus gesendeten Bilder eines nicht nur Menschen, sondern auch die Umwelt vernichtenden Krieges töten Zukunft. Sie sehen: Ich rechne mit allem – und hoffe das Beste!

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