Werbung

Der Mann als Krieger

»Prinzip Held*. Von Heroisierungen und Heroismen« – Notizen zu einer Ausstellung im Militärhistorischen Museum

  • Stefan Berkholz
  • Lesedauer: 5 Min.
Es zündelt und züngelt – in der Heldenausstellung in Berlin-Gatow
Es zündelt und züngelt – in der Heldenausstellung in Berlin-Gatow

»Wer braucht Superhelden?«, fragte die österreichische Philosophin Lisz Hirn mit ihrem Buch bereits vor vier Jahren. Und erklärte dazu jüngst in einem Interview: »Wenn ich in einer Demokratie Helden brauche, habe ich eigentlich ein Problem.« Denn in einer Demokratie sei schließlich jeder selbst verantwortlich für ein friedvolles Miteinander, jeder habe sich zu engagieren, jeder Stellung zu beziehen, so anstrengend und zermürbend dies auch sein mag.

Helden hingegen hätten »etwas unglaublich Entlastendes«, erklärte die Philosophin. Hinter einer solchen Figur könne sich ein Zuschauer bequem zurücklehnen und sich sagen, die mache das schon; verehren und hochleben lassen könne man Helden, um selbst seine Ruhe zu haben; Gegner könnten rein virtuell bekämpft werden. So werden Helden zu Opfern und Entlastungsgestalten.

Da kommt eine Ausstellung unter dem Titel: »Prinzip Held*. Von Heroisierungen und Heroismen« daher. Sie gilt als Schlusspunkt einer zwölfjährigen Forschung in der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, seit 2012 gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Und die Frage stellt sich, in dieser seltsamen Formation: Benötigen wir wieder echte Helden in einer »kriegsertüchtigten« (Pistorius-)Zeit?

Der Ausstellungsort ist nicht ohne: Er nennt sich Militärhistorisches Museum und ist auf dem ehemaligen Flugplatz Berlin-Gatow untergebracht. In den 1920er Jahren zunächst als Segelfluggelände genutzt, bauten die Nazis das Gelände Mitte der 30er Jahre zum Militärflugplatz aus, am 1. November 1935 von Hitler persönlich eingeweiht. Später wurde der Diktator von dort regelmäßig nach Berchtesgaden geflogen.

Von April bis Juni 1945 besetzte die Rote Armee den Flugplatz, danach die Royal Air Force der Briten. Im Juni 1994 wurde der Flugbetrieb eingestellt, die Bundeswehr übernahm das Gelände; seit 1995 ist dort das Militärhistorische Museum eingerichtet, betrieben vom Bundesministerium der Verteidigung.

Auf dem Rollfeld ist eine Auswahl aus dem Vernichtungsarsenal der Waffenfabrikanten aufgereiht: Jagdflugzeuge, Jagdbomber, Atomwaffenträger, Flugabwehrmaschinen. Insgesamt mehr als 200 Flugzeuge, Hubschrauber und Raketen. Ist eine solche Ausstellung eher abschreckend oder begeisternd? Viele Väter laufen mit ihren Söhnen über das Gelände …

In einem denkmalgeschützten Flugzeughangar ist die Sonderausstellung »Prinzip Held*« bis zum November untergebracht. Verschiedene Kapitel und Installationen, luftig in der großen Halle zusammengestellt, labyrinthisch, so nennen die Ausstellungsmacher ihr Konzept.

Zugrunde liegen verschiedene »Bausteine« der Freiburger Wissenschaftler, deren Thesen auf Schrifttafeln angebracht sind. Eine heroische Figur benötige immer ein Publikum, sonst würde sie nicht bekannt werden, lautet die erste These. Dieses Publikum, diese Gruppen und Gemeinschaften seien emotional und affektiv, schlössen jene aus, die nicht ihnen angehörten oder angehören sollten.

Die Kommunikation (oder auch Propaganda) erfolge über die Medialisierung, also das Weitertragen einer Geschichte oder Erinnerung. »Damit Helden Helden werden, muss von ihnen berichtet werden.« Heroisierung sei Polarisierung, sie schaffe Gemeinschaften und teile die Welt in Anhänger und Gegner, ein Dazwischen gebe es nicht.

Heroisierungen seien immer mit Kampf und Grenzüberschreitungen verbunden. Jedes Handeln werde zum Kampf erklärt. Helden oder Heldinnen zeichne eine besondere Handlungsmacht aus. Sie handeln »intensiver, schneller, effektiver und vor allem wirkungsvoller und bedeutsamer«; »woran andere zerbrechen: Das halten sie aus.«

Benötigen wir wieder echte Helden in einer »kriegsertüchtigten« (Pistorius-)Zeit?

Sodann können Helden oder Heldinnen zu Vorbildern werden, die leitmotivisch zur Selbstfindung und Erziehung beitragen könnten. Und schließlich der letzte Baustein: Maskulinität. Der Heldenmythos sei nun mal seit der Antike »überwiegend mit Männern verbunden«. Der Mann als Krieger.

In der Ausstellung werden Namen und Fallbeispiele angerissen. Greta Thunberg oder Edward Snowden, Claus Schenk Graf von Stauffenberg oder Li Wenliang, jener chinesische Arzt, der als einer der Ersten vor dem Coronavirus warnte und später daran starb. Kapitel stehen unter Überschriften wie »Helden und Widersprüche – Stürze von Kolonialdenkmälern«, »Kollektives Heldentum – Helden der Arbeit«, »Wirtschaftskrieger – Elon Musk und Mark Zuckerberg«.

Es ist eine Denk-Ausstellung. »Anordnungen, Konstellationen aus Objekten und Reproduktionen«, erklären die Kuratoren, »keine illustrative Deutbarkeit, sondern Texte, die einen gedankenspielerischen Tief- und Umgang anbieten.«

Im Begleitbuch ist von gefallenen und gestürzten Helden die Rede, von Identifikationsfiguren und Hassobjekten, von moralischen Siegern und tragischen Helden, von Stellvertretern und Märtyrern, von Nationalhelden und Kriegsveteranen. »Heldengeschichten blenden vieles aus«, heißt es in einem der Essays. Und: »Was sagt es jeweils über uns und was tun wir, wenn wir Held:innen hervorbringen, haben oder brauchen?«

»Friedenserziehung gelingt durch das Hinterfragen von Heldenbildern«, sagte der Journalist Heribert Prantl kürzlich in einem Interview. Anfang des Jahres veröffentlichte er ein Buch unter dem Titel: »Den Frieden gewinnen. Die Gewalt verlernen.«

Übrigens: Die Philosophin Lisz Hirn wird mit ihrem Buch »Wer braucht Superhelden?« im üppigen Literaturverzeichnis der Freiburger Wissenschaftler nicht erwähnt.

»Prinzip Held*. Von Heroisierungen und Heroismen«, Flugplatz Berlin-Gatow, bis 3. November, Di bis So 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei; gleichnamiger Katalog (dt./engl.), Wallstein, 264 S., geb., 28 €.
Lektüretipps:
Lisz Hirn: Wer braucht Superhelden? Was wirklich nötig ist, um unsere Welt zu retten. Molden-Verlag, 160 S., geb., 22 €;
Heribert Prantl: Den Frieden gewinnen. Die Gewalt verlernen. Heyne, 240 S., geb., 20 €.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.