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Späte, sehr späte Helden

»Das deutsche Alibi« – Ruth Hoffmann über die Instrumentalisierung der Hitler-Attentäter

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 5 Min.
Stauffenberg (l.) mit Hitler vor dem "Führerbunker"
Stauffenberg (l.) mit Hitler vor dem "Führerbunker"

Acht Jahrzehnte bipolare Interpretation: Der 20. Juli 1944, das vor 80 Jahren gescheiterte Attentat auf Hitler in der Wolfsschanze im besetzten Polen, war Jahrzehnte ein Instrument für politisch zweckdienliche Instrumentalisierung. Ein breites Bündnis aus überwiegend adligen Wehrmachtsoffizieren und Zivilisten aus verschiedenen politischen Lagern hatte sich unter größter Geheimhaltung verschworen, den Tyrannenmord als letztes Mittel zur Abwendung der finalen Katastrophe Deutschlands zu wagen. Der Krieg war zu diesem Zeitpunkt für die Nazis längst verloren, viele deutsche Städte lagen in Trümmern, Millionen Soldaten und Zivilisten waren tot, weitere sinnlose Opfer für Hitlers Weltherrschaftspläne sollte es nicht mehr geben.

Die 1973 geborene Publizistin Ruth Hoffmann erzählt in ihrem rechtzeitig zum Jubiläum erschienenen Buch die Vorgeschichte und das Scheitern des als Befreiungsschlag gedachten Putschversuches und dessen wechselvolle Rezeptionsgeschichte im geteilten Nachkriegsdeutschland neu. Ihre Darstellung folgt wissenschaftlichen Ansprüchen und gerät zu einer kritischen deutschen Geschichte der letzten 80 Jahre. »Das deutsche Alibi« titelte Ruth Hoffmann ihre Darstellung. Sie fasst Altes und Bekanntes zusammen und spiegelt in der Behandlung des 20. Juli die nahezu beliebige Interpretierbarkeit historischer Fakten. Wer die Macht hat, verfügt auch über die Deutungshoheit bezüglich historischer Vorgänge. Letztlich aber setzt sich die Wahrheit durch.

Hitler und seine Mordgehilfen, karrieresüchtige Militärs und Juristen nebst fanatischen Propagandisten, schworen blutige Rache an den Attentätern und ihren Mitverschworenen sowie Sympathisanten. Als Erste starben Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine engsten Mitstreiter, erschossen kurz unmittelbar nach ihrer Verhaftung im Hof des Bendlerblocks, Sitz des Oberkommandos der Wehrmacht und Schauplatz der dramatischen Ereignisse jenes denkwürdigen Tages. Heute befindet sich in dem Gebäudekomplex in der Berliner Stauffenbergstraße, der zum Bundesverteidigungsministerium gehört, die Gedenkstätte Deutscher Widerstand.

Die Verunglimpfung der Attentäter durch die Nazis lebte in Nachkriegs-Westdeutschland weiter. Sie hätten ihren auf den »Führer« geleisteten Eid gebrochen und Verrat an ihrem Land geübt. Jahrelang wurden sie diffamiert und überlebende Familienangehörige geächtet, Wiedergutmachungszahlungen verweigert, während die Mordrichter dicke Pensionen kassierten. In einem aufsehenerregenden Strafverfahren, das der später durch den Auschwitzprozess in Frankfurt am Main berühmte hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer in Braunschweig eingeleitet hatte, wurde immerhin erstmals gerichtlich festgestellt, dass »das Dritte Reich zu keiner Zeit ein Rechtsstaat gewesen sei«. Der bereits im Jahr des Machtantritts von Hitler inhaftierte und 1936 emigrierte deutsch-jüdische Jurist hatte darauf beharrt, dass es Aufgabe und Pflicht der Staatsanwaltschaft und der Richter eines demokratischen Rechtsstaates sei, »die Helden des 20. Juli ohne Vorbehalt« zu rehabilitieren. So geschah es im Urteil: »Ein Unrechtsstaat ist nicht hochverratsfähig.«

Inzwischen kam es jedoch zur Wiederaufrüstung in Adenauers Republik. Der Kalte Krieg lief auf Hochtouren. Gehorsam und Eidestreue gehörten wieder zu den soldatischen Grundtugenden. Da störten die Militärs vom 20. Juli. Dennoch, vor allem auf Druck aus dem Ausland wurden sie nun offiziell als Zeugen des »besseren Deutschland« gefeiert. Im Gegensatz zu Sozialdemokraten und Kommunisten, die von Anfang an Widerstand geleistet hatten, als Erste massenhaft in den Konzentrationslagern verschwanden und ermordet wurden, wie Ruth Hoffmann beklagt. Die Autorin verweist in dem Kontext auf das Bemühen der Attentäter um eine möglichst breite Basis und betont, sie hätten keine Berührungsängste gegenüber aus der Arbeiterbewegung stammenden Verbündeten gehabt. Vor allem der »Kreisauer Kreis« nicht, auf den die Autorin gründlich eingeht. Es gab sogar Kontakte zur »Roten Kapelle«, die in der Bundesrepublik über Jahrzehnte als eine von Moskau gesteuerte Spionageorganisation diffamiert wurde.

Die Erinnerungspolitik blendete Tatsachen, die nicht genehm waren, aus. Die »Helden des 20. Juli« wurden zu einem Alibi, dass die Deutschen eigentlich keine Nazis waren. Sie wurden alljährlich zum Jahrestag des Attentats gefeiert. Der Konsens über die »Vorzeigbarkeit« der Hitler-Attentäter als Vorläufer und Vorbilder für die westdeutsche Demokratie reiche bis in die AfD hinein, schreibt Ruth Hoffmann. Ihre Feststellung, dass erst der Bochumer Historiker Hans Mommsen über die politischen Lebenswege der Attentäter aufklärte, die früh den Aufstieg Hitlers und des Nationalsozialismus begrüßt und in den Plänen für die Zeit nach einem geglückten Attentat keineswegs demokratische Grundsätze verankert hätten, ist jedoch mal wieder westdeutscher Brille geschuldet. Tatsache ist allerdings, dass sich nunmehr das Urteil über die militärisch-adligen Verschwörer in der Bundesrepublik erneut wandelte, sie vor allem in der studentischen Jugend als Befürworter und Stützen des Regimes angesehen wurden.

Es blieb bei den offiziellen Feiern, abwechselnd fanden die Rekrutenvereidigungen im Hof des Bendlerblocks und vor dem Reichstag statt. Die bei solchen Anlässen gehaltenen Reden sorgten für manchen Skandal; manche vorgesehenen Redner, wie Herbert Wehner, verzichteten auf ihren Auftritt, der ehemalige, blutbefleckte NS-Marinerichter Filbinger hingegen nicht.

Ruth Hoffmann unternimmt auch Ausflüge in die DDR, in der die Attentäter durchaus geehrt, aber auch sehr kritisch gesehen wurden. Sie vertraten eine nationalkonservative Grundeinstellung, waren beileibe keine vorbildlichen Demokraten und standen lange Zeit der NS-Ideologie und den Zielen der Nazis positiv gegenüber. Umso höher, so Ruth Hoffmann, seien ihre Wandlung und ihre Bereitschaft zu werten, unter Aufopferung ihres Lebens dem als verbrecherisch erkannten Treiben des Diktators ein Ende zu setzen. Spät, sehr spät wandelten sie sich zu Helden.

Ruth Hoffmann: Das deutsche Alibi. Mythos »Stauffenberg-Attentat« – Wie der 20. Juli verklärt und politisch instrumentalisiert wird. Goldmann, 400 S., geb., 24 €.

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