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Krawalle in Großbritannien: Starmers harte Hand kommt an
Großbritanniens neuer Premier besteht bei Krawallen erste Bewährungsprobe
Die »Operation Early Dawn«, frühe Morgendämmerung, läuft seit einer Woche. Gemäß diesem Notfallplan können Angeklagte für längere Zeit in Polizeistationen inhaftiert werden, bis Platz in einem Gefängnis frei wird. Der Plan wurde vor geraumer Zeit ausgearbeitet – die Krise der hoffnungslos überbelegten englischen Strafanstalten hat schon vor Monaten die Alarmglocken läuten lassen. Aber dass die Operation gerade jetzt beginnt, hat einen offensichtlichen Grund: Seit den rechtsextremen Krawallen, die das Land Anfang August erfassten, ist das Justizsystem richtig heiß gelaufen. Bislang sind fast 1000 Krawallmacher verhaftet worden. In vielen Fällen sind die Urteile schnell gefällt worden, viele Straftäter müssen mehrjährige Haftstrafen absitzen. »Schnelle Gerechtigkeit«, hat der Premierminister nach den Unruhen versprochen. »Auf jene, die sich an den Krawallen beteiligt haben, wird die volle Kraft des Gesetzes niedergehen«, sagte er.
Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung dieses harte Vorgehen weitgehend unterstützt. Laut einer neuen Erhebung des Instituts More in Common halten 46 Prozent die Strafen für angemessen, 27 Prozent sagen, sie hätten härter ausfallen müssen; demgegenüber meinen nur 17 Prozent, die Urteile seien zu harsch. Manche Erhebungen deuten auch darauf hin, dass sich die insgesamt eher enttäuschenden persönlichen Zustimmungswerte Keir Starmers zuletzt verbessert haben.
Breiter Konsens gegen Krawallmacher
Die Krawalle waren die erste Bewährungsprobe für den neuen Premierminister – und er scheint sie ganz gut gemeistert zu haben. So sieht es auch Sunder Katwala. Der Politikexperte ist der Chef des Thinktanks British Future, der sich vornehmlich mit Migration und Integration befasst. »Es gibt einen breiten Konsens in der britischen Bevölkerung, dass man gegen die Krawallmacher hart vorgehen soll.« Auch viele Linke, die normalerweise eher zurückhaltend sind bei Fragen von Recht und Ordnung, unterstützen das kompromisslose Vorgehen, weil es es sich bei den Straftätern um Rassisten und Rechtsextreme handelt.
Weit schwieriger ist es, die tieferen Wurzeln der Straßengewalt anzugehen. »Dieses Thema ist in der öffentlichen Debatte sehr umstritten«, sagt Katwala. »Die Linke wird sagen, dass sozioökonomische Ursachen ausschlaggebend seien, die Rechte hingegen hält das Ausmaß der Migration für wichtiger.« Es stimmt zwar, dass die Nettozuwanderung in den vergangenen Jahren auf Rekordwerte gestiegen ist: 2023 kamen unter dem Strich annähernd 700 000 Menschen nach Großbritannien. Das liegt unter anderem daran, dass einzelne Branchen im großen Stil Arbeitskräfte aus Übersee rekrutiert haben, etwa Pflegerinnen und Pfleger. Dazu kommt, dass in den vergangenen Jahren viele Menschen aus Hongkong und der Ukraine hier Zuflucht gesucht haben.
Zwei Prozent sind hartgesottene Rassisten
Aber Katwala glaubt nicht, dass das Ausmaß der Einwanderung den Boden bereitet hat für die Krawalle. »Es geht mehr um die Wahrnehmung einer kulturellen Gefahr, die von Asylbewerbern und Muslime ausgehen soll. Das ist ein separates Thema, das oft [mit Migration] vermischt wird.« Jene Briten, die solche Vorurteile haben, seien jedoch in den vergangenen Jahren immer weniger geworden, sagt Katwala – »sie verschwinden aus dem politischen System«. Genau das sei ein entscheidender Grund, weshalb sie gewalttätiger geworden sind – ein Aufbäumen gegen die zunehmende Irrelevanz.
Katwala geht von etwa zwei Prozent der Bevölkerung aus, die hartgesottene Rassisten sind. Nichts, was die Regierung macht – Asylbewerber abschieben oder die Grenzen dicht machen – wird sie beeindrucken. Aber es gebe eine größere Gruppe von Menschen, die gewisse Sympathien mit den Krawallmachern haben. Sie sorgen sich möglicherweise wegen Asylbewerbern, die in ihren Städten und Dörfern untergebracht werden, oder haben Vorurteile gegenüber Muslimen. Mit solchen Leuten müsse man reden, sagt Katwala. »Zum Beispiel, indem man über die Erfahrung mit Asylbewerbern spricht, die in ihrer Stadt untergebracht werden.« Auch sozioökonomische Themen seien dabei entscheidend. Das heißt: Wie ist der Zustand der öffentlichen Dienste, des Arbeitsmarkts, der Gesundheitsfürsorge und so weiter. Denn viele der Städte und Ortschaften, in denen Anfang August die rassistische Gewalt aufflammte, leiden seit Jahrzehnten an Unterinvestitionen. Es hat eine tiefe Desillusionierung von der Politik eingesetzt.
Noch hat Keir Starmer keine Strategie vorgelegt, um diese tieferen Missstände anzugehen. Eine Schwierigkeit besteht darin, dass sich Labour ein enges fiskalisches Korsett angelegt hat. Das heißt, es wird wohl keine größere öffentliche Geldspritze geben.
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