Anschlag in Solingen: Suche nach Sündenböcken

Die Rufe nach Konsequenzen überschlagen sich nach dem Anschlag von Solingen

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Nach der Messerattacke auf dem Solinger Stadtfest haben Menschen in der Nähe des Tatortes ein Schild aufgestellt mit dem Wappen von Solingen und der Aufschrift »Es muss was passieren! Politik und Deutschland wacht endlich auf«.
Nach der Messerattacke auf dem Solinger Stadtfest haben Menschen in der Nähe des Tatortes ein Schild aufgestellt mit dem Wappen von Solingen und der Aufschrift »Es muss was passieren! Politik und Deutschland wacht endlich auf«.

Berlin. Nach dem verheerenden Messerattentat von Solingen werden die Rufe nach strengeren Abschieberegelungen lauter. CDU-Chef Friedrich Merz richtete seine Worte direkt an Kanzler Olaf Scholz (SPD) und forderte einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan in Deutschland. Der Oppositionsführer schrieb in seinem E-Mail-Newsletter »Merz-Mail«: »Nach dem Terrorakt von Solingen dürfte nun endgültig klar sein: Nicht die Messer sind das Problem, sondern die Personen, die damit herumlaufen. Spätestens seit diesem Wochenende ist klar: Es reicht. Jetzt ist der Bundeskanzler gefragt«, schrieb Merz. Er wiederholte bekannte Unionsforderungen wie Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan. Weitere Flüchtlinge aus diesen Ländern dürften nicht aufgenommen werden.

Scholz hatte im Juni nach dem tödlichen Messerangriff von Mannheim, bei dem ein Polizist von einem in Deutschland lebenden Afghanen getötet wurde, angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen Gefährdern nach Afghanistan und Syrien wieder zu ermöglichen. Das ist umstritten, weil es in beiden Staaten immer wieder zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit kommt.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat die Forderung von Merz umgehend zurückgewiesen. Viele seiner Vorschläge seien nicht umzusetzen, weil das Grundgesetz ihnen entgegenstehe, sagte Kühnert im ARD-»Morgenmagazin«. Das gelte zum Beispiel für das individuelle Recht auf Asyl. »Die Antwort kann doch nicht sein, dass wir Menschen, die selber vor Islamisten fliehen, weil sie von denen für ihre Lebensweise verfolgt werden, jetzt die Tür vor der Nase zuschlagen.«

Man müsse sich jetzt anschauen, warum die Abschiebung des mutmaßlichen Täters nach Bulgarien nicht geklappt habe. »Zuständig sind für Abschiebungen in Deutschland die Länder, das wäre in diesem Fall Nordrhein-Westfalen gewesen.« NRW müsse jetzt die Fakten auf den Tisch legen, warum nicht gehandelt worden sei.

Der nordrhein-westfälische Innenminister (CDU) hat parteiübergreifende Gespräche über eine Begrenzung der Zuwanderung vorgeschlagen. Er brachte dazu am Montag im Deutschlandfunk eine Art »Runden Tisch« ins Gespräch – um über eine weitere Begrenzung der Zuwanderung zu sprechen.

Hintergrund für die Rufe nach Gesetzesverschärfungen dürften auch die im September anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sein. Politiker in Ampel und Union befürchten ein weiteres Ansteigen der dort ohnehin hohen Zustimmungswerte für die AfD.

Der mutmaßliche Täter des Messerangriffs befindet sich inzwischen in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl sei erlassen und in Vollzug gesetzt, teilte der Generalbundesanwalt in Karlsruhe mit. Dem verdächtigten 26-jährigen Syrer wird neben Mord und versuchtem Mord auch die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland vorgeworfen. Er teile die Ideologie des IS, heißt es.

Nach seiner Festnahme warnt die Linke vor einer generellen Schuldzuweisung an Menschen mit Migrationshintergrund. Bundesgeschäftsführer Ates Gürpinar betonte die Notwendigkeit, Einzelfälle zu beurteilen. »Hektischer Aktionismus und Rufe nach hilflosen Kollektivbestrafungen erreichen das Gegenteil von dem, was nötig ist«, sagte er der »Rheinischen Post«. »Gruppen von Unbeteiligten für die Taten Einzelner verantwortlich zu machen, war noch nie eine Lösung.«

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) versprach dagegen gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe: »Wir werden als Staat auf diesen terroristischen Akt mit aller notwendigen Härte antworten und die islamistische Bedrohung konsequent bekämpfen.« Es werde intensiv darüber beraten, welche Instrumente zur Bekämpfung von Terror verschärft werden müssten »und welche Befugnisse unsere Sicherheitsbehörden in diesen Zeiten brauchen, um unsere Bevölkerung bestmöglich zu schützen«.

Bundesjustizminister Marco Buschmann kündigte Verhandlungen über das Waffenrecht für Messer an. »Wir werden nun in der Bundesregierung darüber beraten, wie wir den Kampf gegen diese Art der Messer-Kriminalität weiter voranbringen«, sagte der FDP-Politiker der »Bild am Sonntag«. Bisher hat die FDP Vorschläge von Faeser zu schärferen Verboten abgelehnt. Agenturen/nd

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