Debatte nach Solingen-Attentat: »Willkommenskultur ist vorbei«

Friedrich Merz will für Migrationsbegrenzung sogar das Grundgesetz ändern. Und auch Sahra Wagenknecht fordert eine »Zeitenwende der Migrationspolitik«

Friedrich Merz (CDU), Alice Weidel (AfD) und Sahra Wagenknecht (BSW): Die drei Parteichefs fordern eine weitere Verschärfung der Migrationspolitik von Olaf Scholz.
Friedrich Merz (CDU), Alice Weidel (AfD) und Sahra Wagenknecht (BSW): Die drei Parteichefs fordern eine weitere Verschärfung der Migrationspolitik von Olaf Scholz.

CDU-Chef Friedrich Merz und die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht scheinen sich an diesem Dienstag einig: Sie beide haben die mutmaßlich islamistische Messerattacke von Solingen zum Anlass genommen, um Bundeskanzler Olaf Scholz zu Verschärfungen in der Migrationspolitik aufzufordern. Wagenknecht aus der Ferne, Merz im direkten Gespräch mit Scholz im Kanzleramt. Was dabei herauskam, verkündete der CDUler allerdings alleine.

Schon am Sonntag hatte sich Merz in einem offenen Brief direkt an den Kanzler gewandt: »Herr Bundeskanzler, wir sehen uns ohnehin in dieser Woche«, schrieb er in seinem Newsletter. »Ich fordere Sie auf, mit uns zusammen schnell und ohne weitere Verzögerungen Entscheidungen zu treffen, die konsequent darauf ausgerichtet sind, weitere Terroranschläge wie den vom letzten Freitag in unserem Land zu verhindern.«

Am Freitag hatte Merz konkret einen Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan gefordert. Die Bundesregierung hatte jedoch am Montag klargemacht, dass sie Forderungen nach einem generellen Aufnahmestopp für Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan für nicht verfassungsgemäß hält. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte: »Das würde gegen das Grundgesetz und mutmaßlich auch gegen EU-Menschenrechtsverordnungen verstoßen.«

Friedrich Merz wäre »zur Lösung des Migrationsproblems« allerdings auch zu einer Änderung des Grundgesetzes bereit, erläuterte er am Dienstag in der Bundespressekonferenz seine Forderungen. »Es gibt kein Tabu, wir können über alle Regeln reden,« sagte er auf eine entsprechende Frage.

Um die Zuwanderung nach Deutschland »zu begrenzen«, will Merz bereits in der nächsten Sitzungswoche im Bundestag fraktionsübergreifend Gesetzesänderungen auf den Weg bringen. Er setze dabei auf ein gemeinsames Vorgehen »mit den Teilen der Koalition, die guten Willens sind«, sagte er und verwies dabei auf eine Mehrheit von Union und SPD, die dafür ausreichen würde – auch ohne FDP und Grüne.

Konkret forderte der CDU-Chef Änderungen des Aufenthaltsrechts und des Asylbewerberleistungsgesetzes, aber auch weiterer Vorschriften etwa im Polizeirecht. Zudem sollten er und Scholz jeweils eine Person benennen, die zügig darüber sprechen sollten, was »wir im Bereich des bestehenden Rechts ändern können«. Er würde für diese Aufgabe den Parlamentsgeschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), benennen, sagte Merz.

Olaf Scholz soll in dem gemeinsamen Gespräch gesagt haben, er würde »die gesamte illegale Migration auf null stoppen«, wäre es möglich, so Merz.

»Meine Partei ist nicht unschuldig, dass wir diese Situation haben«, räumte der CDU-Chef ein. Damit deutete er auf Angela Merkels Entscheidung von 2015, das Dublin-Verfahren auszusetzen, damit syrische Geflüchtete aus anderen europäischen Ländern nach Deutschland kommen können. »Wir müssen Zuwanderung begrenzen und das Dublin-Verfahren durchsetzen«, so Merz. Wer an den deutschen Außengrenzen Asyl beantrage, müsse zurückgewiesen werden. Aus seiner Sicht sei dies rechtlich möglich. Sollte es aber doch Probleme mit dem EU-Recht geben, müsse dieses entweder geändert oder eine »nationale Notlage« im Sinne der EU-Verträge erklärt werden.

Parteigründerin Sahra Wagenknecht forderte den Bundeskanzler am Dienstag ebenfalls zu einer öffentlichen Abkehr von der Flüchtlingspolitik seiner Vorgängerin Angela Merkel (CDU) auf. »Der Bundeskanzler sollte das Stoppsignal an die Welt senden: Die Willkommenskultur ist vorbei. Wir schaffen es nicht. Macht euch nicht auf den Weg!«, sagte die BSW-Vorsitzende gegenüber der Deutschen Presseagentur.

Nach dem Anschlag von Solingen verlangte Wagenknecht eine »Zeitenwende in der Flüchtlingspolitik« und legte dazu einen Sechs-Punkte-Katalog vor. Darin heißt es, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) müsse zurücktreten. Zudem wiederholt die BSW-Chefin die Forderung, abgelehnten Asylbewerbern nach einer kurzen Übergangsfrist alle Leistungen zu streichen. Das Bundesverfassungsgericht hat Einschnitten bei Leistungen für Asylbewerber allerdings in mehreren Urteilen enge Grenzen gesetzt. Außerdem fordert die Ex-Linke--Politikerin in dem Papier die Durchsetzung von angeordneten Abschiebungen, eine Streichung des Aufenthaltstitels beziehungsweise einen Stopp des Asylverfahrens für Schutzsuchende nach einem »Heimaturlaub«.

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl warnte schon am Montag, die politische Mitte dürfe nicht in einen »Überbietungswettbewerb mit den Rechtsextremen und Völkischen eintreten«. Vielmehr sollte die Politik jetzt die Strukturen in unserem Land stützen, die sich seit Jahren gegen Extremismus jeglicher Art einsetzen und »endlich das Demokratiefördergesetz auf den Weg bringen«, so der Sprecher Tareq Alaows. Zu den Forderungen aus der Ampel- Koalition und der CDU/CSU, nach Afghanistan und Syrien abzuschieben, stellt Pro Asyl fest: »Das Völkerrecht verbietet eindeutig jegliche Abschiebungen in diese Herkunftsstaaten. In beiden Ländern drohen Folter und unmenschliche Strafen.«

Scholz soll im gemeinsamen Gespräch gesagt haben, er würde »die gesamte illegale Migration auf null stoppen«.

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