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Westjordanland: Dschenin und Tulkarem im Visier

Israelische Armee startet Offensive im Westjordanland

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.
Israelische Soldaten operieren während einer Razzia im Nur-Schams-Lager für palästinensische Flüchtlinge in der Nähe der Stadt Tulkarem
Israelische Soldaten operieren während einer Razzia im Nur-Schams-Lager für palästinensische Flüchtlinge in der Nähe der Stadt Tulkarem

Am Montag wurden die Menschen in Dschenin im Norden des Westjordanlands von einer Reihe von Explosionen aufgeschreckt: Eine Drohne des israelischen Militärs hatte Raketen auf ein Gebäude abgeschossen. Kurz darauf, berichten Anwohner, fuhr eine große Zahl an Militärfahrzeugen in die Statdt. Nahezu zeitgleich begann auch im nordwestlich von Jerusalem gelegenen Tulkarem ein Militäreinsatz. Fünf Menschen sind dabei nach Angaben der palästinensischen Autonomiebehörde bislang ums Leben gekommen, mindestens neun sind es nach Aussagen palästinensischer Gesundheitsbehörden. Es ist wahrscheinlich, dass viele mehr hinzukommen werden.

Diese neue Eskalation ist sehr viel komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Denn auch wenn die palästinensische Regierung unter Führung von Präsident Mahmud Abbas schon seit Monaten nur selten im Zusammenhang mit dem Krieg erwähnt wird: Sie ist längst selbst Konfliktpartei – gegen die Hamas. Denn im Gazastreifen saß die Hamas seit mindestens 15 Jahren fest im Sattel. Im Westjordanland hingegen versucht sie schon seit Langem, ihren Einfluss auszubauen, politisch wie militärisch. Israels Sicherheitsapparat sieht das als enorme Bedrohung, weil das Westjordanland auf einer Anhöhe liegt, von wo man freie Schussbahn auf einen Großteil des Staates Israel hat. Und für die palästinensische Regierung ist es ein direkter Angriff auf den eigenen Machtanspruch.

Autonomieverwaltung mit Kontrollverlust

Die palästinensische Autonomieverwaltung hat die zivile und militärische Kontrolle über rund 18 Prozent des Westjordanlandes; in einem viel größeren Teil übt sie nur die zivile Kontrolle aus. Ihre Sicherheitskräfte sind allerdings nur leicht bewaffnet und sehen sich mit Milizen konfrontiert, die weitaus besser bewaffnet und Gruppen wie der Hamas und dem Islamischen Dschihad treu sind.

In den Flüchtlingslagern im Libanon, die gemäß Vereinbarung mit der libanesischen Regierung von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) verwaltet werden sollen – aus deren größter Fraktion, der Fatah, auch die palästinensische Regierung gebildet wird –, herrschen schon seit mehr als einem Jahr oft kriegsähnliche Zustände zwischen Hamas und Fatah. Und in einigen Städten im Westjordanland droht Ähnliches.

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Vor gut einem Monat umstellten palästinensische Sicherheitskräfte ein Krankenhaus in Tulkarem. Ihr Ziel: Abu Schudscha’a, Kommandeur der 2022 gegründeten Nur-Schams-Brigade. Quellen im palästinensischen Geheimdienst sagen, dass man ihn sehr gerne befragen würde, denn die neue Miliz hat viele Fragen aufgeworfen.

Bewaffnete Gruppen gibt es einige im Westjordanland, und in der Regel kann man sie einer der palästinensischen Fraktionen zuordnen. Bei der Nur-Schams-Brigade weiß man nicht, wo sie hingehört. Man kann nur sehen, dass sie in kurzer Zeit sehr viele Kämpfer rekrutieren konnte, gut organisiert ist und über moderne Waffen verfügt – wie auch die palästinensischen Sicherheitskräfte zu spüren kamen: Bereits nach wenigen Minuten sahen sie sich mit vielen bewaffneten Männern konfrontiert; Abu Schudscha’a entkam in das nahe Nur Schams, eine Ortschaft mit rund 8000 Einwohnern, die aus einem Flüchtlingslager hervorgegangen ist.

Israel hält Militäreinsatz für alternativlos

In den vergangenen Tagen suchten dann auch israelische Soldaten nach Abu Schudscha’a. Ein Luftangriff auf Ziele in Nur Schams habe ihm gegolten, vermutet Mustafa Al-Dirawi, Gouverneur von Tulkarem. Doch getötet worden seien zwei Teenager sowie drei Männer. Mehrere Fraktionen in der Region riefen daraufhin einen Generalstreik in und um Tulkarem aus.

Nur Schams ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie das eine vom anderen kommt: Die Finanzkrise beim Uno-Flüchtlingshilfswerk UNRWA hat dort zum Zusammenbruch der Infrastruktur geführt; die Armut ist hier noch größer als anderswo. Auf den ersten Blick sind die Nur-Schams-Brigaden eine Art Bürgerwehr, die den Unmut der Menschen über die palästinensische Regierung zum Ausdruck bringt – mit Waffengewalt. Aber so etwas kostet eben viel Geld und braucht Expertise. Daher das Rätselraten über die Hintermänner.

Israels Regierung hält den Militäreinsatz indes für alternativlos: Es gebe deutliche Anzeichen dafür, dass die iranischen Revolutionsgarden verstärkt Waffen über die jordanische Grenze ins Westjordanland schmuggeln.

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