Serie »Kaos«: Scheiß auf die Götter

Die Serie »Kaos« inszeniert die griechische Götterwelt als buntes Popspektakel und erzählt vom Kampf gegen religiöse Herrschaft

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.
Jeff Goldblum als Göttervater Zeus hat die Lage am Grill nur scheinbar im Griff.
Jeff Goldblum als Göttervater Zeus hat die Lage am Grill nur scheinbar im Griff.

Als der erfolgreiche Popmusiker Orpheus (Killian Scott) in die Unterwelt hinabsteigt, um seine Geliebte Eurydike (Aurora Perrineau) aus dem Totenreich zurückzuholen, will die gar nicht mitkommen. Zum einen hat sie sich in der Unterwelt in Kaineus (Misia Butler) verliebt, von Historikern gerne als erste trans Heldenfigur der antiken Mythologie bezeichnet. Zum anderen wollte sie ihren Mann sowieso verlassen, kurz bevor sie gestorben ist.

So zumindest schreibt die Netflix-Serie »Kaos« eine der bekanntesten griechischen Mythen um. Der flotte Achtteiler inszeniert die antike Götterwelt der Griechen als zeitgemäßes buntes Popspektakel mit reichlich knalligen Hits von David Bowie bis Abba. Gleichzeitig ist »Kaos« eine satirische Allegorie auf den Kampf gegen Herrschaft und Ideologie, denn die Macht der Unsterblichen droht zu erodieren.

»Kaos« ist eine satirische Allegorie auf den Kampf gegen Herrschaft und Ideologie, denn die Macht der Unsterblichen droht zu erodieren.

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Vor allem Zeus, wundervoll gespielt von einem blasierten, Jogginganzug tragenden Jeff Goldblum im Stil eines Mafioso, leidet sehr darunter, dass die Sterblichen ihn nicht mehr verehren. Bei der Einweihung eines Zeus-Denkmals im griechischen Heraklion, wo neben dem Olymp und der Unterwelt voll grauer Hochhäuser sowie auf der protzigen Yacht von Meeresgott Poseidon ein Großteil der Handlung angesiedelt ist, operiert eine politische Splittergruppe, die jede Menge Kot über sein Denkmal schüttet.

Diese Trojan Seven (in Anlehnung an die Chicago Seven, die nach den Anti-Vietnamkriegs-Großrandalen beim Parteitag der Demokraten 1968 in den USA vor Gericht gestellt wurden) sind mit einem rebellischen Netzwerk verbunden, das bis in die Götterwelt hineinreicht und zu dem unter anderem Prometheus (Stephen Dillane) und Medusa (Debi Mazar) gehören.

Zeus im Olymp und seine Gattin Hera (Janet McTeer) merken, dass ihnen langsam die Macht entgleitet. Ihre Unsterblichkeit ist mit dem Totenreich und den dort ankommenden Seelen verknüpft, die wie eine Ressource geerntet werden. Das alles wird mit einem ebenso absurden wie verblüffend konzisen World-Building in Szene gesetzt, bei dem das neuzeitliche Kreta von einem Militärdiktator alias König Minos (Stanley Townsend) als Statthalter der göttlichen Ordnung regiert wird.

Seine Tochter Ariadne (Leila Farzad) opponiert bald gegen ihn und schließt sich sogar mit den aufständischen Rebellen zusammen. Dabei bleibt die Serie trotz aller Veränderungen relativ nah an den mythologischen Stoffen dran. Ein wenig erinnert diese Mischung aus musikalisch unterlegtem Popspektakel, mit dem ein weitläufig bekannter historischer Stoff aufgepeppt und flott erzählt wird, an Baz Luhrmanns Shakespeare-Verfilmung »Romeo + Juliet« (1996) mit Claire Danes und Leonardo DiCaprio.

Wobei das Totenreich mit seiner 50er-Jahre-Vintage-Ästhetik und einer altbackenen Bürokratie in Schwarz-Weiß gehalten ist. Eurydike und Kaineus gehen dort investigativ gegen die göttliche Ordnung vor, während Gott Dionysos in der Menschenwelt Orpheus bei seinem Weg ins Totenreich hilft. Der muss an den Schicksalsgöttinnen vorbei, die eine Musik-Bar jwd in einer wüstenähnlichen Gegend betreiben. Durch Mülltonnen geht es dann hinab ins Reich der Toten.

Minos Tochter Ariadne erfährt derweil die Wahrheit über ihren Bruder, den Minotaurus, und Zeus tobt sich mit Naturkatastrophen aus, die sehr an den Klimawandel erinnern, um die aufmüpfige Menschheit zu disziplinieren. Denn immer mehr Menschen sagen: »Scheiß auf die Götter!«, während die kretische Polizei Razzien durchführt und Ungläubige verprügelt.

Wie das am Ende ausgeht und ob die arroganten und selbstgefälligen Götter endlich ihre Macht verlieren oder was sich da im Olymp verschiebt und ob Hera ihre Liaison mit Poseidon beendet, soll hier nicht verraten werden. So absurd und abgedreht diese Serie aber auch ist, macht sie aus dem antiken Potpourri-Stoff, der in dieser Inszenierung überraschend zeitlos wirkt, ein rasant erzähltes, empowerndes Epos, das einfach Spaß macht.

Verfügbar auf Netflix.

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