Linke: Jan van Aken plädiert für Alternativen zu Waffengewalt

Jan van Aken hat ein friedenspolitisches Programm verfasst, mit dem Die Linke Profil zurückgewinnen könnte

Friedenspolitik: Linke: Jan van Aken plädiert für Alternativen zu Waffengewalt

Es ist ein altes Sprichwort, das Jan van Aken am Montagabend in Berlin zitiert: »Für den Mann mit dem Hammer sieht jedes Problem wie ein Nagel aus.« Stattdessen führt er vor Augen, wie Lösungsansätze für Kriege aussehen würden, wenn alle mal den Hammer in die Werkzeugkiste legten und stattdessen andere Werkzeuge in die Hand nähmen. »Wir diskutieren immer nur über Waffen. Sollen wir den Taurus liefern? Ja/nein? Aber wir reden nie über Diplomatie.«

Jan van Aken – Pazifist, ehemaliger UN-Waffeninspekteur und bis 2017 Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags – stellt an diesem Abend im Haus der Rosa-Luxemburg-Stiftung sein neues Buch »Worte statt Waffen« vor. Geschrieben hat er es als politischer Referent der Stiftung, nun ist daraus eine friedenspolitische Grundsatzposition geworden, mit der er sich für den Vorsitz der Linken bewirbt. Im Grunde sei es das Erfurter Programm der Linken von 2011, sagt er auf Nachfrage, »konkreter ausbuchstabiert«.

Die Debatte in der Linken wurde in den vergangenen Jahren dominiert von zwei Polen: eine Seite, die im Wesentlichen über die Verbrechen der Nato sprechen will, und eine andere, die befand, die außenpolitischen Positionen der Linken seien das zentrale Hindernis für mehr Wahlerfolge und Regierungsbeteiligungen im Bund, so utopisch die im Augenblick auch klingen mögen.

Van Aken nun bietet einen Ausweg aus dieser schablonenhaften Diskussion an, indem er mit Blick auf die Kriege der letzten Jahrzehnte konkrete Alternativen zu militärischer Beteiligung aufzeigt, die es gegeben hätte. Er will dem Töten eben nicht einfach zuschauen, um hehre Grundsätze zu verteidigen. Gegen diesen Vorwurf verwahrt er sich: »Niemals dürfen wir uns auf das scheinbare Gegensatzpaar Gewalt oder Nichtstun einlassen. Die Frage muss immer sein, welche zivilen Alternativen es gibt.« Das bildet die Basis, auf der van Aken Kriege und Konflikte in der Welt betrachtet.

»Niemals dürfen wir uns auf das scheinbare Gegensatzpaar Gewalt oder Nichtstun einlassen.«

Jan van Aken

Deshalb steht er auch heute noch zu seinem Nein für Waffen nach Kurdistan im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. Die Frage beschäftigte die Bundesrepublik 2014 mehrere Monate lang. Auch viele Linke waren aus Solidarität mit der demokratischen Selbstverwaltung Rojava für Waffenlieferungen. Van Aken fand das falsch, obwohl er sich mit dem Projekt verbunden fühlt. »Es war die falsche Frage. Richtig wäre gewesen: Was kann die Bundesregierung tun, um die Kurden zu unterstützen?« Aus seiner Sicht hätte man die Geldströme für den IS unterbinden und den Nachschub an IS-Kämpfern über die türkisch-syrische Grenze stoppen müssen. Aber die Bundesregierung habe sich weder mit dem Nato-Partner Erdoğan noch mit Katar anlegen wollen, das 17 Prozent Anteile an Volkswagen hält. »Waffen waren der billige Ersatz für wirkliche Politik, um die eigenen Interessen nicht zu gefährden.«

Aber warum nicht alles gleichzeitig – politischer Druck und Waffenlieferungen? Als Pazifist sagt van Aken auch dazu Nein. »Primat des Zivilen heißt, immer alle zivilen Mittel vorher auszuprobieren.« Deshalb verunsichert ihn auch der Verweis nicht, die Kurden hätten den IS am Ende mit Waffen besiegt. »Ein billiges Argument«, findet er. »Wenn man alles andere sein lässt, kann man natürlich immer sagen, das war nur mit Waffen möglich.«

Van Aken ist in seinem Leben an vielen Orten gewesen, an denen Konflikte gewaltsam ausgetragen wurden. Er hat aber auch erfahren, dass es anders funktionieren kann. In sein Buch sind wissenschaftliche Studien genauso eingeflossen wie Gespräche mit zivilen Friedenskräften und eigene Erfahrungen bei Auslandsreisen. An vielen Beispielen aus der jüngeren Geschichte führt er anschaulich vor Augen, wie man Kriegsparteien an den Verhandlungstisch bringt, Kompromisse ermöglicht und auch, wie Sanktionen wirksam sein können, ohne Ambivalenzen und Unsicherheiten bei alldem auszusparen. Erst im letzten Kapitel seines Buches befasst er sich direkt mit den beiden aktuellen Kriegen in der Ukraine und Gaza. Er selbst hatte bis zum 7. Oktober in Tel Aviv-Jaffa gelebt und konnte drei Tage nach dem Hamas-Massaker über Jordanien nach Deutschland ausfliegen.

Der Überfall Russlands auf die Ukraine spaltet nicht nur die Friedensbewegung, sondern auch die ihr nahestehende Partei. Während die einen der Linken vorwerfen, sie sei als Friedenspartei zu wenig erkennbar und würdige die berechtigten Interessen Russlands zu wenig, kehren andere ihr den Rücken, weil Die Linke die Ukraine zu wenig unterstütze. Van Aken nun verurteilt das Agieren Russlands ohne Wenn und Aber, ohne dadurch westlichen Imperialismus und andere von Nato-Staaten begonnene Kriege zu relativieren. Und er wirbt für eine versöhnende Behandlung der Differenzen: »Pazifisten, die jetzt für Waffen für die Ukraine sind, sind deswegen noch lange keine Kriegstreiber. Aber auch die, die gegen Waffen sind, stecken noch lange nicht im Hintern von Putin.«

Gelegenheiten für zivile Lösungsansätze sieht er auch für die Ukraine. So habe es im November 2022 einen Moment gegeben, als die Ukraine militärisch im Vorteil war. Damals habe der Generalstabschef der USA, Milley, gesagt, in einem Moment der Stärke sollte man verhandeln. Doch niemand sei darauf eingegangen. Und der Militär wurde vom Weißen Haus zurückgepfiffen. Auch ein schnelles und vollständiges Ölembargo hätte wirksam sein können, so van Aken. Dessen Folgen hierzulande hätte man mit den 100 Milliarden, die in die Aufrüstung gesteckt wurden, auffangen können.

Sein Ziel ist ein »gerechter Frieden für die Ukraine«, weshalb es aus seiner Sicht weder eine Lösung sei, die Hälfte des Landes abzugeben, noch einen Abnutzungskrieg mit Nato-Waffen über Jahre am Laufen zu halten, an dessen Ende Hunderttausende Menschen tot sind. Er ist überzeugt: Wenn Russland große Teile der Ukraine annektieren könnte, ohne dass der Rest der Welt reagiert, wäre das das Ende des Völkerrechts: »Es wäre eine Einladung an alle starken Länder dieser Welt, die kleinen zu überfallen.«

Mit seinen Überlegungen bietet der Linke-Friedensexperte sowohl Anhängern der klassischen friedenspolitischen Forderung – keine deutsche Kriegsbeteiligung – etwas an, wie auch jenen, die zuweilen aus Mangel an Alternativen Waffenlieferungen unterstützen. Seine Position ist klar: Es geht auch ohne Waffen. Bausteine einer zivilen Alternative sind Verhandlung, Diplomatie, die außenpolitische Einbeziehung Chinas, aber auch unbewaffnete, neutrale Blauhelme und gezielte Sanktionen, »über Nacht und mit Wucht«. Die große Zustimmung im Publikum an diesem Abend in Berlin lässt vermuten, dass so ein Programm das Potenzial hat, Die Linke zu vereinen.

Jan van Aken, Worte statt Waffen. Wie Kriege enden und Frieden verhandelt werden kann. Econ, 302 S., geb., 22,99 €.

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