Das Versagen des VW-Vorstandes

Der Konzern steckt in der Krise und droht mit Stellenabbau, die IG Metall geht auf die Barrikaden

Geht hart mit dem VW-Vorstand ins Gericht: Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo
Geht hart mit dem VW-Vorstand ins Gericht: Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo

Die Ankündigung der Volkswagen-Konzernleitung vom Montag schlug ein wie eine Bombe. »Werkschließungen können in der aktuellen Situation nicht mehr ausgeschlossen werden«, hieß es in einer Nachricht an die Beschäftigten. »Die Lage ist äußerst angespannt und nicht durch einfache Sparmaßnahmen zu bewältigen.« Mehr als vier Milliarden Euro will der Konzern einsparen. Vor dem Hintergrund steht auch die mit der Gewerkschaft verhandelte Beschäftigungssicherung bis 2029 zur Debatte. »Der Vorstand stellt damit unsere langjährige Vereinbarung infrage, dass Wirtschaftlichkeit und Beschäftigungssicherung gleichrangige Ziele sind«, kritisierte die Vorsitzende des Gesamt- und Konzernbetriebsrates, Daniela Cavallo, die Pläne. »Wir werden uns erbittert zur Wehr setzen«, kündigte sie an.

Nach Angaben des VW-Betriebsrats erwägt die Unternehmensleitung, mindestens ein Fahrzeugwerk und eine Komponentenfabrik in Deutschland zu schließen. Welche Werke und wie viele der insgesamt rund 120 000 Stellen betroffen sein könnten, ließ Volkswagen bislang offen. Zur Begründung der Pläne führte der Vorstand an, dass vor allem das Deutschland-Geschäft stagniere, und beklagte mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Standorte.

»In der Analyse sind wir nicht weit vom Unternehmen entfernt«, erklärt Cavallo. »Die aktuelle Krise der Marke ist strukturell. Der Wettbewerbsdruck ist groß, das wissen wir«, gibt sie zu. Doch sie sieht in erster Linie den Vorstand in der Verantwortung. Er habe in der Vergangenheit falsche Produktions- und Investitionsentscheidungen getroffen, etwa bei der Entwicklung von hybriden Fahrzeugen. »Jetzt stehen wir weitgehend blank da«, kritisiert sie. Zudem habe man zu wenig auf kostengünstige elektrische Modelle gesetzt. Die meisten E-Fahrzeuge kosten zwischen 30 000 und 50 000 Euro, billigere Autos kommen vorrangig aus China.

Bemängelt wird auch, dass die Sparpläne zur Sicherung der von der Konzernleitung anvisierten Renditevorgaben dienen sollen. Erst vergangenes Jahr hatte das Unternehmen das sogenannte Performance-Programm beschlossen, wonach eine Umsatzrendite von 6,5 Prozent anvisiert wird. Entsprechende Einsparungen und Umstrukturierungen, denen die IG Metall zugestimmt hatte, sollten rund zehn Milliarden Euro für Investitionen freisetzen. Laut Konzern reichten die Maßnahmen jedoch nicht aus, weshalb weitere Kürzungen nötig seien.

»Das Vorstandsversagen darf nicht auf die Beschäftigten abgewälzt werden«, kritisiert auch Carsten Büchling, Betriebsratsvorsitzender bei VW in Kassel, im Gespräch mit »nd«. »Die sind jetzt die Leidtragenden für Entscheidungen, an denen sie nicht beteiligt waren.« Die Stimmung unter den Kolleginnen und Kollegen reiche von großer Enttäuschung bis hin zu Ärger und Wut. Man müsse nun gemeinsam mit den Beschäftigten einen Zukunftsplan erarbeiten, fordert auch Cavallo. »Wir brauchen Sicherheiten für die Beschäftigten.«

Dabei könnte die Politik eine Rolle spielen. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat die Konzernpläne kritisiert. »Wir erwarten, dass sich die Frage einer Schließung von Standorten durch die erfolgreiche Nutzung von Alternativen nicht stellt«, unterstrich er. »Die Landesregierung wird darauf ein besonderes Augenmerk legen.« Das Land Niedersachsen ist Großaktionär von VW.

Auch im sächsischen Zwickau löst die Ankündigung des Konzerns große Sorgen aus. Das dortige VW-Werk war als erstes im Unternehmen komplett auf die Produktion von E-Autos umgestellt worden; seit 2022 laufen dort keine Verbrenner mehr vom Band. Zunächst hatte das für eine Vergrößerung der Belegschaft gesorgt; 3000 Menschen waren befristet eingestellt worden. Die schwächelnde Nachfrage nach den batteriebetriebenen Fahrzeugen führte aber bereits dazu, dass 800 Verträge nicht verlängert wurden.

Im Juli wurde ein weiterer Stellenabbau angekündigt; mindestens 1000 Jobs sollen bis Ende 2025 gestrichen werden. Auch für die Stammbelegschaft gab es bereits Einschnitte. Das Werk läuft nur noch im Zweischichtbetrieb und produziert 1000 statt der eigentlich möglichen 1500 Fahrzeuge pro Tag. Nach den Werksferien Ende August wurde die Nachtschicht an der zweiten Fertigungslinie gestrichen; Ende 2023 war das bereits an der ersten Linie der Fall.

Nun fürchten die Beschäftigten, dass weitere Einschnitte drohen. Der Zwickauer Bevollmächtigte der IG Metall, Thomas Knabel, bewertete die Aussagen des VW-Vorstands als »Angriff auf uns alle«. In der Region Zwickau hingen insgesamt 60 000 Arbeitsplätze von VW ab. Das Werk selbst beschäftigt rund 9400 Menschen. In Sachsen betreibt der Konzern zudem ein Motorenwerk in Chemnitz und die Gläserne Manufaktur in Dresden.

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) erklärte, die Botschaft aus Wolfsburg habe ihn »alarmiert und zutiefst getroffen«. Die Landesregierung stehe »fest an der Seite« der Beschäftigten an den drei Standorten und unterstütze auch Forderungen, eine Verkaufsprämie für Elektrofahrzeuge wieder einzuführen.

Sie war Ende 2023 nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds ausgelaufen. Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums waren bis dahin etwa zehn Milliarden Euro für rund 2,1 Millionen Fahrzeuge bewilligt worden.

Neben einem schleppenden Ausbau der Ladeinfrastruktur und dem auf sich warten lassenden Verbrennerverbot trug auch das maßgeblich zum Rückgang der Inlandsnachfrage nach Elektrofahrzeugen bei. Insgesamt gingen in Deutschland die Neuzulassungen von E-Autos 2024 zurück. So lag ihr Marktanteil mit 14,6 Prozent ganze 4,5 Punkte unter dem Wert des Vorjahres. Laut Konzernangaben setzte VW 2024 bislang rund 300 000 E-Autos ab, etwa 1,4 Prozent weniger als im selben Vorjahreszeitraum. Auch Audi, Tesla und andere Automobilkonzerne melden sinkende Verkaufszahlen. Es ist von einer Überproduktion die Rede.

Das hängt auch mit einer rückläufigen Nachfrage aus China zusammen. Dort setzen chinesische Konkurrenten die ausländischen Marken unter Druck, auch aufgrund hoher Subventionen für die heimischen Mitbewerber. Darauf reagierte die EU zuletzt mit umstrittenen Strafzöllen. Nicht nur für Volkswagen ist die Volksrepublik der wichtigste Absatzmarkt weltweit.

Mit Blick auf die Ankündigung des Volkswagen-Konzerns will die IG Metall die eigentlich für Oktober geplanten Tarifverhandlungen nun vorziehen. Zudem sollen die von der Unternehmensleitung anvisierten Einsparungen von mehr als vier Milliarden Euro geprüft werden. Und die Gewerkschaft, die im Konzern einen Organisationsgrad von knapp 90 Prozent hat, fordert künftig mehr Mitsprache von Betriebsräten und Beschäftigten bei strategischen Produktions- und Investitionsentscheidungen.

Doch solche offensiven Forderungen sind Zukunftsmusik. Zunächst zeichnet sich ein Abwehrkampf ab. Am Mittwoch finden im Stammwerk in Wolfsburg sowie in weiteren Werken außerordentliche Belegschaftsversammlungen statt. In Zwickau wird dazu Markenchef Thomas Schäfer erwartet, in Kassel Konzernvorstand Thomas Schmall-von Westerholt. »Wir wollen, dass die Verursacher auch die Überbringer der Nachrichten sind«, betont Büchling. »Dann beziehen wir Position, und die Belegschaft wird deutlich machen, was sie davon hält.«

»Das Vorstandsversagen darf nicht auf die Beschäftigten abgewälzt werden.«

Carsten Büchling VW-Betriebsrat in Kassel
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