Keine Roboter in Sicht

Die Gewerkschaft IG BAU will den Mindestlohn in der Gebäudereinigung auf 16,50 Euro erhöhen

Reinigungsarbeiten an der Glasfassade am Berliner Hauptbahnhof
Reinigungsarbeiten an der Glasfassade am Berliner Hauptbahnhof

»Die Kollegen fragen schon: ›Wann streiken wir?‹«, sagt Frank Hartmann. Er ist Mitglied im Betriebsrat bei Piepenbrock, einem Unternehmen, das unter anderem Gebäudereinigungsdienstleistungen anbietet. Gegenwärtig läuft die bundesweite Tarifrunde der Branche. Der nächste Verhandlungstermin ist am 11. September. Die Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt (IG BAU) fordert für alle Lohngruppen drei Euro mehr pro Stunde, betont aber, dass insbesondere der Branchenmindestlohn von 13,50 auf 16,30 Euro steigen müsse. Azubis sollen monatlich 150 Euro mehr im ersten und 300 Euro mehr im dritten Ausbildungsjahr erhalten.

»Bei Steinecke oder Lidl verdient man mittlerweile 16 bis 17 Euro«, sagt Betriebsrat Hartmann. Die Kollegen gäben ihm mit Blick auf die laufenden Verhandlungen zu verstehen: »Wenn nur ein Euro mehr am Ende rauskommt, bin ich weg.« Schon jetzt würden gute Leute gehen, auch Vorarbeiter, die viel Verantwortung übernommen hätten, sagt Hartmann.

Der tariflich vereinbarte Einstiegslohn gilt eigentlich nur für die Betriebe, die Mitglied in der Innung des Gebäudereinigungshandwerks sind. Auf Antrag der Innung und der Gewerkschaft hat das Bundesarbeitsministerium diesen Einstiegslohn für allgemeinverbindlich erklärt, wodurch er für sämtliche Betriebe der Branche gilt und somit als Branchenmindestlohn fungiert.

»Die Abwanderungsbewegung aus der Branche wird sich nicht durch Nichtstun in Luft auflösen.«

Markus Baumeister (IG BAU)
Gewerkschaftssekretär

In Berlin arbeiten 37 000 Reinigungskräfte. Markus Baumgartner ist zuständiger Gewerkschaftssekretär der IG BAU in Berlin. Zu »nd« sagt er: »Die Arbeitgeber lehnen unsere Forderungen als abenteurlich ab. Wir stehen aber vor der Situation, dass die Mehrheit der Beschäftigten weder einen Coronabonus noch einen Inflationsausgleich bekommen hat.« Der Nachholbedarf sei dementsprechend hoch, auch weil die Verteuerung der Grundausgaben wie Miete, Energie und Lebensmittel die geringen Einkommen besonders belasteten.

Wenn der Arbeitgeberverband die Forderung von drei Euro mehr nun ablehne, verdeutliche das, dass er keinen Plan dafür habe, wie er die Branche in der Zukunft erhalten will. »Die Abwanderungsbewegung aus der Branche wird sich nicht durch Nichtstun in Luft auflösen. Es stehen auch keine Roboter bereit, die die Arbeiten der älter werdenden Belegschaften in der personalintensiven Branche übernehmen würden«, sagt Gewerkschafter Baumgartner.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lag das mittlere Bruttomonatseinkommen in der Branche für gelernte Tätigkeiten in Vollzeit bei 2520 Euro. Ungelernte verdienen demnach 2388 Euro im Monat. Baumgartner spricht von einer Niedriglohnbranche. Die meisten Reinigungskräfte in der Hauptstadt würden allerdings den Branchenmindestlohn und damit ein Bruttomonatseinkommen von 2282 Euro verdienen, sagt der Gewerkschaftssekretär. Mit einer Anhebung auf 16,50 Euro würden sie in Vollzeit 2790 Euro brutto verdienen, rechnet Thomas Hentschel, der Vorsitzende der IG BAU Berlin, vor.

Ein Vollzeitjob in der Gebäudereinigung ist allerdings eine Ausnahme, sagt Hentschel. Die meisten hätten nur einen Teilzeitjob. »Sie sind an den Tagesrandzeiten – frühmorgens und spätabends – im Einsatz. Also dann, wenn die allermeisten Berufstätigen in Berlin noch schlafen oder schon ihre Freizeit genießen.« Die Arbeit finde in ganz unterschiedlichen Einrichtungen statt und sei nicht immer mit Spaß verbunden. Hentschel nennt Schultoiletten und Kranken- und Pflegezimmer.

Betriebsrat Hartmann sagt über Piepenbrock: »Wir decken alles ab: von kleinen Einrichtungen, in denen wir zweimal in der Woche für eine Stunde aufschlagen, bis zum Einzelhandel-Logistiklager, in dem wir einen Drei-Schicht-Betrieb fahren.« Von den 500 bis 600 seiner Kolleg*innen in Berlin hätten nur zwölf eine abgeschlossene Berufsausbildung. Hartmann selbst hat in den 80ern eine Ausbildung zum Glas- und Gebäudereiniger gemacht, war später auch als Vorarbeiter eingesetzt, bevor er sich zum Betriebsrat wählen ließ. Die Arbeit sei anspruchsvoll: »Wir arbeiten teilweise mit scharfer Chemie, mit Laugen und mit starken Fettlösern.«

Verstöße gegen den tariflichen Branchenmindestlohn nimmt Gewerkschaftssekretär Baumeister kaum wahr. »Dass die Zahlen auf Gehaltsabrechnungen gesetzeskonform sind, heißt aber nicht, dass nicht an anderen Stellen getrickst wird. Wir beobachten zum Beispiel ein Phänomen, das ich mit organisierter Mehrarbeit beschreiben würde.« Die hohe Arbeitsmoral der Beschäftigten werde für unbezahlte Überstunden ausgenutzt. Die Kolleg*innen blieben länger, weil die Arbeit in der vorgegebenen Zeit nicht zu schaffen sei, die Überstunden würden dann nicht oder nicht richtig abgerechnet.

Betriebsrat Hartmann weist noch auf die Bedeutung einer weiteren Forderung der Tarifrunde hin: »Meine Kollegen wollen außerdem endlich das Weihnachtsgeld zurück.« Mit der Agenda 2010 sei die Gebäudereinigung als zu teuer erklärt worden. Die regionalen Tarifverträge seien aufgelöst und durch einen bundesweiten schlechter vergüteten ersetzt worden. In dem Zuge seien auch Urlaubs- und Weihnachtsgeld weggefallen. »Seit 2007 gibt es wieder Urlaubsgeld, allerdings nur für Gewerkschaftsmitglieder, das finde ich auch richtig so. Aber wir warten immer noch auf das Weihnachtsgeld«, sagt Hartmann.

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