Treibhausgasminderung: Betrug mit der THG-Quote

Neue Intitiative sagt Fake-Klima-Projekten und falsch deklariertem Biokraftstoff den Kampf an

Ein Kunde tankt den Kraftstoff HVO 100.
Ein Kunde tankt den Kraftstoff HVO 100.

Ist es Klimabetrug, wenn der Ölkonzern BP seine Schmierstoffe und Motorenöle als »klimaneutral« labelt und dies mit Emissionsgutschriften, unter anderem aus einem Waldprojekt aus Sambia, belegt? Das Landgericht Hamburg gab jüngst einer Klage der Deutschen Umwelthilfe statt. Die Werbung von BP sei irreführend, es werde nicht ausreichend vermittelt, wie die angebliche Klimaneutralität erreicht wird.

Mit Emissionsgutschriften wird BP weiterarbeiten – in Deutschland sogar nach der gesetzlichen Verpflichtung zur Einhaltung der Treibhausgasminderungsquote. Die THG-Quote soll die CO2-Emissionen im Verkehrsbereich verringern und den Anteil erneuerbarer Energien erhöhen. Über seine Tankstellenmarke Aral verkaufte BP in Deutschland 2023 etwas mehr als neun Millionen Tonnen Benzin und Diesel, bei deren Verbrennung in Motoren Klimaemissionen entstehen. Für acht Prozent dieses Ausstoßes, so schreibt es die THG-Quote für 2023 vor, muss der Ölkonzern Gutschriften vorweisen, die sich generieren lassen, wenn erneuerbare Energien zum Antrieb von Pkw, Lkw oder Bussen eingesetzt werden. Das kann Rapsdiesel sein, aber auch Biogas, Biomethan, elektrischer Strom, strombasierte E‑Fuels oder die derzeit in einen Betrugsskandal verwickelten »Upstream-Emissions-Reduktionen« (UER).

Manche Fachleute bezweifeln generell, dass dies dem Klima hilft. Denn die beispielsweise von E‑Autos erzielte CO2-Einsparung wird ja dazu genutzt, weiter fossile Kraftstoffe zu verkaufen. Kritische Stimmen wie die Deutsche Umwelthilfe weisen zudem darauf hin, dass zur Herstellung von Agrosprit wie Bioethanol teilweise mehr fossile Energie aufgewendet werden muss, als am Ende aus dem Kraftstoff herauszuholen ist. Für den Klimaschutz also eher ein Nullsummenspiel.

Dieses Problem hat allerdings das am Mittwoch erstmals an die Öffentlichkeit getretene Aktionsbündnis »Klimabetrug stoppen« nicht im Blick. Den derzeit 50 Mitgliedern der Initiative, Unternehmen und Wirtschaftsverbände der Energiebranche, bereiten zwei Kalamitäten existenzielle Probleme: der Skandal um fragwürdige UER-Projekte in China und der um offensichtlich falsch deklarierte Import-Biokraftstoffe.

Branche beklagt Milliardenschäden

Die wirtschaftlichen Folgen sind massiv. Der Preis, der für ein THG-Zertifikat für die Einsparung einer Tonne CO2 zu zahlen ist, sank in zwei Jahren von 450 auf unter 100 Euro. So werde der Klimaschutz in Deutschland entwertet, erklärte Marc Schubert, einer der Sprecher der Initiative. In der Folge sei eine CO2-Einsparung im Verkehr von 8,8 Millionen Tonnen nicht erbracht worden, und finanziell belaufe sich der Schaden auf mehrere Milliarden Euro.

Das betrifft auch andere: So erhalten E‑Auto-Besitzer statt wie einst 400 Euro mittlerweile nur noch 80 Euro als jährliche THG-Prämie. Für den Betrieb von E‑Bussen sinke die Prämie für die Verkehrsunternehmen von jährlich 16 000 auf 3000 Euro, schilderte Schubert. Das schwäche auch die finanzielle Umverteilungskraft der THG-Quote und führe dazu, dass sich beispielsweise Investitionen in Ladesäulen nicht mehr rechneten.

Bei 68 der 69 vor allem in China lokalisierten UER-Projekte hegt die Initiative den begründeten Verdacht, dass es sich um »Fakes« handelt. Diese seien an den angegebenen Orten nicht auffindbar, Projektentwickler offensichtlich bei Briefkastenfirmen oder gar nicht in dem Bereich tätig, wurde am Mittwoch erklärt. Diese Projekte dürften daher nicht auf die Quote angerechnet werden, verlangte die Initiative in Richtung Bundesumweltministerium.

Tatsächlich sind, wie zu hören ist, einige der fragwürdigen Projekte inzwischen rückabgewickelt. Wie groß der Betrug ist, bleibt aber unklar. Hier wirft die Initiative besonders dem Ministerium mangelnden Aufklärungswillen vor.

Die UER-Projekte in China seien nur die Spitze des Eisbergs, sagen mit der Materie vertraute Fachleute. Die größere Rolle beim Betrug spielten die Importe sogenannter fortschrittlicher Biokraftstoffe, die aus Reststoffen wie Stroh hergestellt werden und für die keine Agrarflächen extra beansprucht werden dürfen. Deren Einsatz darf seit 2020 auf die THG-Quote angerechnet werden – und zwar doppelt; so wollte die Bundesregierung die Nutzung fördern. Da anfangs Preise für ein Zertifikat auf 1000 Euro kletterten, wurde der Markt förmlich überschwemmt. Deren gesetzlicher Mindestanteil an der THG-Quote wurde 2022 und 2023 um das 20- bis 30-Fache übertroffen, räumt auch die neue Initiative ein.

Palmöl statt Pflanzenabfälle

Doch woher kamen plötzlich die riesigen Mengen solcher Rest- und Abfallstoffe? Die Branche sagt, sie habe Beweise, dass vorzugsweise von Lieferanten aus China Palmöl beigemischt und dann nach Europa verschifft wurde. Betroffen davon könnte zum Beispiel der neue Super-Biodiesel HVO 100 sein, der laut Werbung meist aus Frittenfett hergestellt werde.

Der ganze THG-Quotenmarkt scheint ziemlich betrugsanfällig. Reformen würden kaum Wirkung zeigen, weil schon jetzt eine große Menge übriggebliebener billiger Zertifikate im Markt zirkuliert. Die neue Initiative schlägt vor, die THG-Quote nachträglich zu erhöhen, wenn sich wieder eine Übererfüllung abzeichnet. Anders gesagt: Der Markt für Erneuerbare im Verkehr soll einfach mehr Platz für das allzu reichliche Angebot bieten.

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