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»Kampf gegen Schleuser trifft Falsche«

Mit einem Fonds für Bewegungsfreiheit wollen Initiativen die Grundrechte von Geflüchteten stärken

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 5 Min.
Flüchtende wie Homayoun Sabetara (links) werden oft selbst wegen »Schleusung« angeklagt.
Flüchtende wie Homayoun Sabetara (links) werden oft selbst wegen »Schleusung« angeklagt.

18 Jahre soll Homayoun Sabetara in Griechenland im Gefängnis sitzen. Dafür, dass er bei seiner Flucht aus dem Iran ein Auto über die Grenze zur Türkei gesteuert hat, in dem auch andere Geflüchtete saßen. Der Vorwurf: Menschenschmuggel. Für Betroffene wie ihn haben Medico International und die Initiative de:criminalize am Dienstag den Fonds für Bewegungsfreiheit ins Leben gerufen. de:criminalize ist ein Projekt von Aktivist*innen von Borderline Europe.

Der Fonds für Bewegungsfreiheit soll Geflüchteten helfen, die Kosten für derartige Prozesse zu bezahlen und Öffentlichkeit dafür zu schaffen. »Die Kriminalisierung von Menschen auf der Flucht nimmt seit Jahren zu. Jetzt werden Asylsuchende zu Sündenböcken für alles erklärt und Migration mit Terror gleichgesetzt. Dem wollen wir etwas entgegensetzen«, sagt Julia Winkler von de:criminalize im Gespräch mit »nd«.

Längst haben EU-Politiker*innen, darunter die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD), vermeintlichen Schleusern den Kampf erklärt. Aber: »Diese Maßnahmen treffen genau die Falschen«, sagt Valeria Hänsel von Medico International zu »nd«. Grund dafür ist unter anderem eine von den EU-Staaten geplante »Richtline zur Verhinderung und Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise«. Sie sieht hohe Strafen für Menschen vor, die Geflüchteten bei der Einreise nach Europa helfen, unabhängig davon, ob sie damit Geld verdienen wollen oder selbst Flüchtende sind. Noch im September wird ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs erwartet, der darüber entscheiden soll, ob diese Gesetzgebung gegen die Grundrechtecharta verstößt.

Auch für das Schiffsunglück vor dem griechischen Pylos, bei dem vor einem Jahr 500 Menschen starben, wurden zunächst neun Überlebende angeklagt. Die sogenannten Pylos 9 sollen an Bord Aufgaben wie die Verteilung von Wasser übernommen haben. Überlebende sagen, die griechische Küstenwache habe das Boot in italienische Gewässer ziehen wollen, dabei sei es gesunken. Eine Untersuchung dazu ist noch nicht abgeschlossen. Die Pylos 9 wurden mittlerweile freigesprochen.

»Ich habe selbst erlebt, wie viele Kosten rund um so einen Prozess auf einen zukommen, an die man vorher gar nicht denkt«, sagt Mahtab Sabetara, die in Berlin lebende Tochter von Homayoun Sabetara. Die Kosten für Reisen zu ihrem Vater und überteuerte Zahnbürsten im Gefängnis sind nur einige Beispiele. »Für mich war das die ersten zwei Jahre sehr heftig, ich konnte nicht viel arbeiten, weil es mir nicht gut ging. Gleichzeitig habe ich so viel Geld in diesem Prozess verloren«, sagt Sabetara. Deswegen hält sie den Bewegungsfonds für eine gute Sache: »Es geht um die praktische Unterstützung von Menschen, die in der gleichen Situation sind wie mein Vater, aber kein Netzwerk haben«, sagt sie. Auch Sabetara wurde von Borderline Europe bei Reise- und Prozesskosten unterstützt.

»Auch in Deutschland steigt die Zahl von Gerichtsprozessen rapide.«

Valeria Hänsel Medico International

Valeria Hänsel sieht den Bewegungsfonds gegenläufig zur aktuellen rassistischen Stimmung im Land. Sie rechnet mit Anfeindungen von rechts gegen ihre Initiative. Doch gerade deshalb findet sie den Zeitpunkt passend: »Der Fonds für Bewegungsfreiheit ist ein Angebot für alle, die jetzt bereit sind, gegen den Rechtsruck und gegen die Aushöhlung des Rechtsstaats einzustehen«, so Hänsel. Ein Vorbild sei Carola Rackete gewesen. Sie war 2019 als Kapitänin eines Seenotrettungsschiffes festgenommen und angeklagt worden. Aus Solidarität hatte sie viele Spenden erhalten und daraus einen Fonds geschaffen. »Das war eine gute Initiative. Denn wenn weiße Seenotretter*innen kriminalisiert werden, schafft das große Aufmerksamkeit. Viel dramatischer ist das Ausmaß der Kriminalisierung aber bei Geflüchteten selbst. Ihnen müssen wir zur Seite stehen«, sagt Hänsel.

Offizielle Zahlen darüber, wie viele Geflüchtete an den Grenzen inhaftiert und wegen Schleuserei angeklagt werden, gibt es nicht. Allein in Griechenland waren 2023 mehr als 2000 Personen wegen Schmuggels inhaftiert, sie stellen damit die zweitgrößte Gruppe aller Gefängnisinsassen. Die meisten waren keine EU-Bürger*innen. Zu diesem Schluss kommen Julia Winkler und ihre Kollegin Lotta Mayr in einer Studie im Auftrag der Grünen/EFA im Europaparlament.

Die Gesetzgebung in Griechenland gehört zu den härtesten in der EU. Die »Beihilfe zur unerlaubten Einreise« wird als schweres Verbrechen gewertet und sieht Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren vor, hinzu kommen bis zu 15 weitere Jahre für jede transportierte Person, wenn deren Leben vermeintlich gefährdet war.

Winkler und Mayr haben sich 81 Gerichtsverfahren gegen 95 Personen in Griechenland angeschaut. Davon hat jedes durchschnittlich 37 Minuten gedauert, jene mit Pflichtverteidiger*innen nur 17 Minuten. Die Beschuldigten wurden durchschnittlich zu 46 Jahren Haft verurteilt. »Wir wissen aber, dass die Situation in anderen Ländern wie Italien und Spanien ähnlich ist. Auch in Deutschland steigt die Zahl von Gerichtsprozessen rapide«, sagt Valeria Hänsel von Medico International.

Homayoun Sabetara hat gegen sein hartes Urteil in Griechenland Berufung eingelegt. Im April wurde der Prozess verschoben, weil der entscheidende Zeuge nicht auffindbar war. Nun soll die Verhandlung am 24. September stattfinden. »Ich hoffe darauf, dass Homayoun freigesprochen wird«, sagt seine Tochter Mahtab Sabetara. Ihre größte Befürchtung ist, dass der Prozess erneut verschoben wird. »Solange das griechische Gericht kein Urteil verkündet, können wir den Fall nicht vor eine höhere Instanz bringen. Für meinen Vater würde das bedeuten, dass er noch länger in großer Unsicherheit leben muss.«

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