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- Braunkohle in Sachsen
Der andere Osten
Lakshmi Thevasagayam über Lehren aus dem Widerstand gegen die Kohle
Linke Kräfte haben haushoch verloren im Osten. Wo die einstigen Hochburgen des Landes waren, erschienen nur noch verstörend hohe, blaue Balken am Wahlabend. Im Deutschlandtrend in Thüringen und Sachsen landet der Klimawandel ganz unten bei den Themen, die die Menschen beschäftigen.
Dabei gab es erst im August wieder mehr als 300 Rettungseinsätze wegen massiver Überflutungen in Dresden und im Erzgebirge. Gleichzeitig liegen im Osten die trockensten Gebiete Deutschlands, Äcker können nicht bewirtschaftet werden, das Toilettenwasser von der Feuerwehr wird rationiert. Eine der Ursachen dafür: die Tagebaue der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft (Mibrag).
Lakshmi Thevasagayam ist Ärztin, Klima- und Gesundheitsaktivistin und engagiert sich in der Antikohlebewegung.
Direkt am Tagebau Vereinigtes Schleenhain, 20 Kilometer südlich von Leipzig, liegt das kleine Dorf Pödelwitz. Landwirt Jens Hausner hat hier eingeheiratet, nachdem er dort 1982 seine Ausbildung begonnen hatte. Sein Zuhause geriet aber seit 2008 in Gefahr. Für die Vergrößerung des Tagebaus wollte die Mibrag Pödelwitz abbaggern, obwohl dies laut dem Entnahmeplan gar nicht geplant war. Trotzdem drängte der Energiekonzern die Pödelwitzer zur Umsiedlung, malte Szenarien, wo sie umringt wären vom Tagebau wie auf einer Halbinsel, und boten große Abfindungen an.
Die Politik feierte die Umsiedlungsverträge, während knapp jeder Fünfte aber blieb – so wie Jens Hausner. Er gründete 2013 die Bürgerinitiative »Pro Pödelwitz«, die Öffentlichkeitsarbeit machte und gegen die Mibrag vor Gericht ziehen wollte. Sechs Jahre lang kämpften die Pödelwitzer auf eigene Faust, das Dorf zu erhalten, während die Mibrag schon anfing, die aufgekauften Häuser zu zerstören. 2015 führte der unablässige Kampf dazu, dass NGOs und Klimagruppen aus Leipzig darauf aufmerksam wurden. Möglich wurden auf einmal Klimacamps, Aktionen am Bagger und Ende-Gelände-Proteste – diese Solidarität hatte man auf dem Land lange nicht mehr gespürt. Es war durch die Politik an dringend benötigter Infrastruktur verarmt: Schulen, Supermärkte, Bäckereien, Ärzte und andere Dienstleistungen gab es in den Ballungsgebieten, aber nicht mehr in den Dörfern. Für Jens Hausner fühlte es sich manchmal so an, als ob das Land nur noch Schlafraum sein sollte.
Aber es kamen immer mehr Menschen ins Dorf und bauten Druck auf. Klimabewegung und Dörfler hatten vorher fast nie so zusammengearbeitet. Christopher aus Leipzig war einer von ihnen und erinnert sich, dass das nur geklappt hat, weil die Pödelwitzer offen dafür waren. Erfolgsrezept, das sagen er und Hausner, war, dass man sich zuhörte und gemeinsame Ziele definierte. Es kamen die unterschiedlichsten Leute zusammen: konservative Pödelwitzer, Grünen-Politiker und radikale Linke.
Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.
Fast zehn Jahre später ist nicht nur Pödelwitz gerettet und das erste Haus von der Mibrag wieder zurückgekauft, es wurden auch fünf Dörfer im Rheinland gerettet, weil nach Pödelwitzer Vorbild die Klimabewegung mit Dorfgemeinschaften zusammengebracht wurde. Es gibt ihn also, den Osten, der voranschreitet, von dem wir lernen können. Menschen in ländlichen Gebieten (auch in Westdeutschland), die inmitten eines braunen Sumpfs für eine bessere Zukunft kämpfen. Es ist unsere Aufgabe als Linke, sie nicht allein zu lassen. Pödelwitz zeigt, dass wir voneinander lernen, Kämpfe gewinnen und nur gemeinsam die Realität aufbauen können, die wir brauchen.
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