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Per Anhalter in die Antarktis
Invasive Arten erreichen den Südkontinent auf schwimmendem Müll und auf Seetang
In den letzten Jahren wurden in den antarktischen Gewässern immer wieder auch nicht-heimische Arten gefunden. Darunter sind Springschwänze, Milben, Moostierchen und Entenmuscheln. Auch vereinzelte Grasarten haben Fuß gefasst. Diese Organismen sind vermutlich über Schiffe oder im Wasser treibenden Müll auf den Kontinent aus Eis gelangt.
Werden die Arten invasiv, so gefährden sie – wie auch der Müll selbst, der aus den Ländern auf der Südhalbkugel anspült – das Ökosystem der Antarktis. All das ist bereits seit einigen Jahren bekannt. Nun zeigt eine neue Studie, die im Fachmagazin »Global Change Biology« veröffentlicht wurde, jedoch, dass diese schwimmenden Objekte, die es bis in die Gewässer der Antarktis schaffen, aus noch mal deutlich mehr Orten stammen, als bisher angenommen.
Habe man bisher bereits gewusst, dass Seetang eine Art Floß bilden und so von subantarktischen Inseln wie den Macquarie- und Kerguelen-Inseln in die Antarktis gelangen könne, so zeige die aktuelle Studie, »dass schwimmende Objekte die Antarktis von viel weiter nördlich erreichen können, einschließlich Südamerika, Neuseeland, Australien und Südafrika«, sagte die Hauptautorin Hannah Dawson, die die Forschungsarbeiten im Rahmen ihrer Doktorarbeit an der University of New South Wales (UNSW) in Sydney geleitet hat und jetzt an der University of Tasmania tätig ist.
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Seetang fungiert als Floß
Immer mehr Plastik und mehr Abfälle in den Ozeanen führen laut Dawson dazu, dass auch immer mehr lebende Organismen die Antarktis erreichen. Denn die Lebewesen fahren auf dem Müll quasi per Anhalter in die Antarktis. Sie machen sich dabei sämtliche schwimmenden Objekte zunutze – Seetang und Treibholz genauso wie Bimsstein oder Plastik.
Bereits der Seetang könne dem Meeresökosystem der Antarktis enorm schaden, wie Ko-Autorin Crid Fraser von der neuseeländischen University of Otago, die ebenfalls an der Studie beteiligt war, erklärte. Der Tang sei »sehr groß – oft über zehn Meter lang« und bilde »einen waldähnlichen Lebensraum« für viele kleine Tiere, die auf ihm wie auf einem Floß in die Antarktis reisen. »Wenn sie die Antarktis kolonisieren, könnten sich die Meeresökosysteme dort dramatisch verändern«, warnte die Forscherin.
Antarktische Halbinsel zuerst betroffen
Für die Studie arbeitete das Team mit modellierten Oberflächenströmungs- und Wellendaten aus den Jahren 1997 bis 2015 und verfolgte dabei schwimmende Trümmer von verschiedenen Landquellen aus. Dabei stellten die Forschenden fest, dass fremde Objekte in jedem der simulierten Jahre die antarktische Küste erreichten – Seetang genauso wie Plastikflaschen. Die »schnellsten« Objekte waren dabei knapp neun Monate unterwegs. Sie starteten ihre Reise von Macquarie Island, einer südlich von Neuseeland gelegenen Insel, die zu Australien gehört. Die längste Reise hatten dagegen Objekte aus Südamerika.
Im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch heraus, welche Regionen der antarktischen Küste am stärksten durch die Ankunft nicht-heimischer Arten gefährdet sind. So erreichen besonders viele Objekte die Spitze der Antarktischen Halbinsel, eine Region mit relativ warmen Meerestemperaturen und oft eisfreien Bedingungen. »Diese Faktoren machen es zu einem wahrscheinlichen Gebiet, in dem sich nicht-heimische Arten zuerst ansiedeln«, erklärte Matthew England von der UNSW, ein weiterer Autor der Studie. Nochmals verstärkt werde diese Tendenz in den letzten Jahren vom dramatischen Rückgang des antarktischen Meereises. Meereis fungiere als Barriere für viele nicht-heimische Arten, sich erfolgreich in der Antarktis anzusiedeln, sagte die Hauptautorin Dawson.
Klimawandel verschlimmert die Lage
Sollte das antarktische Meereis weiter zurückgehen, so werden sich Lebewesen, die auf der Oberfläche schwimmen oder sich an schwimmenden Objekten befestigt haben, leichter tun, den Kontinent zu besiedeln. Dies wiederum wird laut der Forschenden große Auswirkungen auf die dortigen Ökosysteme haben. Denn in einer sich erwärmenden Welt ist die Antarktis einer der wenigen Zufluchtsorte für langsam wachsende, auf Kaltwasser spezialisierte Arten. Sollten sich fremde Arten erfolgreich in den kalten Polargewässern etablieren, könnten sie mit einheimischen Arten konkurrieren und die dortigen Ökosysteme dramatisch verändern.
Auch andere entlegene Orte leiden – ähnlich wie die Antarktis – unter angespültem Müll. Erst im Januar meldeten die im Indischen Ozean liegenden und zu Australien gehörenden Kokosinseln, sie würden im Müll geradezu versinken.
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