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»Ich liebe einfach Gemälde«

Carina Popovici trainiert Künstliche Intelligenz darauf, Kunstfälschungen zu erkennen

Authentifizierung von Kunstwerken – »Ich liebe einfach Gemälde«

Frau Popovici, welche Künstler werden besonders gerne gefälscht?

Allgemein gesprochen: die teuersten. Einfach, weil sich mit ihnen auf dem Markt am meisten Geld verdienen lässt. Ganz vorne dabei sind die großen Impressionisten und Post-Impressionisten wie van Gogh, aber auch die Altmeister erfreuen sich großer Beliebtheit.

Warum gerade die Maler vergangener Jahrhunderte?

Altmeister wie beispielsweise Rubens haben im Laufe ihrer Karriere mit diversen Lehrlingen zusammengearbeitet. Schon allein das macht den Entstehungsprozess ihrer Werke undurchsichtiger. Es wird somit schwieriger zu unterscheiden, ob ein konkretes Bild nun vom Künstler selbst oder einem seiner Lehrlinge gemalt worden ist. Diese Tatsache ist auch in der Welt der Kunstfälschung bekannt.

Was macht eine gute Fälschung aus?

Eine gute Fälschung ist natürlich eine, die weder von einem Experten noch von der Technologie als solche erkannt wird.

Interview

Carina Popovici ist promovierte Teilchen­physikerin und lebt in Zürich. Bevor sie 2019 das Schweizer Start-up Art Recogni­tion mitgründete, arbeitete sie als Finanz­risikoanalystin.

Wie gelangen Kunstfälschungen überhaupt in Umlauf?

Zugegeben, auf dem Gebiet bin ich keine Expertin. Aber ich weiß, dass es unterschiedliche Strategien gibt. In der Vergangenheit gab es immer wieder Fälle von Korruption, in denen Fälscher etwa direkt mit Experten zusammengearbeitet haben. Weitaus anfälliger ist aber der private Kunstmarkt, bei dem Werke über Online-Plattformen angeboten werden. Dort sind die Authentifizierungsprozesse viel weniger streng.

Ist Kunstfälschung ein weitverbreitetes Phänomen?

Auf dem Auktionsmarkt in Europa und den Vereinigten Staaten sind aktuellen Statistiken zufolge nicht so viele Fälschungen im Umlauf. In anderen Ländern, etwa in Russland oder China, sieht das anders aus. Dort ist mit der Zeit eine zahlungskräftige Oligarchie entstanden, deren Akteure sich mit ähnlichen Statussymbolen wie ihre europäischen Freunde schmücken wollen. Nur gibt es halt nicht so viele Originale van Goghs auf der Welt, weshalb neue hergestellt werden müssen.

Sie sind promovierte Teilchenphysikerin, haben als Finanzrisikoanalystin gearbeitet und vor fünf Jahren das Start-up Art Recognition mitgegründet, bei dem mittels Künstlicher Intelligenz (KI) Kunstwerke auf ihre Echtheit untersucht werden. Wie passen diese biografischen Stationen zusammen?

Auf den ersten Blick passen sie überhaupt nicht zusammen. Dabei ist der Übergang von theoretischer Physik zur Finanzwelt gar nicht so unüblich. In der Finanzbranche gibt es den Bereich des Risikomanagements. Vereinfacht gesagt sind dort sehr viele Physiker und Mathematiker damit beschäftigt, Probleme zu lösen: indem diese abstrahiert und in Programmiersprache, also Code, übersetzt werden. Von Statistik bis zu KI sind die Tools, die in beiden Bereichen zum Einsatz kommen, mehr oder weniger die gleichen.

Und wie passt die Kunst dazu?

Ich liebe einfach Gemälde, die Kunst ist schon lange mein großes Hobby. Durch Gespräche mit einer ehemaligen Nachbarin, die Kunsthistorikerin ist, kam ich dann irgendwann auf die Idee zu Art Recognition. Damals trieb mich der Gedanke um, dass die Arbeit in der Bank zwar schon toll war, aber intellektuell auch nicht so inspirierend. Deshalb wollte ich etwas Neues machen, bei dem sich meine lang erprobten Fähigkeiten im Bereich des Programmierens mit meiner Liebe zur Kunst vereinbaren ließen.

Wie funktioniert die Arbeit von Art Recognition?

Bevor wir ein Werk prüfen können, müssen wir unsere KI mit dem entsprechenden Künstler trainiert haben. Kunden laden also ein Bild ihres Kunstwerks auf unserer Plattform hoch, dieses wird mithilfe unserer KI geprüft, die Wahrscheinlichkeit der Authentizität ermittelt und am Ende bekommt der Auftraggeber ein Zertifikat über die Echtheit seines Kunstwerks.

Und wenn der Algorithmus noch nicht mit dem Künstler trainiert ist?

Dann brauchen wir als Allererstes Daten. Das bedeutet in unserem Fall, dass alle Fotos authentischer Werke des jeweiligen Künstlers, die im Werkverzeichnis dokumentiert sind, verwendet werden. Wichtig ist, dass es immer auch ein Kontrast-Set gibt, mit dem der Algorithmus mit negativen Beispielen trainiert wird, wie zum Beispiel bekannte Fälschungen, Fotos von Gemälden, die von Lehrlingen stammen oder KI-generierte Bilder im Stil des Künstlers. Dadurch lernt das Programm, auch die Bildkomposition oder den individuellen Pinselstrich des jeweiligen Künstlers zu erkennen und Originale von Fälschungen oder Werken von Lehrlingen zu unterscheiden. Abhängig vom Umfang nimmt ein solches Training in der Regel ein paar Tage in Anspruch.

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Was ist der Vorteil gegenüber herkömmlichen Verfahren zur Bestimmung der Authentizität eines Bildes?

Wenn Sie ein Bild von einem Experten begutachten lassen, möchte dieser das Bild meistens vor sich haben. Das heißt, man muss zusätzlich zur Expertise noch Transport, Versicherung und manchmal sogar Zollgebühren zahlen. Das ist nicht nur teuer, sondern dauert auch entsprechend lange. Bei der Prüfung mithilfe der KI fallen all diese Gebühren weg und Sie haben das Ergebnis innerhalb einer Woche auf dem Tisch. Darüber hinaus spielt der Faktor Subjektivität eine große Rolle. Es kommt durchaus vor, dass Kunden für dasselbe Kunstwerk von zwei Experten zwei Gutachten mit komplett unterschiedlichem Ergebnis bekommen. Wir bieten hingegen die Objektivität unseres Algorithmus und die größtmögliche Transparenz, wie er zu seinen Ergebnissen gelangt.

Viele Menschen sorgen sich, dass beim Einsatz von KI der Faktor Mensch verdrängt wird und Entscheidungen nur noch aus technischer Rationalität getroffen werden. Sie argumentieren genau andersherum. Warum?

KI wird heute eher als Filter eingesetzt. Wenn die Antwort des Programms beispielsweise sehr eindeutig ist, muss man nicht unbedingt noch einen Experten hinzuziehen. Wenn der Algorithmus jedoch zu 60 bis 70 Prozent die Echtheit eines Kunstwerkes bestätigt, ist die Hinzunahme eines Experten für die Begutachtung unumgänglich. Aber weder sehen wir uns als Konkurrenz zu den Experten noch formulieren wir den Anspruch, die Arbeit besser als sie zu machen. Idealerweise ergänzt sich die menschliche Arbeit mit jener der KI und führt am Ende zu besseren Ergebnissen für alle.

Was sagen denn Kunsthistoriker und Experten zu Ihrer Arbeit?

Die Reaktionen sind gemischt. Vor fünf Jahren hat keiner aus der Branche an uns geglaubt. Mittlerweile ist das anders. Es gibt natürlich immer noch Experten, die Angst davor haben, durch KI ersetzt zu werden. Aber auch das ändert sich gerade stark. Wir haben in der Vergangenheit viel Energie darauf verwandt, der Branche unsere Arbeitsweise zu erklären und zu versichern, dass wir niemandem den Job streitig machen wollen. Inzwischen arbeiten wir auch fest mit mehreren Experten und Kunsthistorikern zusammen.

Wenn es Ihnen gelungen ist, einen Algorithmus zu trainieren, der unverwechselbare Pinselstriche seinen Urhebern zuordnet – wäre es dann im Umkehrschluss nicht genauso möglich, eine entsprechende KI so zu trainieren, dass sie Kunstwerke in dem immer gleichen Stil hervorbringt und somit nahezu perfekte Fälschungen produziert?

Klar. Mit Programmen wie Midjourney oder Stable Diffusion kann schon heute jeder Bilder im Stile historischer Künstler entwerfen lassen. Dieser Trend ist auf jeden Fall im Kommen. Um eben darauf vorbereitet zu sein und mittels generativer KI erstellte Fälschungen erkennen zu können, trainieren wir unseren Algorithmus ja längst mit Kunstwerken, die mithilfe solcher Programme erstellt worden sind.

Das Interview entstand im Rahmen einer Recherchereise des Vereins journalists.network.

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