Betriebsrat bei Tiktok: »Dinge zu verändern, braucht Zeit«

Hinter der digitalen Plattform Tiktok arbeiten Menschen. »nd« hat mit dem Betriebsrat gesprochen, der sie in Berlin vertritt

New Economy: Betriebsrat bei Tiktok: »Dinge zu verändern, braucht Zeit«

Tiktok ist in einem Bereich der Wirtschaft angesiedelt, der von digitalen und webbasierten Dienstleistungen geprägt ist. Vor allem in diesem Bereich haben sich auch die Arbeitsverhältnisse verändert. Mit Bedingungen, die an den Bedürfnissen der Beschäftigten orientiert sind, versucht man, diese zu binden und ihre Produktivität zu erhöhen. Viele Unternehmen der Digitalwirtschaft bieten, vor allem was die Zeit und den Ort der Arbeit betrifft, flexible Beschäftigungsmodelle an. Mit Blick auf die Beschäftigten gibt es das Klischee, dass sie voll auf Autonomie eingestellt sind und im Zweifel Verbesserungen eher individuell mit dem Chef aushandeln oder das Unternehmen wechseln. Ist das auch bei Tiktok so?

Tiktok-Betriebsrat: Das gilt sicherlich eher für klassische Start-ups, die noch nicht so viele Beschäftigte haben. Tiktok ist ein globales Unternehmen mit vielen Tausend Mitarbeiter*innen. Das Unternehmen bietet zwar durchaus flexible Arbeitsbedingungen, die man auch mal mit dem*der Vorgesetzten temporär anpassen kann, aber es ist ja auch im Sinne der Fairness und des Betriebsfriedens, dass nicht jede*r nur für sich andere Bedingungen aushandeln kann. Daher hilft es, einen Betriebsrat zu haben, der für viele Beschäftigte Verbesserungen erreichen kann.

Interview

Die 450 Beschäftigten der Tiktok Germany GmbH werden von elf Betriebsrats­mitglie­dern vertreten. Auf die Fragen von »nd« antworteten sie kollektiv.
Ein erster Versuch, einen Betriebs­rat zu wählen, war während der Pandemie, im März 2021, am Wider­stand der Geschäfts­führung gescheitert. Ein Arbeits­gericht hatte Tiktok recht gegeben: Die Ver­samm­lung zur Wahl eines Wahl­vorstandes musste in Präsenz, durfe also nicht digital statt­finden. Im zweiten Anlauf verlief die Betriebs­rats­wahl im Oktober 2022 erfolgreich.

Was sind die größten Probleme, mit denen die Belegschaft im Arbeitsalltag beschäftigt ist? Und wie kann ein Betriebsrat da helfen?

Das ist von Abteilung zu Abteilung verschieden. Aber die Gesundheit, vor allem die mentale Gesundheit, ist definitiv einer der wichtigsten Punkte für die meisten Kolleg*innen. Ansonsten sind es Themen wie Leistungsdruck und Konflikte innerhalb der Belegschaft, die uns beschäftigen. Der Betriebsrat kann dabei einerseits individuell beraten und helfen und auch zwischen Kolleg*in und Unternehmen vermitteln. Andererseits schauen wir uns natürlich die Rahmenbedingungen an, denn viele verschiedene Faktoren beeinflussen zum Beispiel die Gesundheit der Mitarbeiter*innen. Da geht es um ganz unterschiedliche Themen wie Arbeitsverdichtung und Überstunden, mobiles Arbeiten, Leistungsbeurteilungen oder auch fehlende Anerkennung, um nur ein paar zu nennen. Viele der Themen kann man durch Betriebsvereinbarungen in einen passenden Rahmen gießen, um einheitliche Regelungen zu schaffen.

Arbeitsverträge lesen, Zahlen vom Unternehmen checken, Gesetze wälzen. Ist Betriebsratsarbeit zuweilen nicht auch recht dröge?

Ganz und gar nicht. Betriebsratsarbeit bietet eine Abwechslung zu unseren normalen Jobs. Man lernt das Unternehmen noch mal aus einer anderen Perspektive kennen. Wir lernen viel dazu in Sachen Arbeitsrecht, Personalmanagement, Konfliktlösung, Gesundheitsschutz, Projektmanagement und so weiter. Außerdem können wir uns im Gremium auch auf bestimmte Themen fokussieren, je nach persönlichem Interesse, denn wir arbeiten in verschiedenen Ausschüssen, zum Beispiel zum Thema IT (Einführung von neuer Software) oder Öffentlichkeitsarbeit (Wie erreichen und informieren wir unsere Kolleg*innen am besten?), Gleichstellung oder Gesundheitsschutz.

Wie groß ist das Interesse an der Betriebsratsarbeit? Wie viele Kolleg*innen nehmen an den Betriebsversammlungen teil?

Die Gründung des Betriebsrates wurde definitiv mit großem Interesse von der Belegschaft verfolgt. Da wir aber auch viele Kolleg*innen haben, die nicht aus Deutschland kommen, wussten viele nicht, was ein Betriebsrat ist beziehungsweise welche Rechte ein Betriebsrat hat. Von Anfang an ist das eines unserer wichtigsten Anliegen, diese Wissenslücke zu schließen und darüber aufzuklären, was Betriebsräte leisten können und auch welche Rechte jede*r Kolleg*in hat. Das Interesse wächst daher stetig, und wir freuen uns schon auf die Betriebsratswahlen 2026. Wir hoffen, dass sich dann noch mehr Kolleg*innen zur Wahl aufstellen lassen, damit sich am Ende alle Beschäftigten im Betriebsrat repräsentiert fühlen.

Welches spürbare Highlight konnten Sie bisher für die Beschäftigten durchsetzen?

Wir möchten hier keine Interna ausplaudern. Aber vor allem kämpfen wir für möglichst viel Flexibilität für die Belegschaft. In dem Punkt haben wir schon Verbesserungen für unsere Berliner Kolleg*innen anstoßen können. Generell ist es für uns auch ein großer Erfolg, dass mehr und mehr Kolleg*innen zu uns kommen und sich uns anvertrauen.

Auf dem Weg zum Betriebsrat vor knapp zwei Jahren waren ja auch einige Klippen zu umschiffen. Mit welchen Problemen waren Sie konfrontiert?

Das waren in erster Linie rein rechtliche Probleme.

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Warum hat die Wahl letztlich doch geklappt?

Wir haben Unterstützung von der Gewerkschaft Verdi bekommen. Sie haben für die nötige rechtliche Absicherung gesorgt und uns fachlich unterstützt. Fairerweise muss man auch sagen, dass Tiktok uns nicht allzu viele Steine in den Weg gelegt hat, im Vergleich zu anderen Firmen, in denen in den letzten Jahren Betriebsräte gegründet wurden.

Und jetzt läuft der Betriebsratsalltag mit dem Management reibungslos? Was sind die größten Reibungspunkte?

Mittlerweile läuft die Zusammenarbeit vertrauens- und respektvoll. Wenn es aber komplett reibungslos laufen würde, dann würden wir unseren Job wahrscheinlich nicht richtig machen, da es immer wieder unterschiedliche Sichtweisen von Belegschaft und Management auf die Arbeitsbedingungen gibt.

Was würden Sie heute anders machen, wenn Sie noch mal einen Betriebsrat gründen würden?

Gar nicht so viel. Eventuell geduldiger sein. Wir haben mit viel Elan losgelegt, aber schnell gelernt, dass es Zeit braucht, um Dinge zu verändern. Das muss man akzeptieren, um den Enthusiasmus nicht zu verlieren. Ansonsten können wir nur empfehlen, sich von Anfang an eine Gewerkschaft mit ins Boot zu holen. Das ist eine Ressource, die wir nicht missen möchten.

Welche Tipps haben Sie für Kolleg*innen, die sich mit Problemen am Arbeitsplatz konfrontiert sehen und die Bedingungen verbessern wollen?

Wenn es einen Betriebsrat gibt, ist dieser natürlich die erste und auch beste Anlaufstelle. Wenn es keinen Betriebsrat gibt, dann sollte man sich erst einmal Vertrauenspersonen im Unternehmen suchen und sich mit ihnen austauschen. Miteinander sprechen und sich vernetzen ist das A und O, wenn man etwas verändern will. Und es hilft auch immer, einer Gewerkschaft beizutreten.

Tiktok

Die Tiktok Germany GmbH hat ihren Sitz am Berliner Spreeufer. Das Unternehmen ist vor allem für die gleichnamige Handy-App bekannt. Auf Tiktok können Kurzvideos angesehen und hochgeladen werden, zumeist mit humoristischem oder musikalischem Inhalt. Das ursprüng­lich aus der Volksrepublik China stammende Unternehmen hat heute seinen Hauptsitz in Los Angeles und Singapur.

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht: Was sind Schlüsselaspekte guter Betriebsratsarbeit?

Ganz klar Transparenz. Denn wir handeln ja immer im Auftrag unserer Kolleg*innen. Und die haben ein Anrecht darauf, zu wissen, was wir machen. Ohne den Rückhalt der Belegschaft ist gute Betriebsratsarbeit gar nicht möglich. Daher kommunizieren wir offen darüber, was wir wissen, woran wir arbeiten und wo es Probleme gibt. Man sollte deswegen auch immer ein offenes Ohr für die Belegschaft haben und ansprechbar sein. Innerhalb des Gremiums ist es wichtig, dass jede*r gehört wird. Manchmal passiert es, dass eine einzelne Person eine andere Meinung hat als der Rest des Gremiums. Da ist es wichtig, trotzdem dieser Person zuzuhören und sich mit dieser Position auseinanderzusetzen.

Und unterscheiden sich die Anforderungen gegenüber traditionellen Betrieben und Branchen, zum Beispiel der Industrie oder der klassischen Dienstleistung wie Einzelhandel und Gastronomie oder gegenüber dem öffentlichen Dienst?

Ja, bei Tiktok läuft alles schneller ab. Strukturen, Projekte und Ziele können sich schnell ändern. Für die Betriebsratsarbeit kann das durchaus herausfordernd sein, da man teilweise sehr schnell verstehen muss, welche Auswirkungen das auf die Belegschaft haben könnte. Zudem ist die Unternehmenssprache Englisch. Gesetzestexte sind aber natürlich auf Deutsch. Daher findet der Großteil unserer Kommunikation zweisprachig statt. Da können Feinheiten durchaus auch mal in der Übersetzung verloren gehen.

Wo stoßen Sie als Betriebsrat an Ihre Grenzen?

Es kann passieren, dass man vor allem an persönliche Grenzen stößt. Denn der meisten aus dem Betriebsratsgremium machen ja weiterhin den Job, für den sie eingestellt wurden. Die Betriebsratsarbeit kommt dabei noch obendrauf. Das kann durchaus zu Überlastung und Mehrarbeit führen. Es ist gar nicht so einfach, eine vernünftige Balance zu finden, um den Job weiterhin gut zu machen, aber gleichzeitig auch gute Betriebsratsarbeit zu machen. Eine andere Grenze ist natürlich, dass wir in einem globalen Unternehmen agieren und einen vergleichsweise kleinen Teil der Belegschaft repräsentieren. Da stößt man vor allem rechtlich schnell an Grenzen. Da würde es schon mal helfen, wenn die Politik die Rechte von Europäischen Betriebsräten (also die Arbeitnehmervertretung in grenzüberschreitenden Unternehmen, Anm. d. Red.) stärkt.

Was sind die nächsten großen Ziele, die Sie als Betriebsrat anpeilen?

An der Tür unseres Betriebsratsbüros hängt ein »Calvin & Hobbes«-Comic. Da sagt die Mutter zu Calvin: »Life could be worse.« (Das Leben könnte schlechter sein, Anm. d. Red.) Und Calvin antwortet: »Life could be a lot better too.« (Das Leben könnte auch viel besser sein.) Das beschreibt unsere Arbeit und unsere Ziele eigentlich ganz gut. Wir haben bereits durchaus gute Arbeitsbedingungen bei Tiktok erreicht. Aber es geht natürlich immer noch besser. Wir wollen uns also nicht ausruhen auf dem bisher Erreichten, sondern uns weiterhin für Verbesserungen einsetzen.

Macht es sich im Arbeitsalltag oder in der Betriebsratsarbeit bemerkbar, dass hinter Tiktok ein chinesischer Konzern steht?

Nein. Tiktok selbst ist ja auch kein chinesisches Unternehmen. Es läuft bei uns wie in vielen anderen globalen Unternehmen auch, egal ob das Unternehmen aus Asien, den USA oder aus Europa kommt.

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