Sahra Wagenknecht bei Caren Miosga: Auch du, Caren?

Christoph Ruf über den Tag, an dem die von ihm eigentlich bewunderte Journalistin Caren Miosga für ihn gestorben ist

Moderatorin Caren Miosga
Moderatorin Caren Miosga

Enttäuschte Liebe ist etwas Schlimmes. Nie werde ich den Tag vergessen, als ich das neue Album meiner damaligen Lieblingsband in den Händen hatte und auch nach dem vierten Mal Durchhören nur dieses Gefühl von Leere in mir war. Große Gefühle hat man mit 50 wohl seltener als mit 20. Und der Tag, an dem mein Job, der Journalismus, noch mal so viel Trauer und Ohnmacht in mir auslöst wie eine LP in den Neunziger Jahren, wäre sicherlich kein guter Tag. Aber eines muss dann doch gesagt werden: Caren Miosga fand ich immer eine ganz hervorragende Journalistin. Im Ton höflich, in der Sache bestimmt, eine, die Ihre Gegenüber aus der Politik nicht mit ihren Phrasen davonkommen lassen wollte. Und der es genau deshalb gelang, richtige Interviews zu führen. Wie gesagt: eine ganz hervorragende Journalistin. Bis auch sie für mich gestorben ist.

Der 8. September war jener Tag, an dem Caren Miosga von einer hervorragenden zu einer ganz normalen Moderatorin wurde: oberflächlich, effekthascherisch, eine, der es um den »Scoop« geht. Also darum, für eine exklusive Story in den ganzen Medienformaten gefeiert zu werden, die eh nur Journalisten lesen. Die gleichen Journalisten übrigens, die sich stundenlang darüber aufregen können, dass Inhalte in der Politik keine Rolle mehr spielen, es dann aber schaffen, in einer einstündigen Politik-Talkshow nicht ein einziges Mal über Politik zu reden.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

Dabei hätte es bei Sahra Wagenknecht gerade in dieser Hinsicht ein paar Möglichkeiten gegeben. Das BSW-Programm ist mehr als vage, die Plakate eine intellektuelle Beleidigung (»Krieg oder Frieden«). Doch selbst die Leerstellen im BSW-Programm waren Miosga noch zu explizit, um nachzuhaken. Stattdessen das mittlerweile übliche Arsenal, das gezückt wird, wenn Menschen anders wählen als Journalisten das für richtig halten: psychologisieren, pathologisieren, stigmatisieren. Überhaupt: Wann fing es eigentlich an, dass der Journalismus meinte, die Selbststilisierung von CDU, SPD, FDP und Grünen als »demokratische Mitte« unhinterfragt übernehmen zu müssen? Wann fing es an, dass abweichendes Wahlverhalten nicht nur geächtet, sondern regelrecht bekämpft wurde?

Wenn Wagenknecht sich erdreistete, mal inhaltlich zu werden, die Politik der vergangenen Jahre zu kritisieren, wurde es Miosga jedenfalls so unangenehm, dass sie sofort unterbrach. Resultat waren 45 Minuten zum Fremdschämen, bei denen die Grenze zur Niedertracht keine Rolle spielen sollte. Doch weder die steindumme Einstiegsfrage (»Wie ist es, das erste Mal in 33 Jahren ein politisches Erfolgserlebnis zu haben?«) noch die Glanzleistung, einer Frau, die 34 Jahre in der gleichen Partei war, zu unterstellen, es sei »bekannt, dass sie öffentlichkeitswirksam aus Parteien ausgetreten sind«, verfingen so richtig.

Auch die offenbar als Scoop schlechthin geplante Enthüllung, sie könne ja gar nicht wissen, was die Menschen bewegt, weil es keine Fotos von ihr bei Sozialverbänden gebe (»wir haben da angerufen«), dürfte nicht nur bei mir für Stirnrunzeln gesorgt haben. »Woher wissen Sie eigentlich, was die Menschen denken?«, fragte Miosga dann noch triumphierend. Das war nun wirklich lustig. Denn diese Art von Journalismus weiß nicht nur nicht, was die Menschen denken. Er will es auch gar nicht mehr erfahren.

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