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Mythos »explodierende Bürgergeldkosten«

CDU, FDP und AfD kritisieren immer wieder »explodierende Ausgaben« beim Bürgergeld. Die Zahlen sprechen aber eine ganz andere Sprache

Rund 5,54 Millionen Menschen in Deutschland beziehen Bürgergeld – viele sind trotzdem auf Einrichtungen wie die Tafel angewiesen.
Rund 5,54 Millionen Menschen in Deutschland beziehen Bürgergeld – viele sind trotzdem auf Einrichtungen wie die Tafel angewiesen.

Im Zuge der laufenden Haushaltsdebatte ist immer wieder die Rede von »explodierenden Kosten« beim Bürgergeld. Insbesondere der CDU, allen voran dem frischgebackenen Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz, ist das Ampel-Projekt ein Dorn im Auge. Wird er, wie nach aktuellen Umfragen zu erwarten ist, nächstes Jahr Bundeskanzler, will er das Bürgergeld in seiner jetzigen Form wieder abschaffen. Ende März hatte der Konservative erklärt, dass es nicht finanzierbar sei, wenn Deutschland verteidigungsfähig werden wolle. Doch stimmt es überhaupt, dass die Ausgaben beim Bürgergeld »explodieren«?

Eine Antwort auf eine Regierungsanfrage des Linke-Abgeordneten Christian Görke zeigt: Mit der Realität haben diese Aussagen nur wenig zu tun. Nominal, also in absoluten Zahlen, ist zwar der Haushaltsposten für das Bürgergeld leicht gewachsen: Von 22,3 Milliarden Euro im Jahr 2022 auf 25,8 Milliarden Euro 2023 nach Einführung des Bürgergelds und dann auf 29,7 Milliarden Euro 2024.

Bei Bürgergeldempfängern ist von den leichten Erhöhungen nicht viel angekommen.

Eine solche nominale Betrachtung ist aber wenig aussagekräftig. Daraus geht nämlich nicht hervor, wie sich in diesem Zeitraum das Preisniveau beziehungsweise die Kaufkraft des Bürgergelds entwickelt hat, also wie viel sich Empfänger von der Leistung kaufen können. Zudem sagt es nichts darüber aus, wie sich die absolute Zahl der Bürgergeldempfänger entwickelt hat. Grundsätzlich gilt: Eine schwächere Wirtschaft führt zu mehr Arbeitslosigkeit und damit zu mehr Bürgergeldempfängern und höheren Haushaltsausgaben.

Schaut man sich aber die Entwicklung des Bürgergelds im Verhältnis zum Gesamthaushalt an, entsteht ein anderes Bild als jenes, das die Bürgergeldgegner zeichnen wollen. An der Gewichtung, die die Sozialleistung im Vergleich zu anderen Bundesausgaben bekommt, hat sich nämlich gar nicht sonderlich viel geändert: Von 2022 auf 2023 ist der Anteil nur um einen Prozentpunkt, von 4,6 auf 5,6 Prozent und dann 2024 um 0,5 Prozentpunkte auf 6,1 Prozent gestiegen. 2016, wohlbemerkt als CDU und SPD gemeinsam regierten, lag der Anteil am Gesamthaushalt (damals Hartz IV) sogar noch höher, bei 6,4 und 2017 bei 6,9 Prozent.

»Die Zahlen entziehen der völlig entgleisten Debatte jegliche Grundlage«, kommentiert Görke. Die Bürgergeldkosten seien auch nach Anhebung der Regelsätze nicht explodiert. »CDU, AfD und Regierung liegen falsch, wenn sie glauben, den Haushalt mit Kürzungen bei den Ärmsten sanieren zu können.« Das Gegenteil wäre richtig, meint Görke: »Ganz oben, mit dem Geld der Multimillionäre und Milliardäre ließe sich der Haushalt sanieren.«

2025 will die Ampel-Regierung die Ausgaben für das Bürgergeld um 4,7 Milliarden Euro kürzen, von 29,7 Milliarden 2024 auf 25 Milliarden Euro. Bei einem Gesamthaushalt von 488,7 Milliarden Euro würde das Bürgergeld also nur noch 5,1 Prozent des Gesamthaushalts ausmachen und damit erheblich sinken. Ob diese Rechnung wirklich aufgeht, ist angesichts der steigenden Arbeitslosenzahlen zwar zweifelhaft. Auf einen dramatischen Anstieg, wie er von Bürgergeldkritikern prophezeit wird, deutet bislang aber nichts hin.

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Und hier ist die Krux: Bei Bürgergeldempfängern ist von den Erhöhungen seit 2022 in Realität nicht viel angekommen. Weil der Bürgergeldsatz seit 2021 langsamer gestiegen ist als die Inflation, wurde das Bürgergeld erheblich entwertet. Bedeutet: Mit dem gleichen Geld konnte man viel weniger Waren kaufen als vorher. Laut Berechnungen des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands erlitt das Bürgergeld 2021, 2022 und 2023 einen Kaufkraftverlust von jeweils 160, 445 und 407 Euro. Demnach hat ein erwerbsloser Single insgesamt also 1012 Euro weniger erhalten, als zur Sicherung des Existenzminimus nötig gewesen wäre.

Aufgrund der Leistungserhöhung von 2023 wird sich das Defizit in diesem Jahr zwar verringern, liegt dann aber immer noch bei 867 Euro pro Single-Bürgergeldempfänger. Um den Verlust auszugleichen, wären also eigentlich höhere Ausgaben beim Bürgergeld nötig gewesen.

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