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Pier Paolo Pasolini: Ein Leben im Schweinestall
Für Pier Paolo Pasolini waren Körper und Geist stets miteinander vermittelt. Eine Ausstellung in Berlin gibt davon einen Eindruck
Die Räumlichkeiten des n.b.k. (Neuer Berliner Kunstverein) in Berlin-Mitte sind nicht besonders ausladend. Umso mächtiger erscheint die Wand beim Betreten der Galerie, die einen mit der Auflistung der unzähligen Gerichtsverfahren, die gegen Pier Paolo Pasolini im Laufe seines Schaffens eingeleitet wurden, beinahe erschlägt. Die italienische Gesellschaft und ihr Staat versuchten den kommunistischen Katholiken und bekennenden Schwulen mit allen Mitteln des Rechtsstaats und der Klatschpresse zu bekämpfen. Sein filmisches und literarisches Werk, in dem er versuchte, gramscianisch verstandene Volkskultur, katholische Symbolik, Kritik am Spätkapitalismus sowie eine andere Form von Sexualität zu amalgamieren, wurde von der Herrschaft und ihren kleinbürgerlichen Stützen des Nachkriegsitaliens nicht besonders freundlich aufgenommen. In Anspielung auf diese Verhältnisse und auf Pasolinis Film »Porcile«(1969) ist die Ausstellung mit ebendiesem Filmtitel benannt – »Schweineställe«.
In einer Fülle von Ton- und Filmausschnitten, zeitgenössischen Zeitungsartikeln und Interview-Fragmenten wird versucht, dem äußerst provokanten und widersprüchlichen Leben und Schaffen Pasolinis auf die Schliche zu kommen. Ein Kommunist, der die Legalisierung der Abtreibung ablehnt, weil dies mit seiner Auffassung von der Heiligkeit des Lebens kollidiert. Ein schwuler Mann, der die Liberalisierung der Sexualmoral skeptisch beobachtet als Einfallstor für die neuen Disziplinierungen und Anrufungen des Konsumismus. Ein Antinationalist, der die – vorgeblichen – Gebräuche und Traditionen der bäuerlichen, halbfeudalen Massen begeistert in seine Kunst integriert, auf deren Grundlage der abgelehnte bürgerliche Nationalstaat doch überhaupt erst entstehen kann. Ein Junge der römischen Trabantenstädte, der »Borgate«, die die Kleinganoven, die Prostituierten und Abgehängten beherbergen und gleichzeitig ein Mann des Stils, der Schönheit und der sogenannten Hochkultur. Ein Lebemann, der sich in einem permanenten Konzentrationslager wähnt. All diese Gegensätze sind in Pasolini vermittelt. Vieles ist sicher kritikwürdig – aber nicht in dem Sinne, dass es absolut abgelehnt werden müsste. Vielmehr bietet Pasolini uns Material, anhand dessen wir versuchen können, einen Gegenstand reflektiert zu durchdringen. Seine Provokationen rufen heute vielleicht nicht mehr Abstoßungen und Schock hervor wie in den 60er und 70er Jahren, sondern sind wirkliche Herausforderungen für die Kritik geworden. Das für die damalige Zeit wohl Schockierendste an seinem Werk, die frivole, ungezügelte, auch gewalttätige Sexualität, würde heute niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Im Laufe der Zeit und der Liberalisierung wurde Sexualität in all ihren Facetten in die kapitalistische Gesellschaft integriert, zumindest im Westen. Für diesen Prozess hatte Pasolini schon verhältnismäßig früh sehr empfindliche Sensoren. Heute wäre Kritik daran zu formulieren, ohne in Konservatismus abzudriften.
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Einen erstaunlichen Effekt in der Ausstellung haben die unvermittelt eingestreuten Requisiten und Kostüme aus Pasolinis Filmen, zum Beispiel ein Helm aus »Porcile« oder Wämser aus »Medea« (1969). Sind die anderen Ausstellungsstücke im Bild- und Schriftbereich angesiedelt und damit geistig zu verarbeiten, wird hier der von der Ausstellung versprochene Fokus auf das Körperliche des Schaffens Pasolinis erfahrbar. Natürlich dürfen die Stücke nicht berührt werden, dennoch ist ihre Stofflichkeit seltsam greifbar. Aspekte, die Pasolinis Filme oft ausmachen und die in den gezeigten kurzen Ausschnitten nicht ganz nachvollziehbar sind. Die Ausstellung schafft es so bravourös, die Vermittlung von Geist und Körper, die Einheit ihres Widerspruchs, die in Pasolinis Œuvre durchexerziert wird, an die Besucher zu vermitteln.
Leider zwingt die chronologische Konzeption der Schau diese dazu, bei Pasolinis letztem Film, »Salò o le 120 giornate di Sodoma« (1975), zu enden. Man kann hier dazu verleitet werden, Pasolinis Werk von diesem letzten Film her zu deuten. Basierend auf de Sades »Die 120 Tage von Sodom« werden hier junge Menschen in der Republik Salò, einem faschistischen Marionettenstaat des Dritten Reiches im Norden Italiens zum Ende des Zweiten Weltkriegs, von Vertretern von Staat, Kirche, Politik, Recht und Adel entführt und aufs Brutalste erniedrigt, gequält und gefoltert. Doch von diesem Film aus Pasolini zu betrachten, wie es zuweilen getan wird, wird ihm nicht ganz gerecht. In seiner Lyrik, seinen Filmen und seinen polit-ästhetischen Schriften, die bruchstückhaft zu sehen sind, weist sich Pasolini sicherlich als ein Künstler des Körpers aus. Doch ist dieser bei ihm immer zwiespältig und ambivalent, kein reiner Effekt staatlicher und sozioökonomischer Institutionen und Diskurse. Gerade Pasolinis Filme und die Requisiten weisen eine Eigenlogik des Körpers auf, eine Sinnlichkeit, die eben mehr ist als reine Konstruktion der gesellschaftlichen Macht. Damit ist der Körper auch nicht nur eine bearbeitbare Masse. Pasolinis Filme zeigen dies. Die Ausstellung unterläuft hier mit ihrer Form ein wenig ihren eigenen Anspruch. Dennoch ist sie allen zu empfehlen, die einen Überblick über das disparate Denken und Schaffen Pasolinis und den Saustall, den wir Gesellschaft nennen, erhalten wollen.
»Pier Paolo Pasolini. Porcili«, bis zum 10. November, n.b.k. / Neuer Berliner Kunstverein
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