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Linke im Landtagswahlkampf: Schluss mit Privilegien
Linke verordnet sich eine Diät auf dem Lohnniveau von Arbeitern
Mit Keksen sind die Omas gegen Rechts auf dem Vorplatz des Bahnhofs Wandlitz vertreten. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-BdA ist mit ihren Fahnen da. Doch trotz guter Musik deprimiert dieses Demokratie-Festival eine Woche vor der Brandenburger Landtagswahl am 22. September, denn es sind keine 50 Menschen versammelt. Bis zum Abend werden es zwar noch knapp 200. »Das sind trotzdem zu wenig«, beklagt Festival-Anmelderin Isabelle Czok-Alm. Dass sich der Termin nicht herumgesprochen hätte, kann sie nicht glauben. »Wir haben Werbung gemacht ohne Ende.« Noch trauriger sieht es bei der Station einer Toleranz-Tour einen Kilometer entfernt vor dem Strandbad Wandlitzsee aus. Die Menschen, die hier ihre Autos abstellen, gehen lieber zum Surfen auf den See oder in das italienische Restaurant am Ufer.
Erschütternd zu hören, welche Nachricht eine Frau auf ihr Mobiltelefon bekommt. Es ist ein abfälliger Kommentar über das Demokratie-Festival: »Einfach abartig, alles linke, versiffte Brut.« Die Frau liest das vor und fügt hinzu: »Das ist mein Nachbar.« Dann geht sie kopfschüttelnd zur Seite und lässt sich in den Arm nehmen und trösten.
»Aufgeben ist keine Option«, beteuert Czok-Alm trotz alledem. Sie selbst war bei der Landtagswahl 2019 hier im Wahlkreis für die Linken angetreten und wollte es nicht wieder tun. Doch weil am 9. Juni der Bürgermeister von Werneuchen abgewählt wurde und Landtagskandidat Alexander Horn sich als dessen Nachfolger bewirbt, ist Czok-Alm kurzfristig für ihren Genossen eingesprungen. Bei der Wahl der Gemeindevertretung im Juni bekam Czok-Alm dreimal mehr Stimmen als vor fünf Jahren, aber ihre Partei schnitt insgesamt schlechter ab. Zwei Sitze hat die Linke nun noch in Wandlitz statt vorher vier.
Ähnlich ist es in Bernau im Kreis Barnim dem Stadtverordneten Matthias Holz ergangen. Er erhielt diesmal doppelt so viele Stimmen. Doch seine Linksfraktion schrumpfte von sieben auf fünf Köpfe, während die AfD-Fraktion von fünf auf sieben hochging – »obwohl sie in fünf Jahren nicht einen einzigen Antrag gestellt hat«, wie Holz sagt, der jetzt auch bei der Landtagswahl antritt. »Ich mache mal mit links«, entschuldigt er sich beim Handschlag. Denn auf dem rechten Arm hält er das Baby seiner Genossin Janina Gebauer, die an diesem Mittwoch am Bahnhof Bernau Pilzsuppe aus einer Gulaschkanone ausgibt. Mit links schafft es die Linke keinesfalls in den Landtag, wenn sie es überhaupt schafft. Holz ist geschockt von den Prognosen. Weniger davon, dass die AfD an der 30-Prozent-Marke kratzt. »Daran gewöhnt man sich schon langsam«, winkt er ab. Aber dass seiner Partei nur vier Prozent vorhergesagt werden. Das ist der Tatsache geschuldet, dass der beliebte Dietmar Woidke nur Ministerpräsident bleiben will, wenn seine SPD die AfD noch überholt. Dieser Schachzug schadet allen anderen Parteien. Holz befürchtet: »Das bricht uns das Genick.«
Optimistisch bleibt sein Kreisvorsitzender Dominik Rabe: »Die Linke bekommt fünf Prozent plus X, weil Umfragen Umfragen sind und keine Wahlen.« Damit das klappt, hilft im Wahlkampf die Berliner Abgeordnete Elif Eralp. In Bernau angekommen wundert sie sich erstmal über ein Plakat der Neonazipartei »Der III. Weg«. Eralp sagt: »Bei uns in Kreuzberg wäre das schnell wieder abgerissen.«
Nicht gerade aus der Hand gerissen werden der Bundestagsabgeordneten Heidi Reichinnek (Linke) die Flyer, die sie in Bernau verteilt. Viele gehen achtlos vorbei oder lehnen dankend ab. Doch Reichinnek ist eher verblüfft, wie gut sie die Flyer unter dem Strich dennoch loswird, ohne Kugelschreiber verschenken zu müssen. Die Abgeordnete kommt aus der Jugendhilfe und bei Jugendlichen gut an. Mit einer 18-Jährigen, die eine Gitarre auf dem Rücken trägt, spricht sie über Musik und Politik. Die 18-Jährige lobt, dass Reichinnek junge Menschen via Internetplattform Tiktok anspricht, denn so könne man sie erreichen. Zwei Jungen wollen ein Foto mit Reichinnek machen. »Sagt Heidi zu mir, sonst fühle ich mich so alt«, bittet die 36-Jährige.
Nur ein paar Schritte weiter sammeln sich Jugendliche in Scharen vor dem Landtagsabgeordneten Péter Vida (Freie Wähler), angezogen durch dessen Helfer Carsten Stahl aus Berlin-Neukölln. Jugendliche kennen Stahl von skurrilen Videos, die zeigen, wie er brachial gegen Mobbing agitiert. Ihm werde vorgeworfen, dass er zu laut sei, weiß Stahl. Aber nur so erreiche er die Jugend. »Ich komme von der Straße. Ich habe Dinge erlebt, die ich lieber nicht erlebt hätte«, rechtfertigt der Kampfsportler seine Methoden.
In Bernau gibt es von den Linken rote Brause, am Donnerstag bei Kandidatin Linda Weiß (Grüne) in Oranienburg Waldmeistersirup, der jeden Becher Wasser grün färbt. Kickboxerin Weiß und ihre Partei sind endlich offen für taktisches Wählen. Das könnte ihnen in Potsdam und der Linken in Strausberg einen Wahlkreis sichern.
So ernst die Lage ist, beginnt Brandenburgs Linksfraktionschef Sebastian Walter am Oranienburger Bürgerzentrum in der Albert-Buchmann-Straße seine Wahlkampfrede mit Humor: »Ich bin der Mann vom Plakat. Darauf sehe ich so jung aus, dass ich oft gefragt werde, ob ich an der Tankstelle Bier bekomme.« Der 34-Jährige bringt seine Zuhörer zum Lachen, auch wenn das Lachen manchmal fast im Halse steckenbleibt. 800 Euro Rente bekomme er später für nur fünf Jahre im Landtag, erzählt Walter. »Dafür musste mein Vater 40 Jahre arbeiten«, ruft jemand. Walter nickt: »Das wäre mein nächster Satz gewesen.« Man müsse ran an die Privilegien der Abgeordneten. »Abgehobene Diäten führen zu abgehobener Politik.« Die Linken wollen von den 9000 Euro monatlich künftig nur einen Arbeiterlohn von 2500 bis 3000 Euro für sich behalten und den Rest spenden, verspricht Walter. Ob es künftig eine Linksfraktion überhaupt noch gibt? Walter ist wieder zuversichtlicher. In einem Fernsehduell schlug er sich hervorragend. Seitdem überlegen viele, ihr Kreuz doch bei seiner Partei zu machen. Nach Walter spricht der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi über den Krieg in der Ukraine, der durch Friedensverhandlungen schnell beendet werden müsste. Die Schlacht um den Landtag entscheidet sich am Sonntag.
»Aufgeben ist keine Option.«
Isabelle Czok-Alm VVN-BdA
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