Automobilindustrie: Sparen trotz Spitzengewinnen

Gewinnwarnungen und Rückrufaktionen: Die Autobranche steht vor einer Flotte von Problemen und droht mit Fabrikschließungen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.
Dunkle Wolken ziehen über den Standorten deutscher Automobil-Hersteller auf.
Dunkle Wolken ziehen über den Standorten deutscher Automobil-Hersteller auf.

Pfeifkonzerte gab es kürzlich auf der VW-Betriebsversammlung in Wolfsburg. Betriebsrat und Beschäftigte machten ihrem Ärger über die Sparpläne des Vorstandes Luft: Standortschließungen kämen nicht infrage. Der laut Umsatz weltgrößte Autohersteller hat eine Flotte an Problemen, die auch andere Konzerne plagen.

Da ist die schwache Auslastung vieler Werke, die hohe Produktionskosten je Wagen verursacht. Autofabriken arbeiten nach einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur derzeit mit zwei Dritteln ihrer Kapazität. Bei Volkswagen soll die Auslastung sogar noch geringer sein. Ein Grund ist der schwächelnde Absatz von Elektroautos. Im August schrumpfte deren Marktanteil bei Neuwagen auf 14 Prozent. In 17 der 27 EU-Länder wurde von der Unternehmensberatung EY ein rückläufiger Marktanteil registriert. Das liege auch an auslaufenden oder sinkenden staatlichen Förderungen. »Denn einer der Hauptgründe für den schwachen Absatz von Elektroautos ist der hohe Preis«, so EY.

Hiesige Hersteller schaffen es nicht, kleinere und mittlere Elektro-Pkw für den durchschnittlichen Geldbeutel herzustellen. Auch bei Reichweite, Ladedauer, Ladeinfrastruktur und Stromkosten bleiben viele Verbraucher skeptisch. Deren Kaufzurückhaltung trifft VW hart. Die für viele Milliarden auf die Produktion von E-Autos umgerüsteten Fabriken in Zwickau und Emden haben besonders große brachliegende Produktionskapazitäten. Zudem trifft diese Elektro-Krise auf einen insgesamt schrumpfenden Neuwagenmarkt. Die Prognose von EY: 2024 werden in der EU etwa zwei Millionen Neuwagen weniger verkauft als 2019.

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Zwei Drittel ihres Umsatzes erzielen die Unternehmen im Ausland, insbesondere auch in Ländern außerhalb der Europäischen Union. Dort werden aber auch Millionen Autos produziert. So betreibt Volkswagen in China 39 Fabriken mit 90 000 Beschäftigten. »Mit dem konsequenten In-China-für-China-Ansatz treibt Volkswagen die Lokalisierung weiter voran und stärkt damit die Ausrichtung der Produkte auf die Wünsche der chinesischen Kunden«, heißt es in Wolfsburg.

Gesteigert wird die Unruhe durch eine Gewinnwarnung von Mercedes. Die wiederum hat mit Absatzproblemen auf dem größten Automarkt der Welt zu tun. Man könne behaupten, dass die eigene Kundschaft in China im Moment sehr vorsichtig agiere, soll Mercedes-Chef Ola Källenius gegenüber Finanzanalysten kürzlich geklagt haben. Lange hatten die deutschen Autohersteller in China üppige Gewinne eingefahren. Der Kaufrausch scheint aber vorbei zu sein. Das trifft auch BMW, die ihre Autos in China laut Medienberichten nur noch mit Rabatten verkaufen können.

Zudem müssen die Bayerischen Motoren Werke weltweit 1,5 Millionen Autos in ihre Werkstätten zurückbeordern. Grund sind angebliche »Wunderbremsen«, die sich nun aber als mangelhaft herausstellten. Was am Image kratzt. Und dies ist für Oberklasseautos ein handfestes Problem. Auch für Mercedes: Im August waren in der Tiefgarage eines Wohnhauses im koreanischen Incheon zahlreiche Fahrzeuge in Brand geraten. Mehr als 100 Bewohner mussten evakuiert werden. Das Feuer sei wohl von einem Mercedes EQE und dessen Batterie ausgegangen, berichtet »The Korean Times«. Die vermeintliche »Wunderbremse« von BMW stammt übrigens von dem Hannoveraner Autozulieferer Continental. Doch die Nachfrageschwäche und die Wachstumsschmerzen der grünen Transformation belasten noch weitere Zulieferer wie Bosch, Mahle oder Schaeffler.

Die Automobilindustrie ist gemessen am Umsatz die größte Branche des verarbeitenden Gewerbes und der mit Abstand bedeutendste Industriezweig in Deutschland. Sie erwirtschaftete 2023 nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums einen Umsatz von gut 564 Milliarden Euro und beschäftigt direkt rund 780 000 Personen.

Ihre Krise nutzt die Branche nun zu Rationalisierungen. Man »fokussiere« sich, lassen sich Konzernvorstände zitieren, erhöhe »Effizienz« und »Effektivität«. Aber trotz Gewinnwarnung erwartet Mercedes-Chef Källenius eine Umsatzrendite zwischen 7,5 und 8,5 Prozent. Was in der Industrie immer noch einen Spitzengewinnwert darstellt. Einschließlich Nutzfahrzeuge fuhr Mercedes im ersten Halbjahr einen Gewinn von rund acht Milliarden Euro ein, Volkswagen mehr als zehn Milliarden. Continental erwartet für seine Autosparte eine ähnlich hohe Profitrate.

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