AfD-Landtagspräsidentin soll in Thüringen verhindert werden

Diesen Donnerstag konstituiert sich in Erfurt der neue Landtag. CDU, BSW und SPD fehlt ein Parlamentssitz für Regierungsmehrheit

Pauschale Duldung einer »Brombeer-Koalition« durch Die Linke? Nicht mit uns, sagen die Thüringer Landesvorsitzenden Ulrike Grosse-Röthig und Christian Schaft, hier mit ihrem Genossen Bodo Ramelow, dem amtierenden Ministerpräsidenten.
Pauschale Duldung einer »Brombeer-Koalition« durch Die Linke? Nicht mit uns, sagen die Thüringer Landesvorsitzenden Ulrike Grosse-Röthig und Christian Schaft, hier mit ihrem Genossen Bodo Ramelow, dem amtierenden Ministerpräsidenten.

Dieser Donnerstag wird im Erfurter Landtag einigen Unterhaltungswert bieten. Knapp vier Wochen nach der Landtagswahl wird das neu gewählte Thüringer Parlament seine Arbeit aufnehmen. Zu den ersten Aufgaben gehört die Wahl eines einer Landtagspräsidentin oder eines Landtagspräsidenten. Bisher war das eine eher unspektakuläre Aktion. Doch jetzt ist die AfD die mit Abstand stärkste Fraktion. Sie stellt 32 Abgeordnete und hat dadurch auch das Vorschlagsrecht für das Amt.

Die Frage, die die Mitglieder des neuen Landtags hinter den Kulissen am meisten beschäftigt, ist jedoch die nach der Regierungsbildung. Weil CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt weiterhin eine Koalition unter Einbeziehung der bisherigen Ministerpräsidentenpartei Die Linke ausschließt, ist klar, dass er letztlich eine Minderheitsregierung anstrebt – die in wichtigen Fragen dann doch auf Die Linke angewiesen wäre. Voigt führt derzeit Gespräche mit der SPD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Die Abgeordneten aller drei Fraktionen zusammen kämen auf 44 der 88 Parlamentssitze. Es fehlt ihnen also die notwendige eine Stimme an einer Mehrheit.

Die Linke-Landesvorsitzenden Ulrike Grosse-Röthig und Christian Schaft, die auch der neuen zwölfköpfigen Fraktion der Partei angehören, haben am Mittwoch klargestellt, dass die Abgeordneten der Partei für eine pauschale Duldung des Dreierbündnisses nicht zur Verfügung stehen. Die Stimmen der Linken werde es erstens »nur gemeinsam und nicht privatisiert und einzeln« geben, und zweitens »ausschließlich für progressive Beschlüsse«, schreiben sie in einer gemeinsamen Erklärung, die »nd« exklusiv vorliegt.

Mit ihren 44 Stimmen könne ein Bündnis von CDU, BSW und SPD Voigt zwar »im dritten Wahlgang auf den Sessel des Ministerpräsidenten hieven«, so die Linke-Vorsitzenden. Doch für die Aufstellung der künftigen Landeshaushalte oder den Beschluss einfacher Gesetze reichten sie nicht aus. All das solle also offenbar »zukünftig mit wechselnden Mehrheiten zustande kommen«. »Damit macht die CDU die Tür zur AfD weit auf und gibt der faschistischen Partei unnötig Macht in die Hand«, monieren Grosse-Röthig und Schaft. 

Sie stellen klar: »Wer Ministerpräsident Thüringens sein und eine Regierung stabil durch die anstehenden schwierigen Aufgaben führen will, der muss mit allen demokratischen Parteien das Gespräch suchen und führen können.« Auch daran messe sich »politische Größe«, ebenso daran, ob eine Person der »Verantwortung des Amtes gerecht werden« könne, gerade wenn die eigene Mehrheit andernfalls »vom Gutdünken« der AfD abhängen würde.

Die Linke erwarte daher einen konstruktiven und offenen Umgang. Die Vorsitzenden stellen zugleich klar: »Wir stehen geschlossen mit zwölf Stimmen im Landtag und einer klaren Vorstellung davon, wie ein soziales, gerechtes und demokratisches Thüringen aussehen kann.« Die Zustimmung der Linksfraktion zu Haushaltsbeschlüssen oder Gesetzen werde es »ausschließlich für fortschrittliche Politik geben«. Errungenschaften »aus zehn Jahren Rot-Rot-Grün« werde man »mit aller Konsequenz verteidigen«. Parlamentarische Initiativen der anderen demokratischen Parteien und Etatentwürfe werde man »an den eigenen politischen Vorstellungen messen«.

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Im Landtag wird es derweil diesen Donnerstag erst einmal um die Personalie Wiebke Muhsal gehen, deren Nominierung als Landtagspräsidentin durch die AfD viele Abgeordnete der anderen Parteien als pure Provokation empfinden. Die vierfache Mutter stammt aus Nordrhein-Westfalen. Sie gehörte dem Landtag bereits 2014 bis 2019 an und gewann nun erneut ein Mandat. Als Abgeordnete fiel sie seinerzeit unter anderem damit auf, dass sie eines Tages in einer Art Nikab schwarz verschleiert im Landtag erschien, wohl um vor der »Islamisierung des Abendlandes« zu warnen.

Vor einigen Jahren wurde Muhsal zudem wegen Betrugs rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt. Gerichte sahen es als erwiesen an, dass sie einen Arbeitsvertrag mit einer Mitarbeiterin im Jahr 2014 um zwei Monate vordatiert hatte, um zusätzliches Geld von der Landtagsverwaltung zu erhalten. Der amtierende Linke-Ministerpräsident Bodo Ramelow meint daher: »Wer sich an Steuergeldern vergreift, darf nicht Landtagspräsidentin werden.« Er hatte zuvor in sozialen Medien auch auf eine Diffamierungskampagne von Muhsal gegen seine Person verwiesen.

Bereits vor Bekanntwerden von Muhsals Kandidatur hatten CDU, BSW und SPD signalisiert, dass sie jemanden mit AfD-Parteibuch nicht für wählbar halten. Der Landtagspräsident als »Hüter der Verfassung und des Parlamentarismus« in Thüringen könne nicht von einer Partei kommen, die vom Landesverfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft wird, betonte etwa CDU-Fraktionschef Voigt.

Die Christdemokraten schicken ihren Abgeordneten Thadäus König ins Rennen, der 2019 schon einmal Höcke bei der Landtagswahl bezwang und im katholisch geprägten Eichsfeld das Direktmandat holte. König ist auch stellvertretender CDU-Landesvorsitzender und verteidigte sein Direktmandat mit dem landesweit besten Erststimmenergebnis.

Der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz betonte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, das Bundesverfassungsgericht habe jüngst deutlich gemacht, dass ein Vorschlagsrecht für ein Amt »nicht verbunden ist mit einem bestimmten Wahlergebnis«.

Nach Ansicht der Landtagsverwaltung nutzt sich das Vorschlagsrecht der stärksten Fraktion ab. Spätestens nach einem zweiten gescheiterten Wahlgang könnten demnach auch andere Fraktionen Kandidaten aufstellen. Um auf Nummer sicher zu gehen, wollen CDU und BSW noch vor der Wahl des Landtagspräsidenten die Geschäftsordnung des Parlaments ändern. So steht es auch auf der Tagesordnung der ersten Sitzung. Geplant ist, dass schon ab dem ersten Wahldurchgang andere Fraktionen Kandidaten aufstellen dürfen.

Der Ko-Vorsitzende der Thüringer AfD, Stefan Möller, hält eine Änderung der Geschäftsordnung für rechtlich nicht möglich. »Solange sich der Landtag nicht konstituiert hat, kann er auch die Geschäftsordnung nicht ändern«, erklärte der Jurist. Die Konstituierung sei erst mit der Wahl des Landtagspräsidenten abgeschlossen. Nach einer juristischen Einschätzung der Landtagsverwaltung steht es dem Parlament ab seinem Zusammentritt frei, die Geschäftsordnung zu ändern.

Klar ist, dass AfD-Mann Jürgen Treutler als Alterspräsident die erste Sitzung des neuen Landtags leiten wird. Nach Ansicht von AfD-Ko-Chef Möller legt in der ersten Sitzung allein der Alterspräsident die Geschäftsordnung aus und entscheidet über den Verlauf der Sitzung. Weigert sich der 73-Jährige, die Abstimmung über die Geschäftsordnung aufzurufen, wäre wohl ein Gang zum Thüringer Verfassungsgerichtshof angesagt. Dort hat man bereits signalisiert, sich vorzubereiten, und eine möglichst schnelle Entscheidung in Aussicht gestellt. mit dpa

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