- Wirtschaft und Umwelt
- Energiewende
Der Wind dreht sich
Windkraft ist neben Photovoltaik die Hoffnungsträgerin für eine klimaneutrale Energieversorgung
Die weltweit installierte Windenergiekapazität lag vor einem Jahrzehnt noch unter 250 Gigawatt. Im Jahr 2023 wurden erstmals mehr als 1000 Gigawatt, eine Million Watt, erzeugt, Tendenz weiter steigend, wie die internationale Messe »Wind Energy Hamburg« belegt. 40 000 Fachbesucher werden erwartet. Entsprechend drängelig ging es am Eröffnungstag zu.
In der Branche gilt das Hamburger Treffen als Weltleitmesse. Über 1600 Unternehmen aus 40 Ländern stellen beeindruckende Technik vor. So werden Roboter per Drohne auf Windradflügeln abgesetzt, um diese zu reinigen und zu glätten, was die Leistung der Anlage erhöht. Künstliche Intelligenz, kurz KI, steuert Windparks im Meer und verringert, jedenfalls in der virtuellen Animation, die Ausfallzeiten bei der Stromerzeugung um die Hälfte.
Immer noch wird die Windenergie auf einem politischen Markt gehandelt. Doch die Zeit üppiger Subventionen neigt sich dem Ende zu.
-
Bis zu 200 Meter hohe Betontürme mit einem Rotor, der einen Durchmesser von mehr als 250 Meter hat, werfen allerdings die Frage nach dem Ressourcenverbrauch auf. Zugleich gibt sich die Branche sensibler als früher, wenn es um Anwohner geht, die vom Schlagschatten genervt sind, Umweltaktivisten sich um Biodiversität sorgen und Fischer um ihre Fanggründe in Nord- und Ostsee fürchten.
Auffällig viele Messestände in Hamburg sind staatliche Länderpavillons. Immer noch wird die Windenergie auf einem politischen Markt gehandelt. Doch die Zeit üppiger Subventionen neigt sich dem Ende zu. Inzwischen bieten Betreiber Gemeinden Gewinnbeteiligungen an oder investieren Milliarden in Ausschreibungsverfahren für Lizenzen in der Nordsee. Damit, so heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium, wächst aber die Bedeutung von privaten Finanzierungen. Entsprechend offensiv treten auf der Messe Banken, Versicherer und Investoren wie BP, RWE und die spanische Iberdrola auf, der größte Betreiber von Offshore-Windparks in der deutschen Ostsee.
Vorbei ist die Zeit der »grünen« Idealisten (mit Geschäftssinn), die erste kleine Windmühlen auf eigenes Risiko errichten ließen. In den Hamburger Messehallen dominieren Männer im Businessanzug. Und in dem Meer aus Spezialanbietern von Komponenten dominieren Industriekonzerne wie die deutsche Firma Enercon – produziert werden deren Anlagen in Deutschland, Portugal und Türkei – oder das dänische Unternehmen Vestas sowie große Zulieferer wie Schaeffler, Siemens und die Firma ZF, die in ihrer Autosparte über 10 000 Arbeitsplätze streichen will.
Die Windindustrie in Deutschland blickt nach verlustreichen Jahren – die das Image beim Nachwuchs bis heute belasten – offenbar wieder zuversichtlich in die Zukunft. Optimistisch gibt sich auch die IG Metall. Ihre Betriebsrätebefragung, welche die Agentur für Struktur und Personalentwicklung (AgS) zum zehnten Mal durchführte, zeigt eine hohe Auslastung der meisten Betriebe. In all den Jahren sei über Fachkräftemangel geklagt und doch wenig ausgebildet worden.
Die Fachkräftesituation sei so angespannt, dass sie nach Einschätzung der Gewerkschaft den Ausbau der Windkraft in Deutschland beeinträchtigen könnte. Mehr als 82 Prozent der Betriebe haben Schwierigkeiten, offene Stellen zu besetzen, nur 41 Prozent der Betriebe konnten alle angebotenen Ausbildungsplätze vergeben. »Das sind teils hausgemachte Probleme, denn vor allem Betriebe ohne Tarifbindung haben diese enormen Schwierigkeiten«, erläutert Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste.
In den vergangenen zwölf Monaten führten mehr als die Hälfte der Betriebe tiefgreifende Umstrukturierungen durch beziehungsweise planen diese derzeit. »Das zeigt, dass die heimische Windindustrie über die gesamte Wertschöpfungskette gestärkt werden muss«, sagt Friedrich in Richtung Politik. »Wir benötigen die Technologie hier in Deutschland, um eine unabhängige und klimafreundliche Energieversorgung zu sichern.«
Branchenvertreter beklagen fehlende Speicherkapazitäten und den nur schleppend vorankommenden Netzausbau von den Küsten ins Binnenland. Derzeit deckt Windenergie 20 Prozent des Strombedarfs in der Europäischen Union ab (in Deutschland über 30 Prozent). Bis 2030 soll dieser Anteil auf 35 Prozent steigen und bis 2050 über die Hälfte ausmachen. Philipp Nimmermann, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, betonte vor Journalisten, dass Deutschland hier eine Vorreiterrolle einnehme und das Tempo beim Ausbau deutlich gesteigert habe. Man sehe Rekorde an Genehmigungen und Zuschlägen bei Ausschreibungen.
»Die Branche kann aber noch mehr leisten«, befand Bärbel Heidebroek, Chefin der Landwind Group und Präsidentin des Bundesverbands Windenergie (BWE). Das wird auch nötig sein, wenn KI und Betonproduktion, Schiffsverkehr, chemische Industrie und Wärmeerzeugung zukünftig klimaverträglicher betrieben werden sollen. Dazu wird beispielsweise Wasserstoff benötigt, der mit riesigen Strommengen erzeugt werden muss. Daher wirbt die Bundesregierung auf der Messe für internationale Kooperationen etwa mit Dänemark und Namibia.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.